Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 01.04.2010

Die Millionenfalle, Teil 30

Was liegt in Nimptschs Tresor? Erneute Razzia im Stadthaus: Die Rolle der Stadt Bonn bei ihrem Zukunftsprojekt wirft neue Fragen auf

In mancher Stadtratssitzung zum World Conference Center Bonn (WCCB) steht der hochgewachsene, weißbärtige Chef des Städtischen Gebäudemanagements (SGB) wie ein Turm in der Schlacht: Friedhelm Naujoks erklärt auch im Frühjahr 2009 den Volksvertretern mit überzeugenden Gesten und Worten, warum das WCCB einen Baukostensprung von 43 Millionen Euro verzeichnen wird. Und die ominöse Hotelzimmer-Erhöhung von 180 auf 336 Zimmer ist der Hauptkostentreiber, obwohl 352 Zimmer seit Dezember 2005 in allen Schriftstücken fixiert waren.

Ob Naujoks die Baukostenexplosion im Mai 2009 wirklich beurteilen kann? Denn acht Monate später legt er den vertraulichen Rechenschaftsbericht der SGB-Controller "für das Bauvorhaben WCCB" vor. Darin macht er deutlich (siehe Millionenfalle 23), dass Naujoks & Co. eigentlich gar keine effektiven Controller waren: "Eine lückenlose Prüfung jeder Einzelrechnung vom Aufmaß bis zur Zahlung war vertraglich nicht gefordert und hätte mit dem vereinbarten Personaleinsatz auch nicht durchgeführt werden können." Geprüft wurde nur jede fünfte Rechnung und die auch nur auf Plausibilität.

Wer den Rechenschaftsbericht mit ausgewählten Anlagen aufmerksam liest, erkennt einen roten Faden: Das SGB hat getan, wozu es vertraglich verpflichtet war - mehr Prüfung hätte auch mehr gekostet. Ob die Sparkasse eine professionelle Durchleuchtung des WCCB-Millionenbaus verhindert hat oder eine eher großzügige Prüfungsmentalität politisch gewollt war, lässt der Bericht offen. Möglicherweise erklärt das Datum des SGB-Berichts einiges: 2. Dezember 2009. Da stand schon fest, dass beim WCCB-Projekt eines Tages nachgeholt werden würde, was vorher und während des Bauens versäumt wurde: Alles kommt unter die Lupe. Längst waren staatsanwaltliche Ermittlungen nicht nur gegen die Kim-Dr. Ha-S. C.-Hong-Fraktion öffentlich, sondern auch gegen städtische Bedienstete. Die Vorweihnachtszeit 2009 war somit bereits die erste "Rette-sich-wer-kann"-Phase. Auch für Naujoks. Alle WCCB-Tätigen stehen längst im Visier der Staatsanwaltschaft. Auch Naujoks.

Gestern morgen schlagen die Ermittler zu: Nicht nur in der SGB-Etage im Stadthaus beschlagnahmen sie kartonweise Unterlagen und Computerdaten, auch Hausdurchsuchungen bei Naujoks und zwei Mitarbeitern stehen auf der Mittwoch-To-Do-Liste im Rahmen von Ermittlungen wegen des Betrugs im besonders schweren Fall. Es geht um die WCCB-Fördermittelanträge an das Land NRW, für die das SGB testiert hatte, dass sich alles rechnet. Dazu wird der sonst stets vorsichtig formulierende Oberstaatsanwalt konkret: "Die Testate waren das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Sie waren schlicht falsch", sagt Fred Apostel. Die Zahlen seien "passend gemacht worden". Der Volksmund nennt das "getürkt".

Nach GA-Informationen sollen Naujoks und Co. die Landesmittel jedoch nicht in Eigenregie erschlichen haben, vielmehr soll das Gefügigmachen der Zahlen auf Anweisung "von ganz oben" erfolgt sein. Im Verdacht steht der einstige WCCB-Projektleiter Arno Hübner, Bonns ehemaliger Stadtdirektor, gegen den bereits seit Dezember 2009 wegen Untreue ermittelt wird, wie auch gegen die frühere WCCB-Projektbeauftragte Eva-Maria Zwiebler und die ehemalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann.

Offenkundig hat sich das "Rette-sich-wer-kann"-Karussell beschleunigt. So sollen zwei Papiere im Stadthaus kursieren, die viele Rätsel rund ums WCCB beantworten und den Eisberg unter der bisher in die Öffentlichkeit hineinragenden Spitze freilegen können. Eines soll von Hübner stammen, der Naujoks' SGB-Rechenschaftsbericht als geschickte Konstruktion für dessen persönliche Rechtfertigung enttarnt. Folgt man den GA-Informanten, so schlummert jedoch das eigentliche "Papier-Dynamit" im Tresor von Bonns neuem Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, der dem Bürger mehr Transparenz beim WCCB versprochen hat: der Bericht des Rechnungsprüfungsamtes. Die Sprengkraft dieses Papiers ergibt sich nach GA-Informationen aus der Tatsache, dass es sich um einen unverblümten Report handelt, der im Tresor auf seine Glättung durch "wohlinformierte Kreise" wartet. Was soll das Volk erfahren, was nicht?

Naujoks' Baustellen: Kostensteigerungen und Schadstoff-Funde trüben Bild des Gebäudemanagements

Das Städtische Gebäudemanagement (SGB) unter der Leitung von Friedhelm Naujoks hat in der Vergangenheit bereits mehrfach für Schlagzeilen gesorgt.

Einige Beispiele:

  • Kennedybrücke: Es gibt derzeit Nachforderungen der Baufirmen und bereits genehmigte Zusatzkosten in Höhe von 10 Millionen Euro, die noch nicht abschließend geklärt sind. Die Sanierung der Brücke sollte ursprünglich 40 Millionen Euro kosten.
  • Melbbad: Erst sechs Monate nach der Eröffnung des sanierten Freibades kommt die Wahrheit an Licht: Die Kosten haben sich fast verdoppelt, von 1,5 auf 2,8 Millionen Euro. Die Begründung der Stadt: unerwartete Altlasten und hoher Zeitdruck.
  • Gesamtschule Godesberg: Die CO2-Werte im 2008 eröffneten Zusatzbau sind zu hoch. Einzige Lösung, um die CO2-Konzentration in den Klassen auf verträgliche Werte zu senken, ist ein ausgeklügelter Lüftungsplan. Im Neubau traten außerdem Schadstoffe aus einem falsch gelieferten Bodenbelag aus.
  • Konrad-Adenauer-Gymnasium: Hier gab es Streit um Pfusch am Bau bei der Asbest-Sanierung der Aula-Decke. Das zog Ermittlungsverfahren nach sich, die nach Auskunft der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen sind. Der Vorwurf gegen das SGB lautet Baugefährdung.
  • Legionellen: Im Oktober 2005 kauft Naujoks für 12 000 Euro eine Oxidationsanlage, mit der die Legionellen in den Wasserleitungen des Konrad-Adenauer-Gymnasiums bekämpft werden sollten. Im Januar 2006 geht die Anlage wieder vom Netz - sie hatte Trihalogenmethan ins Wasser abgegeben, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Naujoks hatte seinerzeit an der Entwicklung des Verfahrens mitgearbeitet. Kritiker vermuten einen Interessenkonflikt. Den habe es nie gegeben, versicherte Naujoks.
  • Römerbad: 2006 lässt das SGB hier für 80 000 Euro neue Duschabtrennungen und Schränke einbauen. Ein Jahr später wird fast alles für eine PCB-Sanierung wieder rausgerissen, weil in Personalräumen hohe Schadstoffkonzentrationen gemessen wurden.
  • Haus der Bildung: Die Kosten für den Umbau des Alten Stadthauses waren politisch auf elf Millionen Euro gedeckelt, vom SBG aber nicht genauer beziffert. Wegen einer Kostensteigerung auf 19.4 Millionen Euro wäre das Projekt fast gekippt worden.

Der Top-Verdiener der Stadtverwaltung: Friedhelm Naujoks managt alles, was die Stadt baut

Friedhelm Naujoks (59) ist der Spitzenverdiener der Bonner Stadtverwaltung und zugleich ein mächtiger Mann. Wenn die Stadt Bonn baut, egal ob ober- oder unterirdisch, ist der Baumanager beteiligt. 2004 kam der Diplom-Ingenieur aus Bielefeld nach Bonn, in der Tasche einen mit 150 000 Euro brutto jährlich dotierten Zwölf-Jahresvertrag.

Zunächst war der neue Leiter des Städtischen Gebäudemanagements (SGB) "nur" für die 700 städtischen Gebäude, darunter Rathäuser und Schulen, zuständig. In Naujoks wurden hohe Erwartungen gesetzt: Er sollte den immensen Sanierungsstau bei den städtischen Immobilien beseitigen und zugleich die Kosten senken. Die Praxis sah nicht immer so aus: Die Kosten bei verschiedenen städtischen Bauprojekten stiegen (siehe Bericht links).

2007 hat Naujoks das komplette Baumanagement der Stadt übernommen, also auch das Tiefbauamt und das Finanzcontrolling für das World Conference Center Bonn (WCCB). Die Zahl der Mitarbeiter verdoppelte sich auf rund 650. Wegen der Zusatzarbeit beim WCCB wurde Naujoks' Jahresgehalt auf 175 000 Euro erhöht. Nach dem Ratsbeschluss hatten die Grünen 2007 die Kommunalaufsicht eingeschaltet. Die sah allerdings keinen Rechtsverstoß.