Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 05.01.2016

von Thorsten MOECK

Polizei schockiert über Täterschwarm

Etwa 1000 Verdächtige vor dem Bahnhof gezählt - OB Reker beruft Krisensitzung ein

Im Polizeipräsidium werden so einige Superlative bemüht, um die Ereignisse der Silvesternacht rund um Dom und Hauptbahnhof begreifbar zu machen. "Dieser Einsatz hat alles getoppt, was wir bislang erlebt haben. Das hat es noch nicht gegeben", gibt der Leitende Polizeidirektor Michael Temme zu Protokoll. Sein Vorgesetzter, Polizeipräsident Wolfgang Albers, spricht von "Straftaten in völlig neuer Dimension" und einem "völlig unerträglichem Zustand".

Die Erklärungen der hochrangigen Beamte sind zugleich Ausdruck von Überraschung, Überforderung und zahlenmäßiger Unterlegenheit rund um den Jahreswechsel in der Innenstadt. In "großer Anzahl und massiver Form" seien Frauen Opfer von Sexualdelikten geworden, sagt Albers. Festgenommen wurde jedoch niemand. Drei der Verdächtigen, die am Sonntagmorgen im Bahnhof gefasst worden waren, sind wieder auf freiem Fuß. Zwei Männer landeten in Untersuchungshaft - allerdings wegen Taschendiebstahls und nicht wegen Sexualdelikten. Es seien Silvester lediglich Personalien von Verdächtigen registriert worden, die nun überprüft würden.

Die Dimension der Eskalation auf dem Bahnhofsvorplatz hat sich laut Polizei bereits gegen 21 Uhr am Silvesterabend abgezeichnet. Bis zu 500 Tatverdächtige seien zu diesem Zeitpunkt beobachtet worden. Später sei die Zahl bis auf 1000 gestiegen. Von einer "Tumultsituation" spricht der Polizeipräsident. Als Reaktion seien alle 143 Polizisten, die in der Nacht in der Innenstadt zum Dienst eingeteilt waren, zum Bahnhof beordert worden. Der Einsatz auf den Kölner Ringen sei anschließend von 30 Beamten des regulären Streifendienstes geleistet worden. Die Bundespolizei war nach eigenen Angaben mit 50 Bereitschaftsbeamten und 20 Polizisten des Streifendienstes im Einsatz. Laut Bundespolizei sei die Sperrung des Bahnhofsvorplatzes um Mitternacht erfolgt, weil Chaoten Böller in die Menge warfen. Die hohe Zahl sexueller Übergriffe sei erst hinterher deutlich geworden.

Nicht nur die Zahl der Täter, auch deren Vorgehen hat die Polizei überrascht. "Der Modus Operandi war uns neu", sagt Polizeidirektor Temme. In mehren Kleingruppen sollen die Männer ihre Opfer angegangen haben. "Die Täter sind als Gruppe abgestimmt vorgegangen", so Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizei Sankt Augustin. Als Verdächtige gelten bei den Behörden Männer aus Nordafrika, die in der Vergangenheit bereits durch aggressive Trickdiebstähle und Raube aufgefallen waren.

Derweil versucht sich die Polizei bereits jetzt für den Auftakt des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht zu wappnen und mit allen Mitteln einen neuerlichen Exzess an Straftaten und Übergriffen zu verhindern. Der Polizeipräsident und Oberbürgermeisterin Henriette Reker wollen in einem für den heutigen Dienstag anberaumten Gespräch die Möglichkeit einer Videoüberwachung für den Bahnhofsvorplatz eruieren. "Ziel ist es herauszufinden, wie die Menschen wieder besser geschützt werden können", sagte Reker.

An Weiberfastnacht erwägt die Polizei nun den Einsatz spezieller Fahrzeuge mit Teleskop-Kameras, den verstärkten Einsatz ziviler Aufklärer sowie einen besseren "Raumschutz". "Wir wollen stärker als bisher mobile Einheiten einsetzen, um schnell reagieren zu können", so Polizeidirektor Michael Temme.

Unter dem Slogan "Kölsche Mädchen gegen Sexismus" soll heute um 18 Uhr eine Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz abgehalten werden.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017