Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 21.02.2008

von Matthias THIEME, Jörg SCHINDLER

Mit Brief, ohne Siegel

Noch am Mittwochvormittag war man sich bei Unicef sicher: Trotz aller Verfehlungen der vergangenen Monate, beschwichtigte das Kinderhilfswerk auf seiner Internetseite, sei das so wichtige bundesweite Spendensiegel "nicht in Gefahr". Vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) werde man noch immer als "hoch seriöse Organisation" eingestuft. Das klang beruhigend, hatte jedoch einen Haken: Zu diesem Zeitpunkt hatte das DZI dem Hilfswerk das Siegel schon entzogen – und das Deutsche Unicef-Komitee damit in seine nächste große Krise gestürzt.

In einer vierseitigen Erklärung begründete das DZI am Mittwoch, wieso es Unicef bereits am Vorabend den so begehrten Spenden-Persilschein entzogen habe. Tenor: Die Unicef-Führung um den inzwischen geschassten Geschäftsführer Dietrich Garlichs habe "gravierende Leitungs-, Aufsichts- und Managementmängel" offenbart, bei der Aufklärung der Vorwürfe nicht ausreichend kooperiert und sogar noch während der Nachprüfung durch das DZI "tatsächliche Sachverhalte" verschleiert (siehe nebenstehenden Wortlaut). Zudem habe das Kinderhilfswerk "wahrheitswidrig behauptet, keine Provisionen für die Vermittlung von Spenden zu bezahlen".

Damit entzog das DZI nicht nur auf beispiellose Weise der UN-Organisation das Vertrauen, sondern mühte sich auch erkennbar, selbst aus der Schusslinie zu geraten. DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke hatte Unicef zunächst verteidigt, war aber nach FR-Berichten über dessen Finanzgebaren in Erklärungsnot geraten. Spender wollten wissen, warum das Institut die seltsame Mittelverwendung bei Unicef nicht früher erkannte. Schließlich forderte sogar die Bundesregierung eine Reform des DZI, das eine zur Hälfte öffentlich finanzierte Stiftung bürgerlichen Rechts ist.

Auch im internationalen Vergleich kam der deutsche "Spenden-TÜV" schlecht weg: Das Schweizer Prüfsiegel Zewo etwa verweigert der eidgenössischen Unicef-Sektion sein Güte-Testat seit Jahren – aus den gleichen Gründen, die Unicef-Deutschland ins Zwielicht brachten. Dem Zweifel an seinen eigenen Kontrollen will das DZI jetzt mit verschärften Vergabekriterien entgegentreten.

Die verbliebene Unicef-Führungsriege reagierte entsetzt auf den Entzug des Spendensiegels. "Dieses Urteil trifft uns hart", erklärte der Interims-Vorsitzende Reinhard Schlagintweit. Man werde sich schnellstmöglich wieder um das Siegel bewerben. Vor 2010 wird das jedoch nicht möglich sein. Man habe bereits aus den Fehlern gelernt, so Schlagintweit. Konsequenzen werde man auf einer Mitgliederversammlung am 10. April ziehen.

"Das ist zu spät", sagte Miriam Gruß der FR. "Unicef muss sofort einen Neuanfang machen." Die FDP-Bundestagsabgeordnete ist Komitee-Mitglied der deutschen Unicef-Sektion. Der Vorstand habe bis heute nicht begriffen, "welche Tragweite das Ganze hat. Jetzt hat er es mit Brief und Siegel bekommen." Auch Komitee-Mitglied Edith von Welser-Ude verlangte: "Der ganze Vorstand gehört sofort ausgewechselt. Nur so kommen wir aus dem Sumpf raus."

Mit ungläubigem Staunen hätten sie erfahren, so Welser-Ude und Gruß, dass Ex-Geschäftsführer Garlichs auch nach seinem Rücktritt noch beinahe täglich in der Kölner Unicef-Zentrale arbeite und auch an Sitzungen teilgenommen habe. Auf Nachfrage habe man ihnen beschieden, Garlichs "Sachverstand und große Erfahrung" seien noch gefragt, so Gruß. "Das ist eine Verdummung all jener, denen Unicef und denen die Kinder am Herzen liegen."

Schatzmeister Peter von der Heydt räumte gegenüber der FR zwar ein, dass Garlichs tatsächlich noch regelmäßig in der Zentrale auftauche. "Aber der räumt da nur sein Büro aus, sonst macht er gar nichts." Man habe Garlichs dafür "ein paar Tage" Zeit gegeben. Einen sofortigen Rückzug des Vorstands lehnte von der Heydt ab. "Wir haben vereinbart, dass wir bis zum 10. April zusammenbleiben und uns gegenseitig helfen."