Die genossenschaftliche Idee

Wer das Geld hat, hat das Sagen, kann sich durchsetzen und gibt vor, wo es 'lang geht'. So funktioniert Kapitalismus. Unabhängig davon, wie und wo und wann jemand zu seinem Geld gekommen ist.

Bei Aktiengesellschaften beispielsweise sind es meist die (mit viel Geld/Kapital ausgestatteten) Großaktionäre, die den Ton angeben und über das Wohl und Wehe eines Unternehmens entscheiden - z.B. über die Nachhaltigkeit des Unternehmens und die Geschäftspolitik, über Arbeitsplätze und zukünftige Ausrichtung. Mit demokratischer Mitbestimmung auch über solche Fragen oder Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz hat dies ersteinmal nichts zu tun.

Die genossenschaftliche Idee funktioniert anders:

  • Die Mitsprache der Anteilseigner bzw. Mitglieder in einem genossenschaftlich organisierten Unternehmen hängt nicht von der Verfügbarkeit über (geerbtes oder wie auch sonst immer erworbenes) Geld ab, sondern jeder hat (nur) 1 Stimme. Und jede Stimme hat das gleiche Gewicht. 
  • Gewinnmaximierung (z.B. hohe Ausschüttungen etwa in Form von Dividenden) ist kein primäres Ziel. Die Idee ist vielmehr: Statt (hoher) Gewinne günstige Preise bzw. niedrige Kosten für die Anteilseigner bzw. Mitglieder einer Genossenschaft zu realisieren. Genossenschaften verstehen sich als eine Art von Selbsthilfeinstitution. 
  • Spekulation, beispielsweise wie es mit Aktien(kursen) möglich ist, findet nicht statt: Wer aus einer Genossenschaft ausscheidet, erhält den nominalen Wert seines Anteils zurück, egal wieviel dieser auf einem 'freien', sprich ungezügelten Markt, wert wäre. (Spekulativer) Ausverkauf einer Genossenschaft ist deshalb nicht möglich. Genossenschaften sind auf Nachhaltigkeit ihrer Substanz angelegt - zum Wohle ihrer Mitglieder. 

Eine Blütezeit erlebten Genossenschaften in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts: in Zeiten allgemeiner wirtschaftlicher Not und insbesondere der Wirtschaftskrise - im

  • Wohnungsbau 
  • Bankenwesen 
  • Einzelhandel 
  • sowie bei Einkaufsgenossenschaften von Handwerkern. 

Alles als eine Art von

  • Gegenmodell zum "freien Spiel der Kräfte" ("Marktwirtschaft"), bei dem vor allem jene zum Zuge kommen, die über mehr Geld und Einkommen verfügen als alle anderen, 
  • und deshalb als Selbsthilfe-Modell für jene, die sich diesem alternativen Konzept verbunden fühlen und davon profitieren wollen: als Mitglied in einer Genossenschaft bzw. als "Genosse". 

Historisch gesehen ist die Idee noch älter: Etwa zeitgleich in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in England und auf deutschem Boden begannen erste Ideen Gestalt anzunehmen. In der kleinen Ortschaft Weyerbusch, später Flammersfeld im Westerwald (beide im heutigen Landkreis Altenkirchen/Rheinland-Pfalz) und nochmals drauf in Neuwied war es der dortige Bürgermeister Friedrich Wilhelm RAIFFEISEN, der die Notsituation seiner Bürger, insbesondere Bauern mindern wollte. Missernten (europaweite Kartoffelfäule 1846) sowie die preußische 'Kolonialpolitik' im rheinischen Gebiet ließen viele Menschen total verarmen. RAIFFEISEN gründete zunächst einen "Brotverein" für die Armen.

Später kam ihm die Idee einer Selbsthilfe-Sparkasse: Beim " Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte" konnte jeder Geld (an)sparen, aber auch günstig ausleihen, z.B. zum Kauf von Vieh. Der "Heddesdorfer Darlehnskassenverein" einige Jahre später verkörperte dann schon sehr viel mehr eine Bank, aber eben genossenschaftlich organisiert. Seine Idee und sein konkretes Konzept beschrieb RAIFFEISEN dann 1866 in einem umfangreichen Buch: "Die Darlehnskassen-Vereine als Mittel zu Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter. Praktische Anleitung zur Bildung solcher Vereine, gestützt auf sechzehnjährige Erfahrung, als Gründer derselben".

Hier (siehe aktives Bild) lässt sich das 226 Seiten umfassende Werk aus dem Jahr 1866 lesen - die Universitätsbibliothek Frankfurt hat es eingescannt und online gestellt (26 MB!): lesenswert!

Der erste Darlehnskassenverein von Heddesheim wurde zum Vorbild für die heutigen Raiffeisen- und Volksbanken weltweit. Und Genossenschaften sind noch immer eine Alternative für viele Menschen, wenn es um kostengünstiges Wohnen, um gemeinsame Vermarktung (z.B. Winzergenossenschaften), Medien (z.B. taz, die tageszeitung), Dienstleistungen (z.B. Domainregistrierung bei DENIC) u.a. geht.

Man muss nicht immer alles über "die Märkte" abwickeln, die nach anderen Spielregeln funktionieren als die genossenschaftliche Idee. "Freie Marktwirtschaft" heißt auch: Man darf auf Alternativen setzen.


(JL)