Qualitätssicherung in der Justiz? Ergebnisse einer Umfrage unter 16 deutschen Justizministerien

Hinweis vorab:

Dieser Text ist so geschrieben, dass ihn auch Nicht-Juristen verstehen. Verständlichkeit ist die erste Voraussetzung für Transparenz. Und nur Transparenz garantiert, dass über komplizierte Dinge diskutiert werden kann. Mit der Option möglicher Änderungen, konkret: potenzieller Verbesserungen von Zusammenhängen, bei denen ‘Luft nach oben’ ist.

Diese Site lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Umfrage-Justizministerium .

Zusammenhänge

Wer in einer freien Marktwirtschaft ein Produkt herstellen und/oder verkaufen will oder eine Dienstleistung, der muss darauf bedacht sein, Qualität zu liefern. Sonst wird man abgestraft: Man ist dann schnell ‘weg vom Fenster’. Die Kunden bzw. Nutzer wechseln zur Konkurrenz.

In der Justiz ist das anders. Der Justizapparat ist ein Monopol - wie fast alle staatlichen Behörden. Deswegen gibt es keine Konkurrenz und deswegen müssen sich die dort Tätigen auch nicht unbedingt große Mühe geben. Es sei denn, sie machen es aus freien Stücken.

Auch das kommt vor. Ob es der Regelfall ist, darüber gibt es keine verlässlichen und/oder empirisch abgesicherten Untersuchungen.

Die Justiz stellt als “Dritte Gewalt” im Staat natürlich einen Sonderfall das, weil sie - eigentlich - einer der wichtigsten Grundpfeiler einer demokratisch organisierten Gesellschaft darstellt. Meinungsfreiheit, freie Wahlen und Verlässlichkeit auf “Gesetz und Recht” sind dazu unerlässlich. 

Mit der Verlässlichkeit auf den Rechtsstaat ist es allerdings nicht zum allerbesten bestellt. Wenn Menschen unschuldig verurteilt werden und ins Gefängnis müssen, ist das eine schlimme Sache. Dass so etwas vorkommen kann, lässt sich leider nie zu 100% ausschließen. Wenn aber eine Korrektur solcher Fehlentscheidungen, die in das höchste Grundrecht eines menschlichen Lebens, konkret in die “Würde des Menschen” eingreifen, Jahre, genauer bis zu zwei Jahrzehnten dauern kann, ist das mit einem “Rechtsstaat” nicht mehr zu vereinbaren.

Und das kommt vor - im “Rechtsstaat Deutschland”.

Mit Qualität des Rechtswesens geschweige denn Qualitätssicherung hat das rein gar nichts zu tun.

Qualitätssicherung und Fehlerkultur

Qualitätssicherung lebt von Fehlerkultur. Konkret: von der Einsicht, dass es zum einen Fehler und Pannen gibt, die sich vermeiden lassen und dass man die mit entsprechenden, etwa präventiven Maßnahmen verhindern kann. Zum anderen, dass es Fehler und unbeabsichtigte Pannen gibt, die sich manchmal nicht von vorneherein ausschließen lassen, aber aus denen man lernen, spich Konsequenzen ziehen kann. Um sie künftig zu vermeiden.

Dass beispielsweise die Luftfahrt zu den sichersten Transportmitteln gehört, ist eben einer solchen Fehlerkultur zu verdanken. Wir haben das an anderer Stelle rekonstruiert: Meldesysteme in der Luftffahrt.

Eine solche Verlässlichkeit gibt es im deutschen Rechtswesen nicht. Davon zeugt schon die altbekannte Aussage “Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.”

In “Gottes Hand” ist man natürlich nicht. Man ist in den Händen von Richtern. Und hier beginnen die Probleme, denn Richter sind unabhängig, niemandem gegenüber verantwortlich und agieren - genau besehen - deswegen in einem rechtsfreien Raum. 

Oft, nicht immer, gibt es übergeordnete Instanzen, aber soweit muss man als Betroffener vor Gericht ersteinmal kommen. Und wenn man etwa wegen angebliches Mordes angeklagt und unschuldig verurteilt wurde, gibt es nur 1 einzige übergeordente Revisionsinstanz, an die man sich wenden kann. Und dann kann es passieren, dass die höchsten Strafrichter am BGH in ein und demselben Fall mal so oder mal so entscheiden - also weiter Gefängnis oder endlich wieder Freiheit.

Oder wenn sich Richter an gesetzlich vorgegebene Regeln einfach nicht halten, schnöde darüber hinweggehen mit der Begründung (wenn sie überhaupt dazu eine geben), dass die gesetzliche Vorschrift “unpraktikabel und kaum zielführend” sei, so wie das beispielsweise am Landgericht Göttingen praktiziert wird.

Die Politik schert sich darum nicht, wie auch der frühere Richter am Bundessozialgericht, Josef BERCHTOLD, Mitherausgeber des Buches “Prozesse in Sozialsachen in seinem Vorwort auf S. 5 schreibt: “Der höchst produktive Gesetzgeber lässt seinerseits seit langem nur geringes Intereresse an der konkreten Umsetzung seines Outputs in die Rechtswirklichkeit des gerichtlichen Einzelfalls erkennen. Das Prozessrecht scheint in ähnlicher Weise an den Folgen einer intesselosen Untätigkeit zu leiden, wie dies vor noch nicht allzu langer Zeit dem westlichen Verteidigungsbündnis nachgesagt wurde.”

Bedeutet vereinfacht gesagt: Je nachdem, ob der “gesetzliche Richter”, den man aufgrund des Geschäftsverteilungsplans vorgesetzt bekommt, sich Mühe gibt und wirklich Fairness walten lassen will oder nicht, ob er sich die Zeit nimmt, strittige Sachverhalte aufzuklären oder ob ihm das zu zeitaufwendig erscheint, fällt das Urteil eben so oder ganz anders aus. 

Von “Rechtssicherheit” kann da keine Rede sein.

Und das ist schlimm in einer “rechtsstaatlichen” Demokratie. Denn es bedeutet, dass zu Recht enttäuschte Menschen den “Glauben an den Rechtsstaat" verlieren. Und im Zweifel für das “rechtsstaatliche” demokratische Miteinander verloren gehen. 

Das kann sich eine Demokratie nicht wirklich leisten. Angriffe und Bedrohungen von rechts sind schon besorgniserregend genug. Wenn sich aber eine “rechtsstaatliche” Gesellschaft auch von innen heraus aushöhlen lässt, wird aus der Besorgnis eine ernste Gefahr. Die regelmäßigen Wahlergebnisse, insbesondere die Zunahme von Parteien und Strömungen an den Rändern, sprechen eine eindeutige Sprache.

Dem sollte Einhalt geboten werden. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten.

Das Buch zum Thema

In diesem Kontext ist im Juni 2024 ein Buch erschienen: “Nicht im Namen des Volkes. Über Justizversagen, richterliche Arroganz und mangelnde Fehlerkultur” von Johannes LUDWIG, dem Initiator und Betreiber dieser Plattform “ansTageslicht.de”. Informationen dazu hier unter www.ansTageslicht.de/Justizversagen.

Darin wird an mehreren Fallbeispielen das Versagen des Rechtsstaats dokumentiert und rekonstruiert, was die Gründe sind: selbstgerechtes Agieren von Richtern, die sich in einem “rechstfreien Raum” bewegen können, wie wir das nenen, und Null Fehlerkultur unterworfen sind. Einige der Fälle sind auch hier im “DokZentrum ansTageslicht.de" unter www.ansTageslicht.de/Justiz, hier aber viel ausführlicher dargestellt und mit den relevanten Dokumenten unterlegt. Im Buch werden aber auch Hinweise und Tipps gegeben, was man tun kann, wenn man (eigentlich) nichts tun kann, wenn man in die Mühlen des Justizapparates gerät. Und wir diskutieren, was sich ändern müsste, wenn man einen “Rechtsstaat” optimieren möchte - sofern man das möchte. 

Die Umfrage

Weil sich (verbeamtete) Richter hierzulande - außer in ihren Urteilen - zu nichts äußern müssen, niemandem Rechenschaft schuldig sind, sich auch nicht bei krassen Fehlentscheidungen zu entschuldigen pflegen und auf unsere Fragen nie geantwortet haben, etwa darauf, wie sie selbst Qualitätssicherung sehen oder gar praktizieren, haben wir die ‘vorgesetzten’ Behörden gefragt, die Exekutive. Konkret: die Justizministerien in den 16 deutschen Bundesländern.

Die meisten haben geantwortet, fünf sich verweigert (NRW, Baden-Württemberg, Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern). 

Im Rahmen von 5 Themenkomplexen wollten wir etwas erfahren über 

  • Dienstaufsichtsvorgänge gegenüber Richtern und Staatsanwälten  
  • Beschwerden seitens Bürger
  • Verfahren zur juristischen "Qualitätssicherung”
  • Verbindlichkeit von Weiter- und bzw. Fortbildungen und
  • ob es irgendwie geartete “Ergebniskontrollen” von richterlichen Entscheidungen gibt.

Die Antworten finden Sie hier in einer sehr kompakten Form:

 

Eine ausführliche Darstellung findet sich hier unter Qualitätssicherung in der Justiz: Umfrageergebnisse im Detail. Dort sind auch der Fragebogen und die einzelnen Antworten der Ministerien dokumentiert.

Die obige Synopse ist nach Bundesländern gegliedert, aber nicht alphabetisch oder geografisch (Nord-Süd, Ost-West) sondern nach der Anzahl der dort jeweils lebenden Einwohner. Je größer ein Land, umso eher ist man von den dort praktizierten Usancen in Sachen “Qualitätssicherung” betroffen. 

Interpretation kurz gefasst

Dienstaufsicht über Richter (und Staatsanwälte):

Eine solche gibt es für Richter so wie es der § 26 Absatz 2 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) vorsieht:
Die Dienstaufsicht umfasst … auch die Befugnis, die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäfts vorzuhalten und zu rdnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen.“ Vorausgesetzt, dass nicht die richterliche „Unabhängigkeit beeinträchtigt wird” (laut Absatz 1).

Solche Fälle kommen vor, vermutlich aber eher selten und Statistiken darüber werden nicht geführt. Jedenfalls gibt es keine Zahlen, die nach außen hin kommuniziert werden. 

Staatsanwälte unterliegen ebenfalls einer Dienstaufsicht und zusätzlich auch einer Fachaufsicht, weil sie weisungsgebunden sind. Danach hatten wir aber nur am Rande gefragt.

Beschwerden seitens Bürger bzw. Justiz-Betroffene:

Dass sich Menschen beschweren, die beispielsweise mit ihrem Urteil nicht zufrieden sind, liegt auf der Hand. Beschwerden beziehen sich aber auch auf die Verfahrensdauer und teilweise auch auf das “Verhalten/Auftreten” von Richtern. Dass es darüber keine genaueren Statistiken gibt, können wir nur als eine gewisse Interessenslosigkeit beim Beschwerdemanagement in der Justiz interpretieren.

"Qualitätssicherung":

Das war für uns die spannendste Frage. Die Antworten fielen aus, wie wir das vermutet hatten. Qualitätssicherung im klassischen Sinne gibt es nicht in der Justiz. Dazu wäre ohnehin ersteinmal vonnöten, dass man definiert, was man hier unter Qualität verstehen könnte. Wir hatten dies deshalb auch als offene Frage formuliert, um zu sehen, was wie man das in der Exekutive sieht. Und praktiziert. Qualitätssicherung ist nämlich ein ständiger Prozess und keine Einmalveranstaltung.

Die Sichtweisen reichen von “fachlicher und persönlicher Eignungsprüfung” vor Dienstantritt über “Geschäftsprüfungen” bis hin zur ständigen Formel, dass dies im Rahmen des “Instanzenzugs” geschehe. Aber auch, dass für “die Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle richterlicher Arbeit … in erster Linie die Richterinnen und Richter selbst verantwortlich“ sind (Rheinland-Pfalz). Also Modell ”Eigenkontrolle".

Dass die Frage einer Qualitätssicherung innerhalb richterlicher Entscheidungsfindung wegen der verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit besonderer Überlegungen bedarf, ist auch uns klar. Die gelieferten Standardantworten entsprechen solchen Notwendigkeiten allerdings nicht. Hier sehen wir enormen Diskussions- und Handlungsbedarf.

Weiter- und Fortbildung von Richtern:

Weil Richter (Landes)Beamte sind, die höchsten Gerichte (BGH, BSG, BVerwG etc) ausgenommen, gelten auch für sie in der Regel die einschlägigen Landesgesetze. Die allerdings unterschiedlich ausfallen. Angebote gibt es reichlich, wie uns die Antworten deutlich machen. Aber solche Möglichkeiten sind nur in 4 von 11 Ländern verpflichtend, in den anderen (soweit wir Antworten erhalten haben) freiwillig oder sie werden den Richtern “nahegelegt”. 

In Zeiten einer sich rasant ändernden Welt und einer immensen Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnisse darüber finden wir das zu wenig, sprich absolut ungenügend.

Ergebniskontrollen:

Diese Frage steht natürlich in engem Zusammenhang mit dem Thema “Qualität” und deren Sicherung. Wir hatten dies gesondert abgefragt, um zu erfahren, ob man sich in den Ministerien dazu überhaupt Gedanken macht. Etwa dazu, wie man hinterher mit sogenannten Fehlurteilen etwa im Strafrecht umgeht. Dazu kamen aber keine Antworten.

Antworten bezogen sich auf die ständige Hinweisformel “Instanzenzug” oder die “dienstliche Beurteilung” oder sogar auf die Meinung, dass sich solche Überlegungen aufgrund der verfassungsmäßigen Richterunabhängigkeit “verbieten” (Sachsen).

Es gäbe viel, was man im Rahmen von vergleichenden Ergebinissen checken könnte. Etwa ob ein Zivilverfahren mit Urteilsspruch oder mittels eines “Vergleichs” geendet hatte. Wie lange das Verfahren gedauert hat. Wie viele solcher Verfahren in die nächste Instanz gegangen sind und was dabei herausgekommen ist, um Rückschlüsse auf die Urteilsfindung der Vorinstanz ziehen zu können. Um welche Ansprüche es gegangen ist: Vermögenswerte oder Gesundheit(sschäden). In welchem Umfang Gutachter eingesetzt waren, wie deren Meinung im Vergleich zu eingebrachten “Privatgutachten” aussah und inwieweit der Richter auf alle Argumente pro und contra eingegangen ist, wie das beispielsweise der BGH fordert. Undsoweiter undsofort.

Aber zusammenfassend resümierend: Qualitätssicherung, Ergebniskontrollen oder Kritik- und Fehlerkultur sind absolute Fremdworte im Justizwesen. Weshalb es richterlicher Willkür Tür und Tor öffnet. Die Beispiele in dem genannten Buch über “Justizversagen, richterliche Arroganz und mangelnde Fehlerkultur” sowie jene hier bei uns auf www.ansTageslicht.de/Justiz belegen dies beispielhaft.

Auf den Punkt gebracht, jedenfalls nach unserer Meinung: Es besteht massiver Reformbedarf im bundesdeutschen Justizapparat.

(JL)


Hier unten findet sich der Link zu den Umfrageergebnissen im Detail und allen Dokumenten.


Qualitätssicherung in der Justiz: Umfrageergebnisse im Detail

Wie welches Justizministerium konkret geantwortet hat und was unsere Fragen waren, finden Sie hier in ausführlicher Form und als originaler Schriftverkehr.

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