Brigitte HEINISCH - eine Chronologie des alltäglichen Pflege-Wahnsinns
16.09.2000
Brigitte HEINISCH beginnt ihre Arbeit als examinierte Pflegerin in dem Pflegeheim „Jungfernheide“ der Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH in Berlin
01.01.2002
Im Pflegeheim „Jungfernheide“ macht HEINISCH erste Erfahrungen mit dem Pflegenotstand, was sie zum Wechsel in ein anderes Wohnpflegeheim in der Teichstrasse 44 bewegt. Trägerin dieser Einrichtung ist auch hier die Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH
18.-19.03.2002
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen Berlin-Brandenburg (MDK) führt dort eine unangemeldete, anlassbezogene Qualitätsprüfung durch. HEINISCH wird bewusst, dass sie vom Regen in die Traufe kam. Der MDK wird wenig später „Qualitätsdefizite in allen Qualitätsbereichen“ feststellen
13.01.2003
In einem internen Protokoll der Leitungs- bzw. Teamleitungssitzungen wird beschrieben, wie man die Probleme angehen will: durch Täuschung und ‚Manipulation’ der vorgeschriebenen „Pflegeberichte“, in denen alles dokumentiert werden muss, was (angeblich) getan wird:
„Da (…) auf den Stationen Personal fehlt, wird Pflegequalität verloren gehen, Pflegevisiten nicht mehr möglich sein. (…) Im Pflegebericht darf Personalmangel nicht erwähnt werden.Aber der Wortlaut: ’Aus innerbetrieblichen Gründen sind derzeit nur Teilwaschungen möglich.’“
Von Vivantes wird die Existenz dieses Protokolls später mit Nichtwissen bestritten (vor dem Arbeitsgericht am 03.08.2005).
Hier finden Sie einen Ausriß aus dem „Protokoll Leitungssitzung“:
24.01.2003
Drei Wochen nach Arbeitsantritt weist Brigitte HEINISCH die Pflegedienstleitung auf die Überlastung der Pflegekräfte hin: in einer Überlastungsanzeige. Es ist der erste schriftliche Hinweis. Acht weitere Pflegekräfte bestätigen dies ebenfalls durch ihre Unterschrift. Hier einige Auszüge:
- kein Baden und regelmäßiges Duschen der Bewohner
- keine ausreichende Zeit für Bewohner eine für sie angepasste Flüssigkeit und Nahrungsaufnahme zu gewähren
- mangelhafte Dokumentationsführung
24.04.2003
Dauerhafte Umstrukturierung aufgrund Personalmangels: Die Pflegedienstleitung teilt mit, dass das Personal jetzt auch wohnbereichsübergreifend arbeiten müsse, da man zu wenig Fachkräfte habe. Daraufhin reichen HEINISCH und ein weiterer Kollege eine Überlastungsanzeige ein, da sie nun, beispielsweise am 12.05.2003, als einzige examinierte Kraft mit einem Pflegehelfer für 44 Bewohner zuständig war - viele davon bettlägerig, rollstuhlabhängig, inkontinent oder verwirrt und desorientiert
08.-09.07.2003
1. Evaluation des Pflegeheims durch den MDK im Auftrag der Landesverbände der Pflegekassen in Berlin. Das Ergebnis wird am 6.November mitgeteilt
06.11.2003
Schreiben der MDK an die Vivantes GmbH mit der Auflistung zahlreicher Mängel, die im Rahmen der bereits zweiten Qualitätsprüfung festgestellt wurden (Auszüge):
- mangelhafte Grundpflege
- unzureichende personelle Besetzung zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten, gleichmäßigen und fachlich qualifizierten Pflege und Betreuung
- ungenügende interne Qualitätssicherung
- mangelhafte Gestaltung und Dokumentation des Pflegeprozesses.
Der MDK droht Vivantes mit der Kündigung des Versorgungsvertrages, sollten die Mängel nicht behoben werden
22.-23.03.2004
Auf einer zweitägigen Konferenz in Berlin, bei der es um „Die wirtschaftliche Pflegeeinrichtung“ geht, hält die Direktorin des "Forums für Senioren" der Vivantes GmbH einen Vortrag über Pflegeheime, die es zu "Profitcentern" geschafft haben
28.09.2004
In einem Protokoll gibt die Heimleiterin, Frau N., Hilfestellung, wie man die Probleme nach außen hin am besten managt, nämlich dadurch,
„dass Antworten auf Fragen wohl durchdacht und gut formuliert sein sollten. Antworten wie z.B. ‚Ich habe keine Zeit’, ‚Wir sind zu wenig Personal’ sind für das Unternehmen schädlich und sind zu unterlassen. Für die Pflegekraft kann es zu Konsequenzen führen.“ Hier lesen Sie das Protokoll:
16.10.2004
Brigitte HEINISCH weist immer wieder auf die sich verschlechternden Umstände im Wohnpflegeheim in der Teichstraße 44 hin und fordert hierin wiederholt um Aufstockung bzw. um Aufgaben- und Prioritätendeligierung von der Pflegedienstleitung. Sie beschreibt in ihrer 2. Überlastungsanzeige nochmals detailliert die unzumutbaren Zustände im Pflegeheim sowohl für Pflegebedürftige als auch für das Personal und bittet um eine Stellungnahme bis zum 07.11.2004
ab November 2004
Die unbefriedigende Situation schlägt sich inzwischen nicht nur auf die Psyche von Brigitte HEINISCH nieder, sondern macht sich auch physisch bemerkbar: u.a. in Form einer chronischen Magenschleimhautentzündung. HEINISCH bleibt bis Mai 2005 arbeitsunfähig. Was genau passiert ist, schildert Sie uns im Interview.
09.11.2004
Brigitte HEINISCH lässt ihren Rechtsanwalt schreiben: an die Verantwortlichen der Vivantes GmbH. Tenor: Das
„im Arbeitsvertrag benannte Gebot der Wirtschaftlichkeit kann nicht dazu führen, dass die Menschenwürde und die Gesundheit der Heimbewohner vernachlässigt werden.“
Der Anwalt setzt eine Frist, weil die Vivantes bisher auf keine der beiden Überlastungsanzeigen reagiert hat, sondern stattdessen Brigitte HEINISCH zu mobben beginnt. Der Rechtsanwalt weist in seinem Schreiben auch darauf hin, dass im anderen Falle Brigitte HEINISCH eine Selbstanzeige erstatten würde, was wiederum ein staatsanwaltaschaftliches Ermittlungsverfahren zur Konsequenz hätte. Im Übrigen könne dadurch auch eine „nicht genehme öffentliche Diskussion“ über die völlig unzureichenden Zustände entstehen
18.22.2004
Erneute unangemeldete Evaluation des Wohnpflegeheims durch den MDK, ausgelöst durch die Beschwerden von Brigitte HEINISCH, ihrer Kollegen und einer Patientenangehörigen. Noch immer sind die Zustände mangelhaft, mehrere Pflegehilfskräfte fehlen, einige Pflegefachkräfte sind langzeiterkrankt.
Aus mehreren Pflegeplanungen und Durchführungsnachweisen geht hervor, dass einige Bewohner im aktuellen Monat November z.B. überhaupt nicht geduscht, andere nur selten oder zu häufig geduscht oder gebadet wurden. Trotz weiterhin bestehender Pflege- und Personalmängel, vieler Maßnahmen, die bereits nach der 1. Evaluation seitens des MDK empfohlen, aber nicht umgesetzt wurden, erreicht den Betriebsrat von Vivantes lediglich folgendes Zitat: „Die Einrichtung selbst hat erkennbare Fortschritte in der Beseitigung ihrer Qualitätsdefizite gemacht“.
Dem Bericht des MDK ist jedoch zu entnehmen, dass im Gesamtergebnis der Evaluation „die Hinweise auf mögliche Qualitätsmängel, welche die unangemeldete zweite Prüfung auslösten, nicht vollständig entkräftet werden“ können. „Der dringende Handlungsbedarf wurde nochmals verdeutlicht.“
22.11.2004
Vivantes antwortet dem Rechtsanwalt von Brigitte HEINISCH (vgl. 9. November):
„Den Vorwurf der nicht sichergestellten ausreichenden Pflege ... weisen wir entschieden zurück. ... Dieser Vorwurf bedeutet eine verleumderische Behauptung von Frau HEINISCH gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen.“
04.12.2004
Weil Vivantes keinerlei Bereitschaft zeigt, sich mit der Kritik und den Vorwürfen sachlich auseinanderzusetzen, erstattet Brigitte HEINISCH über ihren Rechtsanwalt Strafanzeige (pdf-file, 6 S., 700 KB) gegen die verantwortlichen Personen der Vivantes-Netzwerk für Gesundheit GmbH. Die Staatsanwaltschaft solle den Tatverdachts des besonders schweren Betrugs nach § 263 Abs. 3 StGB überprüfen, weil offizielle Versprechungen hinsichtlich Pflegeumfang sowie Pflegequalität in deutlichem Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen stehen
05.01.2005
Die Berliner Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen Vivantes bereits nach einem Monat ein. Aus dem Schreiben an den Prozessbevollmächtigten Brigitte HEINISCHS geht hervor, dass keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den vorgeworfenen Betrug vorlägen
19.01.2005
Vivantes reagiert ebenfalls prompt: Brigitte HEINISCH wird gekündigt - zum 31. März
27.01.2005
Kollegen und Freunde von Brigitte HEINISCH schließen sich zu einem Solidaritätskreis zusammen und fordern in einem Flugblatt auf, der Bewegung beizutreten. Dabei geht es jetzt nicht mehr nur gegen die Zustände im Pflegeheim Vivantes und um die Kündigung von Brigitte HEINISCH, sondern ganz grundsätzlich um den „alltäglichen Wahnsinn in unseren Pflegeheimen“, konkret den „Wahnsinn zwischen der tagtäglichen Arbeitsüberlastung und daraus folgender physischer und psychischer Erschöpfung“. Gefordert wird eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung in Berlin und anderswo. Das Gründungstreffen für den überparteilichen und überbetrieblichen Solidaritätskreis soll am 8. Februar stattfinden im Ver.di-Gewerkschaftshaus stattfinden
31.01.2005
Brigitte HEINISCH erscheint um 23:30 Uhr im Wohnpflegezentrum Teichstrasse und bittet die dortige Nachtwache, das Flugblatt in allen Wohnbereichen zu verteilen
01.02.2005
Die Pflegedienstleitung der Teichstrasse 44 fordert HEINISCH zu einer unverzüglichen Stellungnahme zum Flugblatt bis zum 04.02.2005 auf. Brigitte HEINISCH reagiert darauf nicht
04.02.2005
Vivantes schreibt an den Betriebsrat: es geht um den "Kündigungssachverhalt": das
"für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauensverhältnis sei unwiderruflich so schwer zerstört, dass uns eine Fortsetzung dieses Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Frau Heinisch steht im Verdacht, das Unternehmen Vivantes, insbesondere jedoch das Forum für Senioren durch ihr Verhalten und Äußerungen so schwer in Misskredit zu bringen und dabei der Vivantes schweren wirtschaftlichen Schaden zufügen zu wollen."
08.02.2005
Der Betriebsrat lehnt den Antrag der Vivantes GmbH auf außerordentliche Kündigung von HEINISCH ab. Dies läge zum einen daran, dass Brigitte HEINISCH auch an einem anderen Arbeitsplatz bei Vivantes weiter beschäftigt werden kann, des Weiteren kann ihr weder die Initiierung des Flugblattes noch die Weitergabe von Daten an die Presse nachgewiesen werden.
Am gleichen Tag findet auch das Gründungstreffen des Solidaritätskreises „Menschenwürdige Pflege“ statt. Dieser unterstützt die Altenpflegerin bis heute und kämpft für die Rücknahme ihrer „krankheitsbedingten“ Kündigung. Sie fordern die Aufklärung und Behebung der mangelhaften Arbeitsbedingungen bei der Vivantes GmbH
09.02.2005
Vivantes kündigt erneut: diesesmal fristlos:
07.03.2005
Die regionale Fernsehsendung Berliner Abendschau des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) befasst sich mit dem Fall und zeigt verschiedene Dienstpläne aus der Teichstrasse, die die von Brigitte HEINISCH kritisierten Missstände unterstreichen
16.03.2005
Die Tageszeitung Junge Welt berichtet unter dem Titel: "Pflege macht krank. Berliner Krankenhaus will unbewueme Altenpflegerin loswerden. Staatsanwaltschaft ignoriert"
08.04.2005
Auch die Zeitung Neues Deutschland verfolgt die Entlassung und beschreibt die "sinkende Pfegequalität durch unternehmerischen Kostendruck" in der halb privatisierten Vivantes GmbH
19.04.2005
Vivantes wendet sich erneut an den Betriebsrat und versucht eine erneute Kündigung zum 30. Juni 2005 zu erwirken. Aber auch dieses Vorhaben stößt bei den Kollegen auf Unverständnis. Die Zustimmung zur Kündigung wird verweigert
25.04.2005
Trotz der Ablehnung einer Kündigung durch den Betriebsrat wird Brigitte HEINISCH zum 30.06.2005 gekündigt. Sie selbst geht dagegen gerichtlich vor
26.05.2005
Nach wiederholten Versuchen des Rechtsanwaltes von Brigitte HEINISCH, ein staatliches Ermittlungsverfahren gegen Vivantes anzustreben, wird das Verfahren erneut eingestellt. Begründung: „Hinsichtlich des Vorwurfs des Betrugs fehlen tatsächliche Anhaltspunkte für konkrete täuschungsbedingte Vermögensverfügungen konkreter Personen. Es ist nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, Ermittlungen wegen Vermutungen oder allgemeiner Missstände durchzuführen.“
03.08.2005
Ein erstes Teilurteil des Arbeitsgerichts stellt fest, dass das Arbeitsverhältnis mit der schriftlichen (ausgesprochenen) Kündigung vom 09.02.2005 nicht beendet wurde. Die Richter setzen den Rechtsstreit zur erneuten Kündigung vom 25.04.2005 ersteinmal aus.
Das Flugblatt müsse ihr zwar zugesprochen werden, verletze jedoch ihre arbeitsrechtlichen Rechte nicht und sei somit kein Kündigungsgrund
07.10.2005
Vivantes legt gegen das Urteil vom 03.08.2005 Berufung ein. Das Unternehmen wiederholt sein Anliegen vor dem Landesarbeitsgericht und fordert erneut die Kündigung des Arbeitsvertrags. Berechnungen werden angestellt, welche belegen sollen, dass ein Personalmangel zu keiner Zeit bestand. Demnach werden für die 43 Bewohner der Wohnbereiche 5 und 6, in denen auch HEINISCH beschäftigt war, etwa 13 Personen benötigt, so dass im November 2004 auch 11 Vollkräfte eingeteilt worden seien
Oktober 2005
Brigitte HEINISCH findet eine neue Anstellung beim Humanistischen Verband in Berlin
Ende 2005
Begehung des Pflegeheimes Teichstrasse durch das Gesundheitsamt. Grund war das wiederholte Auftreten von Durchfallerkrankungen
27.01.2006
Brigitte HEINISCH erwidert auf die Berufung von Vivantes mit einem Schriftsatz, in dem es heißt: „…Die Berechnung der Beklagten [Anm. d. Red.: Vivantes] ist mithin fehlerhaft. … Der Klägerin liegt nämlich der Dienstplan für den Monat November 2004 vor, woraus sich ergibt, dass lediglich 9,5 Vollzeitkräfte im November eingesetzt waren, also die Angaben diesbezüglich fehlerhaft sind.“
15.02.2006
Erneute Verhandlung vor dem Arbeitsgericht. Ein Fernsehteam des RBB sowie zahlreiche andere Journalisten sind dabei. Der RBB berichtet noch am Abend über den „Fall HEINISCH“ und die dahinter stehenden Probleme. Auch Vertreter von DIE WELT und Berliner Morgenpost berichten. Die Prozessentscheidung wird jedoch auf den 28.03.2006 vertagt
16.02.2006
Im Berliner Kurier Im Berliner Kurier bestätigt ein betroffener Sohn eines Pflegebedürftigen im Vivantes Pflegeheim den mangelhaften Umgang mit den Patienten. Brigitte HEINISCH schildert wiederholt die unangemessene Situation des Pflegeheimes
Auch Der Tagesspiegel berichtet über die „industrialisierte Pflege“ bei der Vivantes GmbH und den Kampf der Brigitte HEINISCH, die auch nach drei Kündigungen durch Vivantes nicht aufgibt: "Der Aufstand der Pflegerin"
28.03.2006
Endgültige Urteilsverkündung durch das Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin „im Namen des Volkes“:
Die Klage von Brigitte HEINISCH wird abgewiesen. Begründung:
- Die Zusammenarbeit beider Parteien sei nicht mehr unzumutbar
- Brigitte HEINISCH habe die Vorwürfe „in keiner Weise“ belegen können
- Dies „stelle eine schwer Loyalitätsverletzung dar“
- HEINISCH habe auch „versäumt, zunächst innerbetrieblich für Abhilfe zu sorgen. Bei einer solchen Pflichtverletzung sei dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten.“
Hier geht es zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin:
HEINISCH legt daraufhin am 03.07.2006 Beschwerde ein. Der Rechtsstreit erreicht die nächste Instanz, das Bundesarbeitsgericht
26.-27.04.2006
Und wieder findet der MDK (Medizinische Dienst der Krankenkassen Berlin/Brandenburg) Anlass für eine unangemeldete Qualitätsprüfung in der Teichstrasse 44
10.05.2006
Die Ergebnisse der MDK-Prüfung liegen vor: Sie bestätigen die Kritik und die vielen Überlastungsanzeigen von Brigitte HEINISCH:
- „teilweise gravierende Mängel in der Prozess- und Ergebnisqualität“
- „Eine individuelle, fördernde und prozesshafte Versorgung der Bewohner im Sinne der aktivierenden Pflege findet nicht statt“
- „psycho-soziale Unterversorgung“
- „Bewohner müssen sich in hohem Maße an die unzureichenden Gegebenheiten in der Pflegeeinrichtung anpassen“
- „Die eingangs aufgeführten Beschwerden zur anlassbezogenen Qualitätsprüfung lassen sich aufgrund der festgestellten Defizite nicht entkräften.“
In Stichproben, bei denen die Pflegesituation von acht Pflegebedürftigen überprüft wurde, wurde der Pflegeleitung empfohlen, fünf der Patienten aufgrund „kurzfristig nicht behebbarer Mängel in der stationären Pflege“ in andere Pflegeheime umzusiedeln.
Hier geht es zu den vollständigen Prüfergebnissen (pdf, 51 S., 3,3 MB)
25.06.2006
Der Berliner Kurier greift nach der Prozessentscheidung nochmals das Thema der unzureichenden Altenpflege in Deutschland auf und bezieht auch hier die Schilderungen und Erlebnisse Brigitte HEINISCHS mit ein. Es werden zahlreiche Beispiele von Patienten aufgezeigt, die Mangels Pflege und Betreuung erheblich unterversorgt oder gar verstorben sind
03.07.2006
Die Rechtsvertretung von Brigitte HEINISCH reicht ein 48 Seiten umfassendes Schreiben beim Bundesarbeitsgericht ein. Diese Nichtzulassungsbeschwerde stützt sich auf mehrere, voneinander abweichende Rechtssätze im Urteil des LAG Berlin vom 28.03.2006. Der Rechtssatz im Urteil des LAG, Frau HEINISCH habe „leichtfertig falsche Angaben“ gemacht, stehe „in direktem Widerspruch zum Rechtssatz des BAG, in dem es heißt: 'Mit diesen Grundgeboten des Rechtsstaates ist es nicht vereinbar, wenn derjenige, der in gutem Glauben eine Strafanzeige erstattet hat, Nachteile dadurch erleidet, dass sich seine Behauptung nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder nicht aufklärbar erweist'“.
Grund für die Beschwerde ist die Erklärung des LAG, HEINISCH habe die Gründe und Beweise nicht ausreichend detailiert dargelegt, damit leichtfertig gehandelt. Eine fristlose Kündigung sei darum gerechtfertigt. Hier zu lesen: die Nichtzulassungsbeschwerde (pdf, 48 S., 3,3 MB)
Abends geht das politische Magazin Report Mainz auf Sendung. Jetzt wird der Fall erstmals einem größeren Publikum bekannt: Gefährliche Altenpflege. Der Redakteur Gottlob SCHOBER saß schon länger an diesem Fall, konnte aber erst senden, nachdem einige Behauptungen der Altenpflegerin auch beweisbar waren (6.21 Min.)
07.07.2006
Die Berliner Zeitung gibt Inhalte des MDK-Prüfberichtes wieder, in dem die stetig wiederholten Aussagen von Brigitte HEINISCH bestätigt werden. Die Vivantes GmbH lehnt eine Stellungnahme ab.
26.08.2006
Brigitte HEINISCH wird für ihren Einsatz gegen die Missstände bei der Betreuung älterer Menschen mit dem Medienpreis „Brisant Brillant“ geehrt. Auslober ist die ARD, die diese Auszeichnung für besonderes Engagement in der Kategorie „Held des Alltags“ vergibt.
10.10.2006
Auch das ZDF-Magazin Frontal21 berichtet über die Missstände in Altenpflegeheimen und greift dabei den Fall Brigitte HEINISCH auf. Es wird deutlich, dass die Verschwiegenheitsklausel des MDK gegenüber Dritten, wenn es sie nicht gäbe das Leben einiger Patienten hätte retten können.
Dieser interessante Bericht ist nicht mehr online - das ZDF hat sich entschlossen, alle eigene Fernsehbeiträge, die älter als 12 Monate sind, vom Netz zu nehmen.
21.12.2006
HEINISCH's Prozessbevollmächtigter strengt mit einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Berlin die Wiederaufnahme des Verfahrens an und unterstreicht die bisherigen Bemühungen HEINISCHS mit Ausführungen der Qualitätsprüfung des MDK vom 10.05.2006 – hinreichende Beweise sollen der Vivantes nun auch den Tatbestand der Körperverletzung nachweisen.
16.01.2007
Die Staatsanwaltschaft Berlin erklärt sich zur Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Vivantes wegen Körperverletzung bereit.
13.04.2007
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), die seit 1999 einen "Whistleblowerpreis" für Zivilcourage und Engagement verleiht, erkennt den diesjährigen Preis u.a. Brigitte HEINISCH zu. Die Mitglieder des VDW bekennen sich zur "Verantwortung in der Wissenschaft" und thematisieren deswegen regelmäßig relevante, aber ungelöste Probleme in unserer Gesellschaft. Weitere Infos unter "Whistleblower"
06.06.2007
Trotz umfassender Darstellung der abweichenden Rechtssätze im Urteil des LAG (28.03.2006) weist das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Nichtzulassungsbeschwerde von Frau HEINISCH ab. Grund: Die zum Vergleich vorgelegten Rechtssätze des BAG (vgl. 03.07.2006) „betreffen nicht die selbe Rechtsfrage.“
Lesen Sie dazu einen kleinen juristischen Kommentar, den der Richter am Bunderverwaltungsgericht, Dr. Dieter DEISEROTH, bereits zum Urteil des LAG Berlin geschrieben hatte: "Kündigungsschutz bei Kritik an Missständen in der Altenpflege"
27.04.2007
Benedikt HOPMANN, Rechtsanwalt von Brigitte HEINISCH, reicht in ihrem Namen eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Damit wird die Aufhebung 2. LAG-Urteils und des BAG-Urteils beantragt, da diese Entscheidungen die Grundrechte seiner Mandantin verletzt haben.
27.07.2007
2. Schreiben von Brigitte HEINISCHS´ Anwalt an die Staatsanwaltschaft Berlin. Auch hier regt er die Wiederaufnahme des Verfahrens an und führt Tatsachen an, welche neben der Körperverletzung auch den Betrug untermauern sollen. So schildert er beispielsweise die genau berechnete personelle Unterbelegung von 2002 bis 2004, die in keinster Weise den vereinbarten Pflegeleistungen der Vivantes GmbH, wie auch dem Branchendurchschnitt entsprechen. Auch eine Anleitung zum Ausfüllen der Anforderung für Pool- und Leasingkräfte zeigt die intern gewollte Abweichung von den Vorgaben der Krankenkassen: „Grundlage der Plan-Personalbemessung Ihrer Einrichtung aus der Sicht der Pflegekassen … ist eine Auslastung von 98 %. … Unternehmensintern wurde generell eine Auslastung von 95 % geplant ….“
08.10.2007
HEINISCH's Rechtsanwalt HOPMANN reicht bei der Berliner Staatsanwaltschaft ergänzend den 2. Evaluationsbericht des MDK 25.11.2004 nach, um den Vorwurf des Betrugs nochmals zu belegen und den gravierenden Personalmangel zu verdeutlichen.
07.11.2007
Vortrag von BRIGITTE HEINISCH im Ver.di-Gebäude in Berlin. Thema: „Satt und sauber? Eine Altenpflegerin kämpft gegen den Pflegenotstand“. Diesen Titel trägt auch ihr neues Buch, in dem sie die Vorkommnisse und ihre Erlebnisse dazu schildert: erschienen 2008 im Rowohlt Verlag.
06.12.2007
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe lehnt Brigitte HEINISCH's Verfassungsbeschwerde (Nichtzulassung der Berufung beim BAG) ab. Von einer Begründung sehen die Karlsruher Richter ab. HEINISCH ist entschlossen, dagegen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ziehen.
2009
Im Gegensatz zum deutschen Bunderverfassungsgericht nimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Beschwerde von Brigitte HEINISCH an.
21.07.2011
Zwei Jahre danach bzw. 4 Jahre nach der Ablehnung des Bundesverfassungsgerichts bzw. nach über 5 Jahren seit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin (siehe 28. März 2006) nimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Vorgang Stellung. Europas höchste Richter stellen fest, dass die deutsche Arbeitsgerichtsrechtssprechung im Fall HEINISCH, insbesondere durch das Landesarbeitsgericht Berlin, eine "Verletzung von Artikel 10 (Freiheit der Meinungsäußerung)" bedeutet.
Das Urteil enthält einige bemerkenswerte Aspekte, die Signalwirkungen haben werden:
- "Whistleblowing", also "die Offenlegung von Missständen in Unternehmen oder Institutionen durch Arbeitnehmer" fällt "in den Geltungsbereich von Artikel 10" der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie entspricht dem deutschen Artikel 5 im Grundgesetz, der die Meinungsfreiheit garantiert. Anders gesagt: Das Recht auf freie Meinungsäußerung enthält auch Whistleblowing!
- "In einer demokratischen Gesellschaft ist das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel", z.B. in der institutionellen Altenpflege, "so wichtig, dass es gegenüber dem Interesse dieses Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen überwiegt"
- Und weil das Landesarbeitsgericht Berlin "gegen Frau Heinisch die härteste arbeitsrechtliche Sanktion verhängt" hat, "könnte das auch eine abschreckende Wirkung auf andere Mitarbeiter des Unternehmens gehabt und sie davon abgehalten haben, auf Mängel in der institutionellen Pflege hinzuweisen". Könnte bedeuten, so die Richter, dass "die Sanktion selbst auf andere Arbeitnehmer in der Pflegebranche eine abschreckende Wirkung und somit gesamtgesellschaftlich einen negativen Effekt gehabt haben".
Die Richter am Landesarbeitsgericht Berlin haben all diese Aspekte nicht ausreichend gewürdigt und nicht in einen Ausgleich zueinander gebracht. Brigitte HEINISCH steht daher eine Entschädigung zu.
Hier gibt es weitere Informationen dazu:
- die offizielle Pressemeldung des EGMR zum Fall HEINISCH
- das Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs (EGMR) in englischer Sprache (20 S.)
- eine Stellungnahme des Whistleblower-Netzwerks zum Urteil des EGMR
Jetzt muss erneut verhandelt werden: vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin, das am 28. März 2006, also rund fünf Jahre zuvor, der Meinung war, dass HEINISCH eine "schwere Loyalitätsverletzung" gegenüber ihrem Arbeitgeber begangen habe und dass dies das einzige sei, was letztlich zählen würde.
24.05.2012
Rund zehn Monate nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) findet die erneute Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin statt. Der Richter hat eine schwere Aufgabe vor sich:
- zum einen muss er die Vorgaben des EGMR berücksichtigen - sein eigener Entscheidungsspielraum ist nicht so groß
- zum anderen wird erwartet, dass er 'seine' Kollegen 'rettet', die sechs Jahre zuvor "im Namen des Volkes" Alarmschlagen als Kündigungsgrund gesehen hatten.
Dies in einem Urteil schriftlich zu begründen, dass das letzte LAG-Urteil nicht mit den Menschenrechten zu vereinbaren war, ist eine heikle Aufgabe. Richter machen so etwas nicht besonders gern. Sie ziehen Vergleiche vor: Da muss ein Richter überhaupt nichts schriftlich begründen. Und kann - so gesehen - auch nicht in ein juristisches Fettnäpfchen treten, weil er sich mit niemandem anlegen und niemandem wehtun muss: weder mit dem Höheren Gericht noch mit seinen Kollegen.
Die Verhandlung endet daher auch mit einem Vergleich - nach insgesamt fünf Stunden, die für Brigitte HEINISCH und ihren Anwalt Benedict HOPMANN, aber auch für alle anderen ziemlich nervaufreibend waren. Und das sind die Ergebnisse des Vergleichs:
- die durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg vom 28. März 2006 bestätigte fristlose Kündigung von HEINISCH vom 9.2.2005 wird in eine „ordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen zum 31.3.2005“ umgewandelt
- die weiteren von Vivantes ausgesprochenen Kündigungen vom 19.1.2005 sowie vom 25.4.2005 – und die darin enthaltenen Begründungen – sind damit „gegenstandslos“
- Vivantes zahlt an HEINISCH eine Abfindung von 90.000 € brutto gemäß §§ 9 - 10 Kündigungsschutzgesetz
- Vivantes stellt HEINISCH auch ein wohlwollendes Zeugnis aus, das sie in ihrem beruflichen Fortkommen nicht behindert
- alle denkbaren Ansprüche der streitenden Parteien sind damit erledigt
- und die Kosten des Restitutionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Einen ausführlichen Bericht über den Ablauf der Verhandlung hat Annegret FALTER zu Papier gebracht: Zum zweiten Mal vor dem LAG Berlin: Prozessbeobachtungen.
Damit ist der Fall für Brigitte HEINISCH juristisch erledigt. Menschlich und körperlich hat sie dies Nerven und ihre Gesundheit gekostet. Eine Hoffnung bleibt: Dass Menschen, die künftig Alarm schlagen und auf Missstände hinweisen, nicht nur nicht mehr gekündigt werden, sondern auch schneller Änderungen herbeiführen können.
(SN / JL)
Online am: 28.10.2015
Inhalt:
- Die Geschichte von Brigitte HEINISCH im Überblick
- Chronologie des alltäglichen Pflege-Wahnsinns
- Brigitte HEINISCH: zum zweiten Mal vor dem Landesarbeitsgericht in Berlin
- Im Gespräch mit Brigitte HEINISCH: ein Interview
- Ein anderer Fall: Petra RICHERS in Bayern
- Altenpflege: Was kann man tun? Hilfen + Adressen
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Whistleblower
Dies ist die Geschichte eines Whistleblowers