Die Berichte des Berliner Tagesspiegel, 28.04.2003

von Juergen SCHREIBER

Der Laute und der Leise, der Temperamentsbolzen und die Sphinx

Duell der Eitelkeiten

Noch ehe Eberhard Kempf im Frankfurter Schwurgerichtssaal 165c Platz nimmt, sondiert er die Lage: Der Rechtsanwalt streift in automatischer Beiläufigkeit die Robe über, packt Aktenordner aus, überprüft das Handy, während er gleichzeitig Kontakt zur Pressetribüne aufnimmt: Seht her, sagt sein wacher Brillenblick den Journalisten, ich bin hier, vergesst mich nicht.

Der 59-Jährige vertritt in der Verhandlung gegen den mutmaßlichen Mörder Jakob von Metzlers dessen Eltern. Es ist gewöhnungsbedürftig, einen der renommiertesten Strafverteidiger des Landes neben den Anklägern Justus Koch und Wilhelm Möllers sitzen zu sehen. Er überragt sie nicht nur optisch um einen Kopf. Kempf ist auf dieser Seite des holzgetäfelten Raumes die dominierende Erscheinung, der wahre Gegenspieler des nicht weniger bekannten Kollegen Ulrich Endres. Der verstaut ihm gegenüber auf der Verteidigerbank neben dem Angeklagten Magnus G. seine langen Beine unter der Tischplatte und riskiert zum Sitzungsbeginn mit knappem Nicken ebenfalls einen Gruß in Richtung Medien.

"Ich kann es besser als du"

Die beiden Top-Juristen sind beim "Prozess des Jahres" wechselweise aufeinander fixiert. Ein kaltes Kammerspiel läuft da, es knistert förmlich in dem Psychokrieg. Wiewohl Duz-Kumpel, sind sie sich in herzlicher Abneigung und Konkurrenzkomplexen verbunden. Selten dürften sich zwei Spitzenleute auch auf der professionellen Ebene so abgelehnt haben wie Endres und Kempf, subtile Nickeligkeiten fliegen zwischen ihnen hin und her. Sie gucken sich zwar an, sehen aber durch den anderen hindurch, messen sich mit Blicken, in denen jedenfalls keine Hochachtung liegt. Die Botschaft, die sie sich wortlos übermitteln, lautet: "Ich kann es besser als du." Der Vorsitzende Richter Hans Bachl hat die undankbare Aufgabe, mit seiner sanften Stimme zwischen den Streithähnen zu moderieren.

Vor der 22. Großen Strafkammer geht es um die Entführung und Ermordung eines elf Jahre alten Kindes. Es geht aber auch um das Duell dieser zwei Männer, Rivalen von der Rennbahn um spektakuläre Mandate. Beiden wird das Prädikat Staranwalt zugebilligt, in dieser Eigenschaft treten sie zugleich als Selbstverteidiger des eigenen Ruhms auf. Endres tackert in demonstrativer Lässigkeit auf den Absätzen seiner branchenbekannten Cowboystiefel herein, Kempf nähert sich geradezu lautlos in einer Art steifer Würde. Sie tragen die Roben wie maßgeschneidert, geschmeichelt vom öffentlichen Interesse. Sofern es etwas Verbindendes gibt, ist es der aus enormer Publicity resultierende Adrenalinstoß samt einer unabdingbaren Eitelkeit.

Dem Opferanwalt Kempf fällt in diesem Fall schon kraft Amtes die Rolle des Sympathieträgers zu. Verteidiger Endres hingegen hat es nicht nur mit den Fakten eines in allen Facetten ungeheuerlichen Verbrechens zu tun, sondern auch mit einer Stimmungslage, die ihn weniger mit dem Pflichtpensum für einen Mandanten, sondern gleichsam mit der Tat identifiziert. Keines seiner 60 Schwurgerichtsverfahren verlangte ihm so das Äußerste ab wie das Drama um Jakob. Nicht von ungefähr erinnerte der Dr. jur. mit bitterem Zug um den Mund seinen Gegenspieler Kempf daran, "würden Sie auf dieser Seite sitzen, würden Sie dieselben Anträge stellen wie ich"; womöglich noch schneller. Kempf würde darüber hinaus, wettert Endres, sämtliche nun von ihm an den Angeklagten gerichteten Fragen "mit Vehemenz ablehnen". Einmal in Fahrt, schwillt ihm der Kamm, dass er den Mikrofonknopf nur noch für die Antwort drückt: "Die Frage bleibt unbeantwortet. Das trifft für alle weiteren Fragen von Ihnen zu, Herr Kempf!" Man sieht ihm förmlich an, wie in diesem Moment vor seinem inneren Auge Kempfs Vita abläuft.

Der gebürtiger Badener hat einen weiten Weg genommen. Heute teilt er einer internationalen Klientel via Homepage mit, seine Kanzlei sei binnen 35 Minuten vom Flughafen aus erreichbar. Die Nobeladresse beim Frankfurter Holzhausenpark sieht Kempf als Teil seines Images und als Geschäftsgrundlage gleichermaßen. Laut "Rundschau" nimmt er Honorarpauschalen, die so hoch sein könnten "wie das Jahreseinkommen eines ganz normalen Anwalts". Von sagenhaften Beträgen wird auch im Fall Metzler gemunkelt. Gern schlüpfen in Bedrängnis geratene Wirtschaftsbosse wie Josef Ackermann von der Deutschen Bank bei ihm unter oder der Politiker Jürgen Möllemann. Kohls Kassenkünstler, der Wirtschaftsprüfer Horst Weyrauch, ließ sich von Kempf vertreten.

Seine Banker-Anmutung, mit Zweiteilern von ausgesuchter Eleganz und Schlipsen in fließender Seide, unterstreicht die Aura bürgerlicher Solidität. Aber vielleicht genau um jene Spur zu aufgesetzt, die einen Aufsteiger verrät, der sich mit feinen Stoffen Exklusivität beweist. Kempf rang sich den Status ab, ohne dadurch die Lässigkeit des Etablierten zu gewinnen. Vergleichbar dem ebenfalls Frankfurts Szene entsprungenen Außenminister Fischer wirkt sein Stil wie eine Übersprunghandlung, Kontrast zur Vergangenheit beim Kommunistischen Bund Westdeutschland, KBW, in Sponti-Kreisen kurz "KB-wupp-dich". Links von den Sektierern kam bekanntlich nur noch Albanien und Kambodscha. Trotzdem ist die Dialektik der Geschichte immer wieder schön, die einen, der unter roter Fahne für die "proletarische Diktatur" (so hieß das) stritt, nun in Interviews mit der Selbsteinschätzung aufwarten lässt: "Ich verbiege mich nicht." Manche nennen Kempf "Advokat für Superreiche", Weggefährten schildern ihn hingegen als sozial. Die Urteile streuen weit, seine Kompetenz steht außer Zweifel.

In den verjährten wilden, kapitalismuskritischen Jahren (um das Mindeste zu sagen) vertrat der heute so unbeirrbar Gediegene militante Atomkraft- und Startbahngegner, Hausbesetzer, RAFler, ein harter Brocken für die vom KBW geschmähte "Klassenjustiz". Damals ließ ein Amtsrichter den widerborstigen Genossen Anwalt bei einem Demo-Prozess vom Wachtmeister aus dem Saal tragen, was seit der Weimarer Republik nicht mehr vorgekommen war. Die Pointe der alten Geschichte ist, dass man sich an dem Schwergewicht heute einen Bruch heben würde.

Es ist noch nicht lange her, da saß er im Schwurgericht auf Endres Platz, verteidigte den Terroristen Hans-Joachim Klein, der sich in der deprimierenden Atmosphäre dieses hellen Raums wegen dreier Morde und Geiselnahme zu verantworten hatte. Im 165c schwebt noch Kempfs verständnisinniger Vortrag zu Kleins labyrinthischem, verpfuschten Leben, der dunklen Last politischen Irrtums und der Banalität des Bösen. Wer ihn hörte, weiß, er kennt das Schweregefühl einer Verteidigung hoffnungslos Gestrandeter. Jakobs Peiniger Magnus G. ist auch einer. Nicht umsonst wies Endres seinen Kempf schneidend darauf hin, manche Ausführung hier "steht Ihnen nicht gut zu Gesicht". Er könnte auch schlicht dessen Website mit dem hehren Anspruch zitieren: "Die Würde auch und gerade des unter Verdacht geratenen Menschen" sei zu wahren.

Der Rollenspieler in Kempf war es, der Klein seine schlechte Kindheit zugute hielt, der die Kronzeugenregelung für ihn erbat, die er stets vehement abgelehnt hatte. Schlussendlich verhinderte seine artistische Handhabung des Strafgesetzbuches die Höchststrafe. Sonst spricht er sich als Standesvertreter generell gegen "Lebenslänglich" aus. Wird er sie für Magnus G. fordern? Hier demonstriert er eine Geschmeidigkeit, die man in ihm nicht vermutet hätte, thront von der ganzen Statur her wie ein Generalstaatsanwalt neben den eigentlichen Anklägern.

Meist sitzt er mit glattem, unbewegtem Gesicht da, den Kopf auf die Hand gestützt, die Lippen ein schmaler Strich. Wenn er lächelt, lächelt er eisern. Kempf schweigt über Stunden, brütet vor sich hin mit wachem, prüfenden Raubvogelblick. Dann stößt er fragend zu mit unheilverkündendem Vorhalt: "Sie sagen...", um im Widersprüchlichen zu bohren. Wehe, wenn er Jakobs Peiniger im dialektgefärbten Tonfall einkreist, einem quälend langsamen Sprechgesang. Erst wenn alle Zettel abgearbeitet sind, schließt er den DIN-A-4-Block mit theatralischer Geste.

Die Frauen entscheiden

Sein Widerpart Endres ist gegenüber dem sphinxhaften Kempf ein offenes Buch. Der 56-Jährige hat ein leicht reizbares Temperament, markiert sein Territorium mit scharf formulierten Sätzen. Fast berechenbare Ausbrüche zugunsten von Angeklagten verraten einen Rest gesellschaftlichen Idealismus, der ihm von 68 blieb. Endres zeigt Gefühle in dieser Sache, die ihm schon Tränen in die Augen trieb und, was er hasst, sein Innerstes offenbarte. Sonst rauscht der Marathonläufer energiegeladen durch den Alltag, diesmal laugen ihn die Sitzungen emotional aus. Geschlagen mit einem phänomenalen Zitaten-Gedächtnis, trägt er das Gesagte tagelange mit sich herum.

Noch nie stand er dermaßen im Brennpunkt, auch von lieben Kollegen, die hinter vorgehaltener Hand Kritik an seiner Strategie streuen. Besonders sind es solche Advokaten, die gern ins Fernsehen kämen wie er. Unter übertriebenen Zweifeln leidet Endres nicht, warum auch? Täglich kommen ihm neue Sensationsfälle auf den Tisch. Der Justizautor Norbert Leppert lobt, "was der beim Gericht nicht rausholen kann, das geht dann auch nicht". Bei aller Prominenz legt Endres Wert darauf, "nicht abgehoben" zu sein; unschwer zu erkennen als Gegenbild zu Kempf. Dem "Ex-Kommunisten" gilt seine unverhohlene Verachtung, "der hat sich um 180 Grad gedreht".

Das Duell der Giganten mag den Prozess dominieren, am Ende bestimmen Frauen das Urteil: Der Vorsitzende Hans Bachl ist der einzige Mann der 22. Strafkammer.