Folter und/oder Drohen: die Rechtsproblematik

"Auch der beste Zweck heiligt niemals das Mittel der Folter" - so der Vizepräsident des höchsten deutschen Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts, Winfried HASSEMER: Folter ist ohne Ausnahme und Einschränkung verboten.

Einige Juristen sehen dies allerdings anders...

Viele Menschen, vor allem Mütter und Väter, konnten das Verhalten des Frankfurter Polizei-Vizepräsidenten Wolfgang DASCHNER vom 1. Oktober 2002 nachvollziehen. Als der Tatverdächtige, der die Entführung des elfjährigen Kindes bereits zugegeben hatte, nicht sagen wollte, ob der Junge noch lebt und wo er ihn versteckt hielt, drohte der Vize-Polizeischef mit der "Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen)". Prompt gab der Entführer den Ort preis, an dem er den bereits getöteten Jakob von METZLER verbuddelt hatte - verpackt in einem Plastiksack in einem See.

Was, wenn der Junge noch nicht tot gewesen wäre? Hätte dann nicht das Leben des Jungen gerettet werden können? Darf man oder muss man in so einer besonderen Situation nicht besonders handeln?

Sämtliche deutsche Medien konfrontierten uns mit diesen und ähnlichen Fragen und die Meinungen schäumten in eine meterhohen Diskussionswelle auf. Im Ausland spielten solche Fragen bei Terroristenverhören eine Rolle. Jetzt gab es auch in Deutschland eine "Folterdiskussion".

Ist Folter - darin inbegriffen auch die bloße Androhung - zulässig, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht? Auch wenn die Rechtslage diesbezüglich noch so eindeutig erscheint, gehen die Meinungen in Juristen-Kreisen teilweise doch auseinander.

Auf der einen Seite machen sich Rufe von Ausnahmen und Lockerungen des Folterverbots breit, die andere Seite beharrt auf das Verbot. So auch der amnesty international - Generalsekretär Wolfgang GRENZ: "Nie und unter keinen Umständen darf der Staat foltern."

Tatsache ist zunächst: Selbst in Zeiten des öffentlichen Notstands, in denen einige Grundrechte abgeschafft oder eingeschränkt werden können, gilt das absolute Folterverbot ohne jegliche Einschränkung. So steht es im Grundgesetz, in der Strafprozessordnung, in vielen internationalen Verträgen, wie der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Anti-Folter-Konvention der UN und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Dem Folterverbot voran, geht der Schutz der Menschenwürde, die in Deutschland als höchstes Rechtsgut gilt und die nicht gegen andere Grundsätze abgewogen werden darf (Art. 1 GG). Weiter wird das Folterverbot vom Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit abgeleitet (Art. 2 GG). Die einschlägigen Gesetze und Texte können Sie hier im Anhang über einen Link aufrufen.

Als weiteres Argument gegen die Folter wird immer wieder betont, dass es sich bei den meisten Festnahmen lediglich um Tatverdächtige handele. Im Fall Metzler gestand der Festgenommene zwar, dass er den Jungen entführt habe. Das macht ihn zwar zu einem "dringend Tatverdächtigen", aber eben immer noch nicht zu einem "Schuldigen" - Folter kann also in keiner Weise begründet werden. Deshalb beharren die Folter-Gegner darauf: "Kein Mensch kann bestimmen, ab wann der Festgenommene derartig verdächtig ist, das Folter gestattet wäre."

Es sei daher unmöglich abzugrenzen, in welchen Fällen Folter wie angewendet werden dürfte. Vor allem in Fällen erpresserischen Menschenraubs bzw. Geiselnahme lässt sich die Situation nicht wie in einem Lehrbuchbeispiel darstellen. Darüber hinaus bedürfte es der Klärung vieler Einzelheiten der Ausführung, angefangen bei den anwesenden überwachenden Personen: welche Polizeibeamten? Spezielle Ärzte und Richter?

Man dürfe sich gar nicht vorstellen, wie Aufsehen erregende Kriminalfälle aussähen, wenn die Schwelle zur legalen Folter einmal überschritten wäre. Eine wissenschaftliche Untersuchung in einem anderen Zusammenhang (Telefonüberwachung in Deutschland) hat vor kurzem gezeigt, dass Eingriffsbefugnisse von der Polizei intensiv genutzt werden. Und dass die Kontrollmaßnahmen durch Richter denkbar schlecht funktionieren. Wenn das also schon bei der Telefonüberwachung nicht wirklich funktioniert, die auch schon einen extremen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt, wie könnte man sehr viel stärkere, weil schmerzhaftere Eingriffe rechtfertigen?

Dass die rechtsstaatliche Folter ein Paradoxon ist, zeigt eine Umfrage der Illustrierten Stern: Zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, dass DASCHNER nicht bestraft werden solle. Zahlreiche bekannte Personen taten ebenfalls ihre Pro-Folter-Meinung kund: Hessens Ministerpräsident Roland KOCH (CDU) zeigte Verständnis für DASCHNER, Brandenburgs Innenminister SCHÖNBOHM (CDU) schlug vor, für Terror-Verdächtige das Folterverbot zu lockern. Unter Druck geriet Geert MACKENROTH, der Vorsitzende des Richterbundes, mit der Aussage, dass Fälle vorstellbar seien, in denen auch Folter und ihre Anwendung erlaubt sein könnten. Und der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert endlich eine klare Linie, damit folternde Beamte - was nur in Einzelfällen vorkäme - Rechtssicherheit hätten.

Auf dieser Seite der Diskussion beruft man sich immer wieder auf die damals bestehende "Ausnahmesituation". Erfordern besondere Situationen nicht auch besondere Maßnahmen? Einige behaupten, dass DASCHNER sich anders wegen unterlassener Hilfeleistung oder gar wegen Tötung durch Unterlassung strafbar gemacht hätte.

Juristen, die das Folterverbot differenzierter sehen, argumentieren juristisch so: Ein Rechtfertigungsgrund für Folter könnte bei Rettung von Menschenleben zulässig sein, etwa wenn, ein so genannter "übergesetzlicher Notstand" besteht (so genannte Rettungsfolter). Mit folgendem Beispiel verdeutlicht dies der Heidelberger Rechtsgelehrte Karl DOEHRING: Angenommen "jemand wüsste, dass irgendwo eine Atombombe versteckt ist, die eine Millionenstadt in die Luft sprengen könnte". Er sage es aber nicht. Für diesen Fall müsste es eine Grenze geben, wo Folter zulässig sei. Gefahrenabwehr ist eine polizeiliche Aufgabe.

Der Universitätsprofessor Winfried BRUGGER begründet seine Forderung nach Legalisierung der Folter ähnlich: Der Staat habe eine Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit seiner BürgerInnen (Art. 2 GG), die durch eine zu weite Regelung des Folterverbots eingeschränkt sei und deshalb müssten Ausnahmen zugelassen werden. Abweichungen vom absoluten Folterverbot gibt es nicht, jedoch beinhaltet das Polizeirecht Regelungen, die den Einsatz unmittelbaren Zwangs gegen "StörerInnen" zulassen. BRUGGER vergleicht das Thema mit der in einigen Landespolizeigesetzen normierten Regelung über den so genannten finalen Rettungsschuss. Als letzte Möglichkeit und zur Rettung der Geisel erschießt die Polizei den/die EntführerIn. Dies sei damit vergleichbar, mittels Folter lebensrettende Informationen zu erlangen. Vor allem müsse hier nicht das "unschuldige Leben des Opfers" zugunsten der Rechtsgüter der StörerInnen geopfert werden.

Ist der ach so fest in allen Richtlinien des gesellschaftlichen Miteinanderlebens verankerte Folter-Pfeiler ins Wanken geraten? Zumindest ist unschwer zu erkennen, dass in der Folterdiskussion mehrere Gesetze miteinander kollidieren: Die körperliche Unversehrtheit und Handlungs-/Willensfreiheit eines (potentiellen) Opfers gegen die Menschenwürde des Beschuldigten mit seiner eigenen körperlichen Unversehrtheit.

Und hier ist der Link zu den verschiedenen Rechtsgrundlagen für das Folterverbot.

Was der suspendierte Frankfurter Polizeivizepräsident vor Gericht hätte sagen bzw. wie er sich hätte verteidigen können, darüber hat sich Robert LEICHT, politischer Korrespondent bei der Wochenzeitung DIE ZEIT Gedanken gemacht. Ein von ihm entworfenes fiktives Schlusswort des Angeklagten Daschner können Sie hier nachlesen.

Überlegungen, was Folter ist, oder nicht, hat der Redakteur Hans HOLZHAIDER in der Süddeutschen Zeitung im Zusammenhang mit der Urteilsverkündung gegen den ehemaligen Polizei-Vizepräsidenten angestellt. Diesen lesenswerten Artikel finden Sie hier unter "Folter oder nicht?"

(JL)