Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 22.01.2016

Bewahren, was uns ausmacht

Die "Kölner Botschaft" prominenter Bürger der Region: Für Hilfsbereitschaft und Toleranz

Wir lieben Köln. Wir lieben die Vielfalt unserer Stadt, die Lebenslust, das immer etwas Chaotische, nicht ganz so Reglementierte, niemals Stubenreine, aber auch die Gastfreundschaft und Offenheit für Lebensformen, Kulturen und Sprachen, die erst seltsam anmuten und kurz darauf bereits zum Alltag gehören. Wir lieben die Kraft unserer Stadt, aus Zuwanderern innerhalb kürzester Zeit begeisterte Kölner zu machen.

Die Ereignisse der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof haben uns alle aufgewühlt, beunruhigt, verunsichert. Viele hundert Frauen und Mädchen sind Opfer sexueller Gewalt und brutaler, offenbar bandenmäßiger Kriminalität geworden. Die Behörden, die für unsere Sicherheit verantwortlich sind, haben nicht nur hilflos zugesehen, sie haben dieses große Verbrechen zunächst verharmlost oder sogar zu vertuschen versucht.

Die Ängste, wechselseitigen Vorwürfe, unbeantworteten Fragen und manche reißerischen Medienberichte, die seit der Silvesternacht die Gespräche und Debatten in unserer Stadt beherrschen, drohen zu einer Spaltung in unserer Gesellschaft zu führen.

Der dschihadistische Terror, der weltweit unschuldige Menschen wahllos tötet, hat auch Deutschland ins Visier genommen. Deutsche Rechtsextremisten haben allein im vergangenen Jahr fast tausend Anschläge auf Flüchtlingsheime verübt.

Einen Tag vor ihrer Wahl wurde die jetzige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Und erst vor wenigen Tagen mussten wir in Köln zusehen, wie Anhänger der sogenannten Pegida-Bewegung hemmungslos am Bahnhof randaliert und wie kurz darauf Unbekannte in der Innenstadt Jagd auf Menschen ausländischer Herkunft gemacht haben.

Die unzähligen Helfer genauso wie die verantwortlichen Politiker, die sich in den vergangenen Monaten für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt haben, werden zu naiven Idioten erklärt, wenn nicht zu Vaterlandsverrätern. Auf der anderen Seite fühlen sich Mitbürger, die ihre Sorgen vor der Zuwanderung artikulieren, pauschal als Fremdenfeinde diskreditiert.

Um der wachsenden Polarisierung in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken, ist es wichtig, an das Gemeinsame zu erinnern. Wir alle wollen uns sicher, frei und offenen Blicks bewegen. So haben wir vier Forderungen aufgeschrieben, von denen wir glauben, dass sie nicht nur unsere eigenen sind.

Keinerlei Tolerieren von sexueller Gewalt

Sexuelle Gewalt existiert in den meisten, wenn nicht allen Gesellschaften und Kulturen. In der Silvesternacht wurde sie am Kölner Hauptbahnhof offenkundig von jungen Männern nordafrikanischer und arabischer Herkunft ausgeübt. Auch wenn Alkohol, Drogen und eine verhängnisvolle Gruppendynamik hineingewirkt haben mögen, wäre es blind zu verkennen, dass diesem Exzess ein bedrückendes Frauenbild zugrunde liegt.

Nicht erst seit Silvester wissen wir, dass in manchen Milieus manche Männer ein tiefgreifendes Problem mit der Gleichberechtigung haben. Uns ist dieser Machismo immer wieder auch in Milieus von Menschen arabischer oder orientalischer Herkunft begegnet. Das dürfen, ja müssen wir benennen, wenn wir durchsetzen wollen, dass die Würde der Frau jederzeit und an jedem Ort unantastbar ist.

Kampf gegen bandenmäßige Kriminalität

Viele von uns beobachten oder haben bereits am eigenen Leib erfahren, dass es neben anderen kriminellen Organisationen seit einigen Jahren eine bandenmäßige Straßenkriminalität gibt, die hauptsächlich von Marokkanern und Algeriern verübt wird. Es genügt, mit unseren guten Nachbarn zu sprechen, die selbst aus Marokko oder Algerien stammen, um anzunehmen, dass diese jungen, durchweg alleinstehenden Männer - die übrigens wohl nicht mit der aktuellen Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen sind - bereits in ihren Heimatländern kriminell und drogensüchtig waren. Und wir fragen uns, warum unsere nordafrikanischen Nachbarn diese jungen Menschen zu kennen scheinen und sich über ihre Rücksichtslosigkeit seit Langem beklagen, aber die Polizei augenscheinlich keinerlei Zugriff auf sie hat.

Uns überrascht es nicht, dass im Zentrum der Ereignisse in der Silvesternacht eben diese kriminellen und durch Drogen enthemmten Banden stehen sollen. Wir erwarten, dass der Rechtsstaat entschiedener gegen Straßenkriminelle vorgeht, sie bestraft und gegebenenfalls auch ausweist.

Konsequenzen aus dem behördlichen Versagen

Das Verhalten der unterschiedlichen Ordnungskräfte in der Silvesternacht und erst recht die Stellungnahmen der dienstlich und politisch Verantwortlichen in den Tagen danach machen uns fassungslos. Die Sicherheitsbehörden können uns nicht vor jedem Terroranschlag schützen, aber was am Kölner Hauptbahnhof passiert ist, hätte verhindert werden können. Die Einsatzleitung hat die Lage grotesk falsch eingeschätzt und sogar die angebotene Verstärkung abgelehnt. In der Folge haben Vertreter der unterschiedlichen Behörden die Bevölkerung widersprüchlich und teilweise wahrheitswidrig über die Ereignisse unterrichtet, sich gegenseitig beschuldigt und mit absurden Argumenten zu verteidigen versucht. Nachdem die Behörden die Herkunft der Täter zunächst verschleierten, wurden in den Tagen darauf Beweismaterial und Einsatzberichte, die eben auf diese Herkunft verweisen, Stück für Stück Medien zugespielt.

Hätten die Sicherheitsbehörden die Absicht gehabt - was wir nicht glauben -, Vorurteile zu bestätigen, die Angst vor Flüchtlingen zu schüren und das Vertrauen in den Staat zu untergraben, dann hätten sie sich kaum anders verhalten können, als sie es in der Silvesternacht und den Tagen danach getan haben.

Diese Kritik richtet sich ausdrücklich nicht gegen die einzelnen Polizeibeamten, die unter hohem persönlichem Risiko für unsere Sicherheit sorgen. Ihnen vertrauen wir weiterhin. Aber die dienstlich und politisch Verantwortlichen für das Fehlverhalten müssen benannt und zur Rechenschaft gezogen werden, mögen sie in der Hierarchie unter oder über dem in den Ruhestand versetzten Polizeipräsidenten stehen.

Innerhalb weniger Jahre haben die Sicherheitsbehörden in Köln viermal auf fatale Weise versagt: nach den beiden NSU-Anschlägen, als Opfer wider besseres Wissen über Jahre zu Tätern gestempelt wurden, 2014 bei den Ausschreitungen der rechtsextremen "Hogesa", als die Mitte unserer Stadt über Stunden ein rechtsfreier Raum war, und nun in der Silvesternacht. Daraus schließen wir, dass in den Sicherheitsbehörden strukturelle Probleme vorliegen, die dringend behoben werden müssen.

Schluss mit fremdenfeindlicher Hetze

Die Ereignisse der Silvesternacht haben leider auch zu einer weiteren Verrohung der öffentlichen Diskussion geführt. Leidtragende sind vor allem Menschen ausländischer Herkunft, die nicht nur unter Pauschalverdacht gestellt, sondern erschreckend oft verbal oder tätlich angegriffen werden. Weil in der Silvesternacht zahlreiche junge Araber gegen Frauen brutal übergriffig geworden sind, wird öffentlich behauptet, der arabische oder muslimische Mann neige grundsätzlich zu sexueller Gewalt. Das ist nicht nur verkürzt, es ist falsch. Müssen wir darauf hinweisen, dass auch die Massenvergewaltigungen von Musliminnen im Bosnienkrieg nicht dem Christentum oder einer christlich geprägten Kultur angelastet werden dürfen? Es sollte genügen, an den langen, schmerzhaften Kampf der Frauen für Gleichberechtigung und körperliche Unversehrtheit auch in Deutschland zu erinnern.

Uns ist bewusst, dass manche Flüchtlinge ein Frauenbild mitbringen, das unserer Vorstellung von Gleichberechtigung widerspricht. Also sollten wir uns umso stärker bemühen, ihnen zusammen mit der deutschen Sprache auch die Werte zu vermitteln, die das Grundgesetz so wunderbar zusammenfasst.

Im Grundgesetz, das unangefochten den Rahmen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft bilden muss, gehört das Recht auf Asyl zu den zentralen Grundrechten. Wir sind stolz, dass der ganz überwiegende Teil Deutschlands die Flüchtlinge im Herbst freundlich und hilfsbereit empfangen hat. Ebenso berührt uns, wie dankbar sich der ganz überwiegende Teil der Flüchtlinge für die Gastfreundschaft zeigt. Wir erkennen auch an, dass die Behörden die Herausforderung, innerhalb weniger Monate über eine Million Menschen neu zu versorgen, bei allen Unzulänglichkeiten insgesamt großartig bewältigt haben.

Allerdings sind wir uns einig, dass eine unkontrollierte Zuwanderung solchen Ausmaßes, wie wir sie seit dem Herbst beobachten, nicht von Dauer sein kann. Nur halten wir einfache Lösungsvorschläge wie eine abstrakte Höchstgrenze oder die Schließung der deutsch-österreichischen Grenze für illusionär. Eine Flüchtlingspolitik, die human, gerecht und auch langfristig ausgerichtet ist, kann es nur im europäischen Verbund geben. Daher gilt unsere Sorge heute nicht so sehr Deutschland als vielmehr Europa, das durch den neu aufflammenden Nationalismus seine Seele zu verlieren droht.

ERSTUNTERZEICHNER

Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln; Navid Kermani, Autor; Werner Spinner, Präsident des 1. FC Köln; Wolfgang Niedecken, Musiker; Christiane Woopen, Professorin für Medizinethik und Präsidentin des Deutschen Ethikrats; Mariele Millowitsch, Schauspielerin; Fatih Cevikkollu, Comedian; Bettina Boettinger, Moderatorin; Ashok Sridharan, Oberbürgermeister der Stadt Bonn; Monika Wulf-Mathies, Gewerkschafterin und ehemalige EU-Kommissarin; Norbert Blüm, Bundesminister a.D.; Andreas Gursky, Fotograf; Alexander Kluge, Filmemacher; Rosemarie Trockel, Künstlerin; Suzanne Oetker-von Franquet, Unternehmerin und Stifterin; Frank Schätzing, Autor; Stefan Bachmann, Intendant Schauspiel Köln. 

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017