Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 21.05.2016

von Simon LORENZ

Übergriffe, Panik, Flucht

Chronik der Ereignisse rund um die Kölner Silvesternacht

14. Dezember: Der Chef der Innenstadtwache Peter Römers hatte eine Hundertschaft (114 Beamte) beim Landesamt für polizeiliche Dienste in Duisburg angefordert. Doch statt drei Zügen mit je 38 Bereitschaftspolizisten, erhält Römers nur zwei Züge. Im Jahr davor war es ein Zug. Römers ruft in Duisburg an, protestiert, doch es bleibt bei 76 Beamten. Der fehlende Zug sollte an den Rheinbrücken eingesetzt werden.

31. Dezember, 17.20 Uhr: Mehrere Rundschau-Leser berichten unabhängig voneinander über aggressiv auftretende Gruppen fremdländisch aussehender junger Männer auf dem Bahnhofsvorplatz.

31. Dezember, 20.30 Uhr: Den Schilderungen der Leser zufolge herrscht vor dem Bahnhof nun "Anarchie". Sie werden von jungen Männern mit dunklen Haaren angerempelt. Polizeibeamte sehen sie nicht. Auch der Einsatzleiter der Polizei geht zu diesem Zeitpunkt über den Platz, er nimmt dort 400 Männer arabischen oder nordafrikanischen Aussehens wahr. Die Männer hätten Alkohol getrunken, sich Böller vor die Füße geworfen.

31. Dezember, 21.30 Uhr: Der Polizeiführer weist in einer Besprechung auf die Lage am Hauptbahnhof hin.

31. Dezember, 22 Uhr: Einsatzbeginn der Bereitschaftspolizei. Ein Zug ist für die Altstadt, einer für die Ringe vorgesehen. Zehn Beamte werden zum Hauptbahnhof geschickt.

31. Dezember, 22.50 Uhr: Alle Bereitschaftspolizisten werden am Bahnhofsvorplatz zusammengezogen. Dort haben sich bis zu 1500 Männer versammelt. Die Stimmung sei "aggressiv".

31. Dezember, 23.30 Uhr: Die Räumung von Domtreppe und Bahnhofsvorplatz beginnt. Zeitgleich bietet die Duisburger Landesleitstelle 114 Mann zur Unterstützung an. Der Dienstgruppenleiter der Kölner Leitstelle lehnt das Angebot ab. Kurz nach Beginn der Räumung geht Evelin M. mit drei Freundinnen am Dom entlang. Sie werden von "Arabisch sprechenden" Männern begrapscht. Sie flüchten in ein Hotel, nach Mitternacht treffen sie rund um die geräumte Fläche auf Männer, die sie "anmachen". Die Gruppe stellt sich zu Polizisten, die den Platz abriegeln. Die vier Freundinnen beobachten von sexuelle Übergriffe auf andere Frauen und "überforderte" Polizisten "in Unterzahl".

1. Januar, 0.30 Uhr: Die Räumung ist beendet. Die Lage hat sich laut Polizei beruhigt, die Sperrungen werden aufgehoben. Ein Zug der Bereitschaftspolizei wird zu den Ringen beordert.

1. Januar, 0.50 Uhr: Rundschau-Fotograf Bernd Rosenbaum steht auf der Hohenzollernbrücke. Er ist von Deutz aus zum Hauptbahnhof gestartet, im letzten Drittel stoppt der Menschenstrom. Es wird immer enger, in Panik fliehen mehrere Menschen über den Zaun auf die Gleise. Bernd Rosenbaum schließt sich mit seiner Frau an. Auf den Gleisen begegnet er einer Gruppe Bundespolizisten, die ihn "brüsk" der Gleise verweisen. Die Panik auf dem Fußweg der Brücke interessiert sie laut Rosenbaum nicht. Erst gegen 1 Uhr wird die Brücke gesperrt.

1. Januar, 1 Uhr: In der Polizeiwache auf der Stolkgasse warten 30 bis 50 Menschen, um Strafanzeige zu erstatten - auch wegen Sexualdelikten. Weil nur eine Beamtin verfügbar ist, verlassen einige Opfer die Wache. Am Dom verstärkt die Polizei ihre Kontrollen, es kommt zu Platzverweisen, Ingewahrsamnahmen und Festnahmen

1. Januar, 2.15 Uhr: Die Auf- und Abgänge zu den S-Bahngleisen im Bahnhof sind durch die Bundespolizei gesperrt, beobachtet eine Leserin.

1. Januar, 2.56 Uhr: Das Kölner Polizeipräsidium schickt eine interne WE-Meldung (Wichtige Ereignisse) an die Landesleitstelle, in der von einer drohenden Massenpanik auf dem Bahnhofsvorplatz die Rede ist, die durch Räumung von Platz und Treppe verhindert worden sei. 1000 Personen hätten sich dort aufgehalten.

1. Januar, 8.57 Uhr: Die Polizei bezeichnet in einer Pressemitteilung die Silvesternacht als "weitgehend friedlich". Die Räumung wird erwähnt. Kurze Zeit später erscheinen erste Schilderungen von Übergriffen in der Kölner Facebook-Gruppe Nett-Werk.

1. Januar, 13.21 Uhr: Eine interne WE-Meldung, die auch Innenminister Ralf Jäger erreicht, berichtet von elf sexuellen Übergriffen, einer 40- bis 50-köpfigen Tätergruppe, vermutlich Nordafrikaner. Weitere Anzeigen würden erwartet.

1. Januar: 19.15 Uhr: Die Kölnische Rundschau berichtet im Internet als erstes Medium über eine Gruppe von 30 Männern, die mehrere Frauen am Hauptbahnhof sexuell belästigt und ausgeraubt habe. Die Polizei bestätigte der Rundschau mindestens acht Anzeigen. Exklusiv berichtet die Rundschau über die Panik auf der Hohenzollernbrücke.

1. Januar, 20.36 Uhr: Eine ergänzende interne WE-Meldung wird auch Minister Jäger geschickt. Die Rede ist von weiteren Anzeigen und der gegründeten Ermittlungsgruppe.

2. Januar: Die Rundschau berichtet als erste Tageszeitung in der Druckausgabe in einem Aufmacher über die Übergriffe. Um 16.58 Uhr schiebt die Polizei eine zweite Pressemitteilung nach, in der sie über 30 Übergriffe auf Frauen und die Einrichtung einer Ermittlungsgruppe informiert.

4. Januar: Innenminister Jäger wird laut eigener Aussage erst durch die Presseschau auf die Dimension der Taten der Silvesternacht aufmerksam.

6. Januar, 19.18 Uhr: In einem Exklusiv-Interview mit der Rundschau räumt Kölns damaliger Polizeipräsident Wolfgang Albers ein, schon am Neujahrsmorgen über die Vorfälle in Kenntnis gesetzt worden zu sein. An Rücktritt denke er nicht.

8. Januar, 16.20 Uhr: Innenminister Jäger versetzt Albers in den Ruhestand.

18. Februar, 9 Uhr: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss tritt erstmals zusammen. 

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017