Die Berichte des Kölner Stadt-Anzeiger, 05.03.2016

Im Dunkeln – Eine Silvesternacht. 1095 Opfer, 87 Tatverdächtige, 1165 Stunden Videomaterial, 115 Ermittler

Zwei Monate nach der verheerenden Silvesternacht ist jeder zehnte Kriminalbeamte in Köln mit der mühsamen Aufarbeitung beschäftigt. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat mit Ermittlern, Opfern, einem Kriminologen und Menschen aus dem Umfeld der Täter gesprochen. Immer deutlicher wird, wie falsch die Polizei die Lage in der Nacht eingeschätzt hat, wie enthemmte Männerbanden das ausnutzten und wie die Opfer bis heute leiden.

DIE NACHT

Eine Wand, eine schwarze, wabernde Wand. Ein beängstigender Mob, der sich über den Bahnhofsvorplatz schiebt. Feixend, brüllend, pöbelnd. Ab und zu kracht es, dann steigt Rauch auf, jemand hat eine Leuchtrakete in die Menge gefeuert. „Ich war fassungslos“, sagt Mathias S., wenn er an die Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof denkt. „Es war bedrohlich, auch für mich als Polizist. So was hatte ich noch nie erlebt.“

Seinen richtigen Namen will Mathias S. nicht in der Zeitung lesen. Er möchte keinen Ärger, und damit ist er derzeit nicht allein im Kölner Präsidium. Die Stimmung ist spürbar angespannt in diesen Tagen. „Niemand wagt hier im Augenblick den Kopf aus der Deckung zu heben“, sagt ein ranghoher Beamter.

Der Grund: Im Düsseldorfer Landtag arbeitet ein Untersuchungsausschuss derzeit die Ereignisse der Kölner Silvesternacht auf. Die zwölf Parlamentarier wollen herausfinden, wie es zu den sexuellen Massenübergriffen, zu Diebstählen und Raubüberfällen kommen konnte. Warum die Polizei überfordert war. Und vor allem: wer dafür die Verantwortung trägt. Da ist man im Präsidium mit öffentlichen Schuldzuweisungen momentan lieber zurückhaltend, mit dem Eingestehen möglicher eigener Fehler erst recht.

Am Montag will das Gremium die ersten Beteiligten vernehmen. Der vielleicht wichtigste Zeuge aber folgt in der Sitzung am 18. März. Es ist der Einsatzleiter der Silvesternacht, ein Beamter der Landespolizei, über den öffentlich bislang wenig bekannt ist – außer, dass er eine Dienstgruppe in der Innenstadtinspektion leitet und früher beim einem Spezialeinsatzkommando war. Ein Experte also für Geiselnahmen, Erpressungen und Entführungen. Aber auch der Richtige, um 142 Polizisten besonnen durch einen Großeinsatz wie die Silvesternacht zu führen?

Bei den meisten seiner Kollegen genießt der Erste Hauptkommissar einen erstklassigen Ruf. Ein Leader sei er. Einer, der vorangehe. Ein Pragmatiker mit dem Herz am rechten Fleck. Offen, geradlinig, echt. Einer, der die Türen noch selbst eintritt statt den Einsatz bequem aus dem Büro zu führen.

Vielleicht aber war es ja gerade diese Hemdsärmeligkeit, die in der aus dem Ruder gelaufenen Silvesternacht fehl am Platz war. Vielleicht wäre mehr Sensibilität gefragt gewesen, mehr Weitblick, zumindest phasenweise. Das jedenfalls wirft das Innenministerium dem Einsatzleiter vor.

Bereits um 20.30 Uhr waren ihm vor dem Dom 400 bis 500 Menschen aufgefallen, vor allem junge männliche Migranten, viele betrunken und aggressiv. Sinngemäß soll der Einsatzleiter kurz darauf in einer Besprechung vor seinen Mitarbeitern gesagt haben, die führten nichts Gutes im Schilde, mit denen bekäme man heute noch Spaß. Wieso aber forderte er dann keine Verstärkung an?

Das wäre ziemlich problemlos möglich gewesen. Keine zehn Kilometer entfernt, in Ossendorf, waren zur gleichen Zeit 38 Beamte einer Hundertschaft bei einer Demo im Einsatz. Die Versammlung löste sich gerade auf, die Beamten wären in einer Viertelstunde am Dom gewesen. Aber sie erhielten keine Nachricht, wurden stattdessen nach Hause entlassen. Heute urteilt das Innenministerium: Am Hauptbahnhof nur mit den „vorhandenen Einsatzkräften“ zu arbeiten, sei ein „gravierender Fehler“ gewesen.

Schlechte interne Kommunikation

Bemängelt wird auch die polizeiinterne Kommunikation in der Silvesternacht. Viele hätten Teilinformationen gehabt, aber niemand den Gesamtüberblick. Hatte auch der Einsatzleiter die Übersicht verloren? Oder glaubte er, die Lage im Griff zu haben? Fragen, auf die der Untersuchungsausschuss Antworten erwartet.

Tatsächlich soll sich der Erste Hauptkommissar in der Nacht immer wieder „im Klein-Klein verstrickt“ haben, berichtet ein Insider. Soll sich sogar eine ganze Weile persönlich mit einer Festnahme herumgeschlagen haben, statt solche Routineaufgaben an seine Beamten zu delegieren. Wahr ist aber auch: Der Einsatzleiter hatte zur Führung nur einen Assistenten und zwei Funker an seiner Seite – zu wenig, findet das Innenministerium. Zwar wird das in Köln und anderen Großstädten zu Silvester seit Jahren so gehandhabt, es gab auch nie Probleme. In diesem Jahr aber, sagen selbst Kritiker aus Polizeireihen, hätte man wegen der hohen abstrakten Terrorgefahr nach den Anschlägen in Paris einen großen Führungsstab für den sensiblen Silvestereinsatz einrichten müssen. Stattdessen war der ranghöchste Polizist in der Kölner Nacht ein Wachdienstführer der Leitstelle – ein erfahrener Beamter zwar, aber eben nur der zweite Mann. Der etatmäßige Dienstgruppenleiter hatte frei.

Rätselhaft ist bis heute, warum Leitstelle und Einsatzleiter keine Hilfe suchten, nicht einmal in den eigenen Reihen. Weder der Chef der Innenstadtinspektion, noch der Polizeiführer vom Dienst, der für Großeinsätze in Rufbereitschaft stand, wurde alarmiert. Um 23.30 Uhr schlug die Kölner Leitstelle sogar das Angebot der Landesleitstelle in Duisburg aus, bis zu 114 weitere Hundertschaftspolizisten nach Köln zu schicken. Sie standen in Wuppertal, Gelsenkirchen und Aachen in Rufbereitschaft, wären nach Überzeugung des Innenministeriums in etwa zwei Stunden in Köln gewesen. Kurz nach Mitternacht ruft auch Polizeipräsident Wolfgang Albers auf der Leitstelle an und wünscht den Kollegen ein frohes neues Jahr. Bei dieser Gelegenheit informiert man ihn über die Räumung der Treppe. Über mehr angeblich nicht. Der Polizist Mathias S. nimmt seinen Chef, den Einsatzleiter, in Schutz. „Er hat alles getan, was er tun konnte“, findet S. Die Wucht der Ereignisse habe schließlich niemand vorhersehen können. „Jetzt sind natürlich alle schlauer.“ Auch die Führungsebene vertraut dem ehemaligen SEK-Beamten ungebrochen. Am Karnevalswochenende leitete er den schwierigen Einsatz in der Innenstadt. Er meisterte ihn in gewohnter Manier, ohne Probleme.

DIE TAGE DANACH

Ungefähr 1500 Pressemitteilungen verschickt die Kölner Polizei jedes Jahr. Die wenigsten finden bundesweit Beachtung, aber die Meldung von 8.59 Uhr am Neujahrsmorgen schafft es in Nachrichtensendungen auf der ganzen Welt – nicht zuletzt, weil sie in den Ohren von mehr als 1000 bestohlenen, beraubten und sexuell belästigten Opfern wie blanker Hohn klingen muss. „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“, war die Meldung überschrieben. Die Einsatzlage sei entspannt, die Polizei gut aufgestellt gewesen. Der Verdacht ist nach wie vor ungeheuerlich: Wollte die Behörde etwa die skandalösen Ereignisse der Silvesternacht unter der Decke halten? Um eigene Fehler zu vertuschen? Vielleicht auch aus politischen Gründen, weil viele der Täter offenbar Zuwanderer aus Nordafrika waren? Wohl nicht. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ soll die Polizistin, die am 1. Januar als einzige Pressesprecherin im Dienst war, die Meldung nach bestem Wissen verschickt haben. Von den Massenübergriffen soll sie schlicht keine Kenntnis gehabt haben – was schlimm genug ist, aber eben keine bewusste Verschleierung.

Nur, warum wusste die Sprecherin von nichts? Ein Grund ist: Im Polizeicomputer sollen um neun Uhr morgens noch nicht alle Strafanzeigen aus der Nacht eingetragen, die sich anbahnende Dimension also noch gar nicht erkennbar gewesen sein. Ganz offenbar hatte es aber auch niemand von der Einsatzleitung für nötig befunden, die Pressestelle zu informieren. Ein Anruf hätte ja genügt. Der Einsatzleiter selbst hatte nachts weinende Frauen gesehen, die vor der Wache auf der Stolkgasse Schlange standen, um Anzeige zu erstatten. Das gab es in Köln noch nie. Hätte er das nicht der Pressestelle mitteilen sollen?

Am Mittag des 1. Januar informiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Internet als erstes Medium über die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht, auch Opfer kommen zu Wort. Die Polizei aber korrigiert ihre Erstmeldung zunächst nicht. Das geschieht erst am 2. Januar, einem Samstag. Um 16.58 Uhr meldet die Behörde per Pressemitteilung, man habe eine Ermittlungsgruppe gegründet, um die Vorfälle auf dem Bahnhofsvorplatz aufzuklären. Dabei stand diese Nachricht da schon seit Stunden auf ksta.de.

Die Kommunikation der Polizei – auch intern geriet sie in den Tagen nach Silvester offenbar zum Desaster. Um 2.56 Uhr am Neujahrsmorgen soll sich der Chef der Leitstelle noch gescheut haben, den Migrationshintergrund der überwiegend nordafrikanischen Tatverdächtigen in seiner ersten WE-Meldung (Wichtiges Ereignis) an die Landesleitstelle zu erwähnen – es soll ihm „politisch zu heikel“ gewesen sein. In den drei folgenden internen WE-Meldungen zur Silvesternacht ist die Herkunft der Täter dann zwar benannt. Aber das wahre Ausmaß der Geschehnisse wollen Innenminister Ralf Jäger (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erst am 4. Januar, einem Montag, aus der Zeitung erfahren haben. In einem Fernsehinterview bescheinigt de Maizière der Kölner Landespolizei daraufhin, in der Silvesternacht schlecht gearbeitet zu haben. Eine bemerkenswerte Feststellung – immerhin sollen mehr als ein Drittel aller Übergriffe im Hauptbahnhof geschehen sein. Dort war die Bundespolizei zuständig, und die untersteht de Maizières Behörde.

Nach Überzeugung eines leitenden Kölner Polizisten hätte man zumindest im NRW-Innenministerium schon am 1. Januar hellhörig werden können. An jenem Donnerstag um 14.36 Uhr verschickte die Kölner Polizei ihre zweite WE-Meldung zur Silvesternacht, darin war die Rede von bis zu 50 Tätern, vor allem Nordafrikaner. Der Beamte ist überzeugt: „Der politische Sprengstoff war da schon erkennbar.“ Eine Woche später schickt Innenminister Ralf Jäger (SPD) Polizeipräsident Wolfgang Albers in den einstweiligen Ruhestand. Albers habe sich entgegen der Anweisungen nicht deutlich genug von den öffentlichen Vorwürfen der Vertuschung distanziert, sagt Jäger. Vier Tage später räumt auch die Leiterin der Pressestelle der Kölner Polizei ihren Posten. Bislang sind das die beiden einzigen personellen Konsequenzen aus der Silvesternacht.

DIE OPFER

Dass der Bahnhofsvorplatz laut und bedrohlich wirken kann, ist acht Wochen nach Silvester kaum vorstellbar. Ein trüber Mittwochvormittag. Ein paar Schüler beugen sich über einen Stadtplan, sie drängen sich unter einem Regenschirm aneinander. Weiter hinten stehen drei verlassene Polizeibullis. Die Treppenstufen, die hoch führen zum Dom, sind glatt, vom Regen gewaschen. Oben zieht ein eisiger Wind. Von hier sieht der Vorplatz übersichtlich aus, winzig fast. Wie kann es sein, dass Polizisten in der Silvesternacht hier standen und nicht gesehen haben, dass zu ihren Füßen über Stunden Hunderte Frauen überfallen wurden?

In der Dunkelheit seien die Taten im dichten Gedränge nicht zu erkennen gewesen, sagt die Polizei. Opfer, die sich an Beamte wandten, hätten die Täter zudem nicht näher beschreiben können. Sie hätten ihm einfach nur leidgetan, die vier Polizisten vor dem Domportal, erinnert sich Jochen N., der in der Silvesternacht die Messe im Dom besucht hat. Wie verloren hätten die Beamten gegen 22 Uhr neben ihren Streifenwagen gestanden. Um sie herum flogen Silvesterraketen gegen den Dom. Zwei Gymnasiastinnen aus Remscheid berichten, sie seien um 0.20 Uhr an der Domplatte von einem Pulk aggressiver Männer umzingelt worden. „Sie pöbelten und begrapschten uns. Es war widerlich und erniedrigend.“ Als sie sich nach zehn Minuten befreien konnten, hätten sie vier Polizisten in der Nähe angesprochen. „Die haben uns nur weggeschickt.“

Die Täter gingen strukturiert vor, schafften künstliche Engstellen, umzingelten die Frauen, trennten sie von ihren männlichen Begleitern. Auch vor den Toiletten im Hauptbahnhof lauerten sie ihren Opfern auf. Von einem „Männertunnel“ sprechen Frauen später in ihren Vernehmungen. Eine Menschenjagd am zentralsten Ort der Stadt. In der Bahnhofshalle überfällt eine Gruppe eine 48-jährige Frau und ihre 15 Jahre alte Tochter, als die aus der U-Bahn kommen. Die Mutter spürt Hände an ihrem Po, ihrem Hosenbund, zwischen ihren Beinen. Sie sieht Männer, die vor ihr in die Hocke gehen, um ihr mit den Fingern besser in den Schritt fassen zu können. „Die Gesichter waren irre, gierig, aggressiv“, erinnert sich die Frau. Am grauenvollsten aber war für sie das Gefühl, dass ihre Tochter hinter ihr ungeschützt und noch mehr grapschenden Händen ausgesetzt war. „Sie hat nur noch geweint, die Augen geschlossen und sich an mich geklammert.“ Die 48-Jährige macht jetzt eine Therapie.

60 telefonische Beratungen

Insgesamt 60 Opfer haben sich bislang allein an der nach Silvester geschalteten Hotline des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) beraten lassen. Vier haben Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gestellt. Denn was viele nicht wissen: Wer in Deutschland Opfer einer Gewalttat wurde, hat in der Regel einen gesetzlichen Anspruch auf Heilbehandlungen, Traumabehandlungen und je nach Schwere der Verletzungen auch auf finanzielle Entschädigungen bis hin zu lebenslangen Rentenzahlungen.

Beim Ausfüllen des OEG-Antrags hilft zum Beispiel der Weiße Ring. Marianne Weich arbeitet seit Jahren ehrenamtlich für die Opferschutzorganisation. Sie hat mit unzähligen Frauen gesprochen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. „Die meisten brauchen therapeutische Hilfe“, sagt Weich. Typische Symptome seien Angstzustände und Schlafstörungen – nicht nur nach schweren Vergewaltigungen, sondern auch nach vermeintlich harmlosen Belästigungen. Die Massenübergriffe in der Silvesternacht belasteten viele Frauen besonders, sagt Weich. Sie hätten sich auf eine fröhliche Nacht gefreut. „Und dann endet die so, wie sich das bis dahin niemand vorstellen konnte.“

DIE TÄTER

Ein früher Sonntagabend in Köln-Kalk Ende Februar. Djamal hat die rechte Fußsohle gegen eine Hauswand gestemmt, er kaut auf einem weißen Plastikstäbchen herum, mit dem man Kaffee umrührt. Man könne ihn alles fragen, sagt er und grinst. Er habe vielleicht nur nicht auf alles eine Antwort. Sein Englisch ist passabel. Djamal wohnt seit ein paar Monaten in Köln, bei Freunden, sagt er. Der 25-Jährige stammt aus Marokko, ist illegal hier, hat kein Asyl beantragt. Zuwanderer aus Maghreb-Staaten bekommen in Europa ohnehin so gut wie nie ein Bleiberecht. Djamal weiß das. Mit den Exzessen an Silvester habe er nichts zu tun, beteuert er. Aber er sei da gewesen, zum Feiern. Gegen 20 Uhr sei er mit 20, 30 Kumpels mit der Straßenbahn zum Dom gefahren. In die Clubs hätten die Türsteher sie nicht reingelassen. Also habe man draußen gefeiert. Habe getrunken, gelacht, gekifft und Böller gezündet. Zuerst auf dem Roncalliplatz, später vor dem Hauptbahnhof. Dort sei alles voller Araber gewesen. Und dann, tja dann sei das alles wohl irgendwie eskaliert.

Die Gegend um die Kalk-Mülheimer Straße und die Taunusstraße in Kalk gilt als marokkanisches Viertel von Köln. Seit Neujahr war die Polizei schon dreimal wegen Razzien hier. Die Luft wird dünner für die Straftäter unter den Bewohnern, auch wenn die polizeibekannten Trickdiebe aus Köln entgegen erster Vermutungen wohl nur in sehr geringer Zahl unter dem Mob vor dem Bahnhof waren. Die meisten der bislang 87 identifizierten Beschuldigten wohnen im Umland, viele erst seit wenigen Monaten. Manche kamen auch aus anderen Bundesländern.

Noch immer weiß die Polizei wenig darüber, ob und wie die bis zu 1000 Täter sich für die Silvesternacht verabredet haben. Nur so viel steht fest: Sie seien in losen Gruppen angereist, um hier zu feiern, sagt der Kölner Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. „Nach allem, was wir wissen, haben sie sich nicht verabredet, um an Silvester gezielt Straftaten zu begehen.“

Klar ist aber: In der Nacht haben die Täter eifrig miteinander telefoniert. Das weiß die Polizei aus der Auswertung von Daten sichergestellter Handys. „Vermutlich haben sie vor Ort festgestellt, dass sie in einer erheblichen Übermacht sind und dass sie sich eben so verhalten können, wie sie es getan haben“, sagt Oberstaatsanwältin Monika Volkhausen. Die Situation habe sich aufgeschaukelt. Das gelte auch für die sexuellen Übergriffe.

Aber warum ausgerechnet Köln? Jeder zweite Asylbewerber aus Algerien und 80 Prozent der marokkanischen Asylbewerber in Deutschland werden NRW zugewiesen, da liege es nahe, zum Feiern in die größte Stadt zu ziehen, sagt Bremer. Weil die Zuwanderer aus Nordafrika kaum Chancen auf ein Bleiberecht haben, greifen bewährte Integrationsmaßnahmen bei ihnen oft nicht. Die zumeist allein reisenden jungen Männer bekommen in der Regel weder eine Arbeitserlaubnis, noch Integrations- oder Sprachkurse bezahlt. Ermittlern zufolge haben einige von ihnen sich schon jahrelang mit Straftaten durch Europa geschlagen, bevor sie irgendwann in Deutschland landen. Und bis hier über ihren Antrag entschieden ist, vergehen oft Jahre. „Das ist ein Anreiz zu kommen“, sagt Innenminister Jäger. Er setzt sich nun auf Bundesebene unter anderem für eine gerechtere Verteilung der nordafrikanischen Zuwanderer ein. Die Kripo- Gewerkschaft Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) fordert, aktiv auf sie zuzugehen, Flüchtlinge mit Sprachkenntnissen in staatliche Organisationen aufzunehmen. „Das wäre ein riesiger Integrationsschritt und sehr hilfreich für unsere Präventions- und Ermittlungsarbeit“, sagt der stellvertretende BDKChef Sebastian Fiedler. Minderjährige Flüchtlinge, die mit Straftaten aufgefallen sind, sollten in Konzepte wie „Klarkommen“ eingebunden werden, eine Initiative des NRW-Innenministeriums in Köln, Duisburg und Dortmund. „Damit haben Polizisten und Sozialarbeiter bei vielen betreuten Jugendlichen die Straftaten auf Null gekriegt“, sagt Fiedler. „Ich hoffe, die Politik weitet das aus.“

DIE ERMITTLER

Schwarze Flecken auf grauem Grund, ein paar Farbtupfer, im Hintergrund die Bahnhofsfassade. So sehen die meisten Video-Ausdrucke aus den Überwachungskameras aus. Köpfe und Körper verschwimmen, Gesichter sind fast nie zu erkennen. Seit dem 1. Januar plagen sich 111 Polizisten und vier Staatsanwälte mit der Auswertung von Bildern und Filmen herum. Weil in der Silvesternacht so gut wie keine Festnahmen gelangen, müssen die Ermittler nun mühsam nachholen, was am Tatort versäumt wurde. Am Bahnhof hängen zwar Überwachungskameras, Zeugen und Opfer haben der Polizei Filme und Fotos aus ihren Handys zur Verfügung gestellt. Aber die Qualität ist fast durchgehend miserabel.

In Hamburg hatte die Polizei mehr Glück. Dort gingen nach Silvester 236 Anzeigen ein, 189 wegen sexueller Übergriffe, 44 wegen Diebstahls, Raubes oder Körperverletzung. Ein professioneller Fotograf hatte entscheidende Szenen auf der Reeperbahn festgehalten. Mit seinen Bildern fahndete die Polizei zuletzt im ZDF bei „Aktenzeichen XY ungelöst“.

In anderen Städten, aus denen Übergriffe in der Silvesternacht bekannt wurden, in Düsseldorf etwa oder in Stuttgart, tun sich die Ermittler ähnlich schwer wie in Köln. Allein 1165 Stunden Videomaterial sichtet die Ermittlungsgruppe derzeit im Präsidium in Kalk. Die schärfste Waffe bei den Ermittlungen aber sei die Überprüfung von Telekommunikationsdaten, sagt Oberstaatsanwältin Monika Volkhausen. Dadurch hätten zahlreiche Handys sichergestellt werden können. Fotos und Verbindungsdaten auf den Telefonen der Täter sollen beweisen, dass sie in der Nacht vor Ort waren. Telefone von Opfern, die man bei den Männern gefunden hat, erlauben Rückschlüsse auf konkrete Tatbeteiligungen. 87 Beschuldigte hat die EG Silvester bislang identifiziert, mehr als 300 Opfer vernommen. Unter den 1095 Anzeigenerstattern war auch ein Trittbrettfahrer – ein Mann, der behauptete, seine Ehefrau sei überfallen worden. Sein Motiv liege „im persönlichen Bereich“, heißt es. Da man bis heute nicht wisse, wie viele der 1000 Männer vor dem Bahnhof Täter waren, könne man nicht sagen, ob 87 viel oder wenig seien, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Frank Neubacher, Professor für Kriminologie an der Kölner Universität, spricht von einem „guten Erfolg“ – wenn man bedenke, wie groß zunächst die Schwierigkeiten schienen. An Silvester sei es der Polizei nicht gelungen, die Menschen zu schützen, sagt Neubacher. „Es wäre schlimm, wenn auch noch die Ermittlungen im Sande verlaufen wären.“ Ein Marokkaner (23) und ein Tunesier (22) sind vor zwei Wochen als erste Täter aus der Silvesternacht zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Der eine hatte ein Handy geraubt, der andere eine Kamera. Neubacher nennt die Strafen „empfindlich“, gemessen am Tatvorwurf, der zweimonatigen Untersuchungshaft, den Geständnissen und Lebensumständen der Angeklagten. Die Justizbehörden seien sich bewusst, dass die Bevölkerung verunsichert ist, sagt der Kriminologe. Mit den Urteilen wolle man wohl auch die Botschaft an mögliche Straftäter aussenden, „dass sie nicht darauf spekulieren sollen, immer mit Geldstrafen davon zu kommen.“ Wer die Urteile als zu milde bewerte, müsse bedenken: „Die Justiz darf und will keine Exempel statuieren. Ermittler und Richter sind an Recht und Gesetz gebunden. Sie müssen immer den Einzelfall betrachten.“ Die Staatsanwaltschaft hält den Ermittlungsaufwand für berechtigt. „Wenn wir hier aufgeben“, sagt Oberstaatsanwältin Volkhausen, „setzen wir unsere Freiheit aufs Spiel. Es darf nicht sein, dass Frauen sich irgendwann nicht mehr auf die Straße trauen.“ Man müsse ein Zeichen setzen. „Und wenn man nur ein kleines bisschen dazu beitragen kann, dass sich so etwas nicht wiederholt“, sagt Volkhausen, „ist das für mich schon ein persönliches Erfolgserlebnis.“ Auch für die geschockte Mutter, die der Mob in der Bahnhofshalle angegriffen hatte, definiert sich Erfolg derzeit in kleinen, für Außenstehende manchmal kaum messbaren Schritten. Die 48-Jährige hat noch einen weiten Weg vor sich. Aber in ihrer letzten Therapiesitzung konnte sie zum ersten Mal weinen.

 „Argumente statt schriller Parolen“

Subtiler Gewalt gegen Frauen genauso entgegenzutreten wie dem Fremdenhass – Theologe Manfred Kock erklärt, warum das für ihn die wichtigsten Punkte der „Kölner Botschaft“ sind

Herr Kock, sechs Wochen ist es her, dass der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die „Kölner Botschaft“ veröffentlicht hat. Wie fällt bis heute Ihr Resümee aus? Was ich wahrgenommen habe, war insgesamt positiv. Als Protestant hätte ich mir zwar gewünscht, dass meine Kirche mit in der Reihe der Erstunterstützer gestanden hätte. Gut, da hatte der katholische Kardinal im „hillije Kölle“ den Vortritt. Aber die Initiatoren hatten ja im ersten Schritt wohl gar nicht vor, einen Querschnitt der Stadtgesellschaft zu verkörpern. Der hat sich dann aus der Vielzahl der Reaktionen wie von selbst ergeben. Ich würde sogar sagen: Erst dadurch wurde die Botschaft zum Signal.

Zu was für einem Signal? Zum Stoppsignal an alle, die die Gesellschaft anders haben wollen: ausgrenzend, abgeschottet, nationalistisch uniform. Das Signal der Kölner Botschaft lautet: Nein, solche Leute sollen nicht das Sagen bekommen! Das heißt, die vierte Forderung ist die wichtigste? Meines Erachtens ja. Die anderen drei haben auch ihre Bedeutung. Gerade die erste Forderung – kein Tolerieren von sexueller Gewalt – ist nach den Exzessen der Silvesternacht geradezu zwingend. Obwohl ich glaube, dass diese Form der Abgrenzung von Gewalt gegen Frauen noch zu kurz greift. Inwiefern? Weil sie die Denk- und Verhaltensmuster nicht erfasst, mit denen Frauen auf subtilere Art Gewalt angetan wird. Ich denke an ein Verständnis der Frau als Ware, das sich bei uns „eingebürgert“ hat – im Sinne eines Vordringens in die Mitte der Gesellschaft. Das „Pascha“ lässt auf Taxis Bordellwerbung durch Köln fahren. Man hat von Dankeschön-Partys im Bordell gehört, die Firmen ihren erfolgreichsten Mitarbeitern spendiert haben. Da soll bloß keiner kommen und behaupten, Machismo und mangelnder Respekt vor Frauen seien nur das Problem von Männern aus Nordafrika.

Aber es ist in Deutschland so manches erreicht worden im Verhältnis der Geschlechter. Dahinter will auch niemand zurück. Das ist richtig. Wir haben eine Oberbürgermeisterin, eine Ministerpräsidentin, eine Bundeskanzlerin. Das sind wichtige Symbole. Aber der Kampf für Gleichberechtigung ist noch nicht zu Ende. Da geht noch was.

Herr Kock, nehmen die Autoren mit dem Titel „Kölner Botschaft“ den Mund zu voll? Das Ganze unter die Überschrift „Wir lieben Köln“ zu stellen, halte ich weder für schmalzig noch chauvinistisch, sondern für legitim. Ich lebe selbst seit mehr als 40 Jahren in Köln – und das sehr gerne. In dem, was die Autoren als ihr Köln-Gefühl beschreiben, kann ich mich sehr gut wiederfinden.

Beschreiben Sie, was dieses Gefühl für Sie ausmacht! Die Neugierde für das, was anders ist, als wir es kennen. Und die Bereitschaft, das Fremde gelten zu lassen. Toleranz ist vielleicht ein zu großes Wort. Ein gelassenes, unaufgeregtes „Lass mal gut sein“ ist ja auch schon was. Und wenn ich es richtig sehe, ist das ein wesentlicher Zug, der die Stadt liebenswert macht. Natürlich hat das auch einen Hang zur Selbstverliebtheit, bisweilen Selbstbesoffenheit. Das Motto „Du bes Kölle“ ist dann nur die rheinische Variante des bayerischen „Mir san mir“. Und wir haben ja nun mit Erschrecken gesehen, dass es mit der angeblichen Immunität gegen Fremdenfeindlichkeit auch in Köln nicht gar so weit her ist. Es ist immer wieder zu spüren, dass es Menschen in unserer Stadt gibt, die alles Fremde ablehnen und für negativ erklären. Was in Dresden mit Pegida offen auftritt, ist bei uns latent auch vorhanden.

„Kögida“ als hiesiger Ableger der Pegida-Bewegung stieß vor einem Jahr auf breite Gegenwehr und fiel alsbald in sich zusammen. Mag sein, dass das in Köln nur eine kleine Gruppe war. Aber sie bekommt sozusagen gesellschaftspolitische Adrenalinstöße verpasst, wenn eine größere Zahl von Bürgern nach Ereignissen wie der Silvesternacht an den Sicherheitsbehörden zu zweifeln beginnt oder sich in ihrem Misstrauen gegen staatliche Institutionen bestätigt sieht. Das führt meiner Meinung nach zu Distanzierung von den tragenden Teilen der Gesellschaft und zu einer Protestmentalität, die sich bei rechten Parteien wie der AfD gut aufgehoben fühlt.

Ein Versagen der Behörden – punktuell in der Silvesternacht, aber auch generell in der Kriminalitätsbekämpfung – glauben auch die Verfasser der Kölner Botschaft ausgemacht zu haben. Es ist richtig, das auch zu formulieren und die Handlungsfähigkeit des Staates einzufordern. Die Behörden müssen den Bürgern das Gefühl von Sicherheit geben. Ich sehe sonst eine große Gefahr in dem Impuls „Die Sache selbst in die Hand zu nehmen“ – mit Bürgerwehren bis hin zur Selbstjustiz. Andererseits sind Kriminalität und Organisierte Kriminalität keine Frage der Herkunft oder der ethnischen Zugehörigkeit. Es gibt sie überall, in allen Gesellschaften. Manche Formen der Organisierten Kriminalität sind nicht so unappetitlich wie das, was wir an Silvester erlebt haben. Die Verbrecher sind vielmehr in blütenweißen Hemden und dunklen Maßanzügen unterwegs. Aber die sind deshalb nicht minder gefährlich. Ob die Kölner Botschaft das auch meint, wenn sie zum Kampf gegen Bandenkriminalität aufruft, weiß ich nicht. Es darf aber nicht vergessen werden.

Haben die Integrationsoptimisten Teilwirklichkeiten ausgeblendet, haben sie weggeschaut, Probleme und Konflikte schöngeredet? Das wird immer wieder unterstellt. Ich glaube das nicht. Gerade diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, sind alles andere als naiv. „Blauäugigkeit“ müssen sie sich als Vorwurf oft anhören. Da schwingt „treudoof“ mit. Aber das stimmt ja nicht. Es sind wissende Menschen, um die es hier geht. Sie wissen, wofür sie sich einsetzen. Sie wissen, wie schwer es ist, in einem sozial oder kulturell schwierigen Umfeld zu arbeiten. Ich selbst habe eine zeitlang viel mit Roma zu tun gehabt, und ich bin weit davon entfernt zu sagen, ich sei da nur kleinen Heiligen begegnet. Tatsächlich hilft es niemandem, die Dinge zu beschönigen.

Zu den häufigsten Einwänden gegen die Kölner Botschaft gehört der Hinweis auf den Promi-Status der Verfasser. Das seien die Oberprivilegierten, die viel Wind machten, ohne je mit den Härten der Realität konfrontiert zu sein. Ist da etwas dran? Das ist doch der gleiche Naivitäts- und Blauäugigkeits- Vorwurf, nur diesmal mit dem Subtext von Eliten- Schelte und Neid-Reflex auf ein vermeintlich abgehobenes, sorgenfreies Leben. Wenn ich mir die Namen der Erstunterstützer ansehe, dann weiß ich, dass viele von ihnen sehr wohl mitten im Leben stehen, nahe bei den „normalen Menschen“ mit ihren Sorgen und Problemen sind, auch wenn sie manche davon nicht 1:1 teilen. Es ist immer das Einfachste, das Engagement von Menschen mieszumachen, indem man ihnen Ahnungslosigkeit oder Wirklichkeitsverlust unterstellt. So gerät die Einsicht unter die Räder, dass Weltbesserung keine Beschäftigungstherapie für die Reichen und Schönen ist, sondern anstrengende, aufreibende, aber umso notwendigere Arbeit. Und damit bin ich beim eigentlichen Problem, das in der Kölner Silvesternacht offensichtlich geworden ist, wenn man es denn festmachen will an den Zuwanderern, an Migranten aus Nordafrika oder anderen Krisenregionen.

Nämlich? Was in den Herkunftsländern dieser Menschen passiert, ist ganz wesentlich die Folge unserer Wirtschaftsordnung in einer globalisierten Welt. 60 Prozent der jungen Menschen in Nordafrika sind arbeitslos und ohne berufliche Perspektive – egal ob in ihrer Heimat oder hier bei uns. Solche Verwerfungen haben mit uns und unserem Lebensstandard zu tun, an den wir uns als Wohlstandsgesellschaft gewöhnt haben. Die Armut in Nordafrika und anderswo ist die dunkle Seite unseres Reichtums.

Wenn Sie dieses große Rad drehen, stellt sich mit Blick auf die Kölner Botschaft unmittelbar die Frage, wie solche Worte denn die Wirklichkeit verändern sollen. Zuallererst indem sie die Wirklichkeiten wahrnehmen, benennen und so ein Weiterreden in Gang bringen. Da hat die Kölner Botschaft schon deshalb viel erreicht, weil sie die Debatte versachlicht hat. Befürworter und Gegner streiten mit Argumenten statt mit schrillen Parolen oder persönlicher Verunglimpfung. Das ist in diesen Zeiten ein unschätzbarer Gewinn.

Aber Reden allein ... ... genügt natürlich nicht. Es reicht nicht, mit der Kölner Botschaft zu sagen, „wir lieben Köln“. Es müssen Konsequenzen gezogen werden. Aber das geht nicht nur die „Botschafter“ an, sondern jeden. Die Forderungen der Kölner Botschaft wollen gelebt werden: Wie behandeln wir die Flüchtlinge, die zu uns kommen? Was bieten wir ihnen an, aber was verlangen wir auch von ihnen? Es heißt ja zum Beispiel, Zuwanderer müssten bereit sein, sich in unser Wertesystem zu integrieren. Das stimmt. Aber man kann das richtig oder falsch verstehen. Falsch wäre die Forderung: „Ihr müsst alle so werden wie wir!“ – Nein, müsst ihr nicht! Richtig ist zu sagen: Rechte und Pflichten unserer Verfassung gelten für alle. Verbindlich. Ohne Wenn und Aber.

Seit der Silvesternacht hat es auch andere bestürzende Ereignisse gegeben – Stichwort „Clausnitz“, Stichwort „Bautzen“, Orte, an denen unter anderem Flüchtlinge attackiert und brennende Unterkünfte bejubelt wurden. Das lässt uns ahnen, dass wir in puncto Konfliktlagen noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Deshalb ist – noch einmal – die vierte Forderung der Kölner Botschaft so wichtig: Wir dürfen uns nicht gewöhnen an Nachrichten von brennenden Flüchtlingsunterkünften und von Pöbeleien gegen Migranten. Im Gegenteil. Wir müssen umso wachsamer sein; wir müssen umso intensiver die Auseinandersetzung auch in unserer Stadt über Zuwanderung und Integration führen; umso klarer müssen wir auch die damit verbundenen Probleme und Versäumnisse benennen. Das liegt exakt auf der Linie der „Kölner Botschaft“. Ich möchte vermuten, dass die Verantwortungsträger in der Stadt diesen Weckruf vernommen haben und ihn beherzigen. Aber das sollte auch für die Bürgerschaft gelten, der an einem friedlichen, zivilisierten Umgang miteinander gelegen sein muss. Es ist ja keine sonderlich erbauliche Vorstellung, dass der Karneval oder andere Feste künftig nur noch mit einem Großaufgebot an Polizei stattfinden sollten.

Das haben wir als Bürger aber doch nicht in der Hand, sondern wird uns von außen diktiert – durch Terrorwarnungen oder durch Zusammenrottung potenzieller Gewalttäter. Vielleicht entspannt sich zum einen die Stimmungslage ja auch wieder. Und zum anderen ist es nicht ganz unwichtig, darauf hinzuweisen, dass Gewalt im öffentlichen Raum auch kein Phänomen ist, das uns „von außen“ aufgezwungen wird. Jeden Samstag dokumentieren sogenannte Fußballfreunde das Gewaltpotenzial inmitten unserer angestammten Kultur. Es handelt sich bei ihnen jedenfalls mit Sicherheit nicht um Nordafrikaner. Das bedeutet? Dass wir auch über Gewalt und deren Ursachen anders diskutieren müssen als in den Schemata von „die gegen uns“ oder „Fremde gegen Einheimische“. Machen wir uns keine Illusionen: Die Schwachköpfe dieser Welt werden wir mit keiner noch so gut formulierten Botschaft erreichen. Aber wir müssen alles dafür tun, dass sie niemals das Sagen bekommen. Dazu braucht es Mobilisierungen – wie durch die „Kölner Botschaft“. 

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017