Die unglaublichen Ereignisse einer Silvesternacht und ihre Folgen: ein Überblick

Rund 1.600 Strafanzeigen - in einer (einzigen) Nacht. Etwas mehr als 1.000 konnten später polizeilich verarbeitet werden: 30% entfielen auf sexuelle Übergriffe wie Begrapschen und/oder gewaltsames Einführen von Fingern in die Vagina, 17% auf Eigentums- und Sexualdelikte in Tateinheit. Fast 50% auf reine Eigentumsdelikte wie Klauen von Handys oder Handtaschen. Zumeist geschehen rund um das Kölner Wahrzeichen, den Kölner Dom, sowie dem Vorplatz des Hauptbahnhofs, teilweise auch auf der Hohenzollernbrücke, über die im Normalfall Züge und S-Bahnen vom und zum Hauptbahnhof über den Rhein fahren.

Von diesen Ereignissen wurden alle 'überfahren' - niemand hatte mit so etwas gerechnet. Jedenfalls nicht in dieser Heftigkeit und Größenordnung. Die Rede ist von jener "Nacht, die Deutschland veränderte", so der Buchtitel zweier Journalisten, die an der danach einsetzenden Berichterstattung beteiligt waren: der Silvesternacht 2015/2016 in Köln.

"Ausgelassene Stimmung - Feiern weitgehend friedlich" lautete die Überschrift einer Pressemitteilung, die die Polizei wenige Stunden später, um 8:57 Uhr am Neujahrstag, einem Freitag, absetzte. 

Dass es anders war, stellte sich kurze Zeit später heraus: Erste Betroffene riefen in der Redaktion des Kölner Stadt-Anzeiger an. Da war die diensthabende Online-Redakteurin bereits auf Diskussionen der facebook-Gruppe "Nett-Werk Köln" aufmerksam geworden. Und so war es die große Kölner Tageszeitung, die um 13:21 Uhr als erstes journalistisches Medium online bundesweit berichtete: Sexuelle Belästigung in der Silvesternacht. Frauen im Kölner Hauptbahnhof massiv bedrängt.

Zu dieser Zeit sah sich die Pressestelle der Kölner Polizei nicht in der Lage, die in der Redaktion eingegangenen Vorwürfe zu bestätigen. Über den gesamten Neujahrstag hinweg blieb die Polizeibehörde stumm. Aber auch in den Redaktionen von Kölner Rundschau und dem EXPRESS gingen entsprechende Anrufe ein.

Was geschehen war, bricht sich erst über das verlängerte Neujahrswochenende Bahn: am Samstag, den 2. Januar, informiert ein Beschäftigter aus dem Behördenbereich der Inneren Sicherheit - inoffiziell natürlich - den Polizeireporter des Kölner Stadt-Anzeiger, dass bereits am Neujahrstag eine interne Ermittlungsgruppe eingesetzt worden sei: 30 Opfer hätten Anzeige gestellt. Nachdem diese Nachricht online veröffentlicht ist, sieht sich die Polizei gezwungen, diese Online-Informationen noch am selben Tag zu bestätigen: ganz offiziell in einer Pressemitteilung.

Am 3. Januar benennt der EXPRESS erstmals die offenkundige Tätergruppe: junge "Zuwanderer" aus Nordafrika, im Polizeijargon "Nafris" genannt. Auch das muss die Polizei wenig später bestätigen. 

Dieser Ablauf wird sich noch häufiger abspielen. Mitarbeiter aus dem gesamten Spektrum der Inneren Sicherheitsarchitektur geben - inoffiziell - Hinweise an die Medien, weil sie (zu Recht) vermuten, dass bestimmte Informationen zurückgehalten werden sollen. Manchmal suchen die Redakteure der Zeitungen selbst solche Vertreter des Apparats, um Klarheit zu gewinnen und zu veröffentlichen, was geschehen ist. Dies entspricht der "Öffentlichen Aufgabe" der Medien. So hat es bereits in den 60er Jahren das Bundesverfassungsgericht definiert. Und dabei den sogenannten Informantenschutz garantiert: Wer "im öffentlichen Interesse" Informationen an die Presse gibt, muss geschützt bleiben (Mehr unter Informant oder Whistleblower: die Unterschiede).

Die lückenlose Aufarbeitung der Vorgänge in der Kölner Silvesternacht ist daher auch dem Mut vieler dieser Menschen bzw. "Informanten" geschuldet, die sich über Dienstvorschriften hinweggesetzt haben, weil sie - zu Recht - der Meinung waren, dass bestimmte Sachverhalte öffentlich bekannt werden müssen. 

Dieses - informelle - Zusammenspiel zwischen Informanten und Medien hat sogar die Agenda des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) bestimmt: Informationen, die insbesondere die drei Kölner Zeitungen, Kölner Stadt-Anzeiger, EXPRESS und Kölnische Rundschau, publik gemacht hatten, wurden (bzw. mussten) vom PUA thematisiert (werden). Auch dieses Vorgehen ist nicht ungewöhnlich. Bereits bei der Watergate-Affäre, die letztlich zum Rücktritt des US-Präsidenten Richard NIXON führte, hatte jene Zeitung, die mit ihren Recherchen alles angestoßen hatte, die Washington Post, vor jeder Sitzung, die aufklären wollte, regelmäßig Fragen aufgeworfen und Informationen aufgetischt, um die die parlamentarischen Aufklärer nicht umhin kamen. 

Wie die Redakteure recherchiert haben, um auch das Kommunikations-Chaos bei der Polizei und deren Überforderung zu rekonstruieren, und wie das 'Zusammenspiel' der drei Redaktionen aussah, die zur fraglichen Zeit vor allem zu einem Verlag, der DuMont-Gruppe in Köln, gehören, aber meist getrennt gearbeitet hatten, haben die Journalisten selbst in einem Making-of beschrieben: 3 Medien machen alles öffentlich.

Die wichtigsten Artikel dieser drei Zeitungen finden Sie in der rechten Navigationsleiste unter Berichterstattung in den Medien - sortiert nach den drei Medienmarken. Dort gibt es auch kleine Portraits der Journalisten, die diese Geschichte ständig vorangetrieben haben.

Was die Mitglieder des Landtags von NRW in ihrem Untersuchungsausschuss in einjährigen Arbeit herausgefunden haben, ist dokumentiert unter Der parlamentarische U-Ausschuss "Kölner Silvesternacht". Dort sind auch die Sondervoten der Opposition und der Piratenpartei nachzulesen.

Jedenfalls hat diese Silvesternacht vieles verändert in Deutschland:

  • Die Willkommenskultur der deutschen Bundeskanzlerin Angela MERKEL (CDU) und ihr - sicher gut gemeintes - Sprüchlein aus dem August 2015 "Wir schaffen das" wurde ab 1. Januar 2016 unter  neuen Perspektiven öffentlich und politisch diskutiert. 
  • Von nationalistisch orientierten und/oder rechtsextremen Gruppierungen, Bewegungen und Parteien wurden die Kölner Silvesternacht-Vorgänge zum willkommenen Anlass genommen, gegen Flüchtlinge und Asylbewerber zu hetzen.
  • Aber auch die regierende Politik sah sich zum Handelns veranlasst: So wurde das Sexualstrafrecht verschärft - Begrapschen beispielsweise wird inzwischen nach § 184 i StGB ("Sexuelle Belästigung) mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und ohne Bewährung sanktioniert.
  • In Köln selbst hat man jetzt dazu gelernt: Künftig will die Stadt bei solchen und ähnlichen Events als fiktiver Veranstalter auftreten, um die Kommunikations zwischen allen relevanten Akteuren, die mit Sicherheit und Ordnung befasst sind, einheitlich koordinieren zu können. Andere Städte wollen dieses Modell übernehmen.

Die Kölner Silvesternacht hat jedenfalls ein Tabuthema zum Thema gemacht: Flüchtlinge (bzw. Menschen, die sich als solche ausgeben) und ihre Herkunft aus völlig anderen Kulturen. Konkret: Männer aus patriarchalisch geprägten Kulturen, Frauenbilder und sexuelle Gewalt. Dabei ist aber auch das grundsätzliche Problem der sexuellen Gewalt in Deutschland neu definiert worden, z.B. dass "nein" grundsätzlich "nein heißt.    

Diese Dokumentation lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Silvesternacht

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017