Das Making-of der Millionendeal-Enthüllung

Aufgeschrieben von der MOPO-Redakteurin Nina GESSNER

In der zwischen Dezember 2021 und Mai 2022 sowohl in der Print- wie auch in der Online-Ausgabe erschienen Artikelserie hat die „Hamburger MORGENPOST“ die unrechtmäßige Vergabe eines Millionenauftrags seitens des Hamburger Finanzsenators an einen Parteifreund aufgedeckt.

Der Hinweis auf den Vergaberechtsverstoß seitens des Finanzsenators kam von einem Whistleblower. Der Tippgeber, der sich im Herbst 2021 gezielt an mich gewandt hatte, wies mich telefonisch auf eine frei zugängliche Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung hin, die eine Umgehung der gesetzlich vorgeschriebenen EU-weiten Ausschreibungspflicht bei Versorgungsnotlagen in Ausnahmefällen zulässt.

Da es sich bei dem Auftrag zur Förderung von Finanz-Startups aber nicht um die akute Bewältigung einer Krisensituation handelt und die Anzeige für die bereits erfolgte Direktvergabe auf ein einziges Unternehmen zugeschrieben war, lag der Rückschluss nahe, dass Finanzsenator Andreas DRESSEL (SPD) den Versuch unternommen hatte, den Millionen-Auftrag an den Hamburger Unternehmer Nico LUMMAund seine Firma NMA zu vergeben. Pikant: Der in der städtischen Öffentlichkeit recht präsente LUMMA ist SPD-Mitglied und hat den Parteivorstand der Sozialdemokraten im Wahlkampf beraten. Außerdem sitzt LUMMA im Verwaltungsrat der "Kasse Hamburg", welche innerhalb der Finanzbehörde die Buchhaltung und den Zahlungsverkehr für die Hansestadt durchführt.

Ein Filz-Verdacht stand im Raum. In zahlreichen weiteren Artikeln konnte dieser Verdacht weiter erhärtet werden. So konnte ich nach mühsamen Recherchen in der recht verschwiegenen FinTech-Szene nachweisen, dass die Finanzbehörde nicht nur gegen die Ausschreibungspflicht öffentlicher Aufträge verstoßen hatte, sondern noch nicht einmal die Erfordernisse einer Direktvergabe erfüllt hatte. So hatte die Behörde – anders als behauptet – keine Markterkundung vorgenommen. Die für den Auftrag ebenfalls infrage gekommenen Konkurrenzunternehmen waren nicht kontaktiert worden.

Schwierig war es während der Recherche, eine zuverlässige juristische Bewertung zu bekommen. Denn die für Vergaberecht zuständigen Kanzleien in Hamburg sind angewiesen auf die städtischen Aufträge und befürchteten im Falle einer kritischen Positionierung negative Konsequenzen. So konnte ich mich als Redakteurin zwar stets bei mehreren Juristen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis rückversichern, dass ein Vergaberechtsverstoß faktisch vorlag, nur ließ sich niemand damit zitieren. Erst als über diese Ansprechpartner der Kontakt zu einer Vergaberechtlerin im neutralen Süddeutschland hergestellt wurde, konnte ich sicher nachweisen, dass Finanzsenator mit seiner eiligst aus dem Ärmel gezogenen offiziellen Verteidigungslinie gegen EU-Recht verstieß und die Öffentlichkeit zu täuschen versucht hatte.

Die Opposition in der Hamburger Bürgerschaft (Landesparlament) ist frühzeitig auf die Thematik angesprungen und hat den Aufklärungsprozess auf parlamentarischem Weg begleitet, was ebenfalls mehrfach Teil meiner Berichterstattung war. Auch die EU-Kommission unterzog die Direktvergabe einer Prüfung.

Der durch die zahlreichen Artikel unter großen Druck geratene Finanzsenator musste den Auftrag schließlich am 11. Januar 2022 während einer Haushaltssitzung der Bürgerschaft zurückziehen. Dabei gab er der Presse und namentlich der „Redakteurin bei der Hamburger Morgenpost“ die Schuld am Scheitern des Auftrags, was er wiederum als großen Schaden für die Wirtschaft der Stadt Hamburg darstellte.

Die MOPO-Berichterstattung zu dem Filz-Vorgang hat sowohl auf politischer als auch auf medialer Ebene enorme Aufmerksamkeit erzeugt. Die unter Druck geratene Finanzbehörde hat mir gegenüber mehrfach versucht, die Berichterstattung zu unterbinden, indem mir die juristische Kompetenz abgesprochen wurde und mir „Unterstellungen“ und haltlose „Vorwürfe“ vorgehalten wurden.

Auch die Verantwortlichen der um den Millionenauftrag gebrachten Firma haben versucht, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen und sich dafür mehrfach direkt sowohl an die Chefredaktion als auch an die Geschäftsführung der Morgenpost gewandt. Sie warfen uns als Zeitung vor, eine Kampagne zu führen und uns von der Opposition instrumentalisieren zu lassen. Sie mahnten an, dass unsere Berichterstattung Jobs und ganze Existenzen in Gefahr bringen würde. LUMMA und sein Partner Christoph HÜNING engagierten die auf u.a. auf Medienrecht spezialisierte Kanzlei "GRAEF Rechtsanwälte" (Motto: „Wir sind gradlinig. Wir reden niemandem nach dem Munde und sagen unsere Meinung. Auf uns ist immer Verlass.").

Die juristische Auseinandersetzung ging hoch bis vors Oberlandesgericht, wo die Recherche in allen wesentlichen Punkten Bestand hielt. Das Gericht wies die Unterlassungsklage zurück.

All das hat zwar nicht dazu geführt, dass wir nicht mehr über den Fall berichtet haben, es hat den internen Druck jedoch aus meiner Sicht unangenehm erhöht, weil die Nervosität und Anspannung für mich spürbar war. Da die Redaktion aufgrund der Corona-Pandemie zu dieser Zeit im Winter 2021/22 im Homeoffice gearbeitet hat, waren die redaktionsinternen Kommunikationswege stark behindert und der Austausch zu den Vorgängen fand nur sehr eingeschränkt statt. Dadurch habe ich mich angesichts des Drucks von außen oft allein gelassen gefühlt. Der hohe strapaziöse Einsatz mit vielen, vielen Überstunden und schlaflosen Nächten hat bei mir zur einer starken Belastung geführt. In so einer Situation nicht den Mut zu verlieren, sondern am Bestreben nach Aufklärung und Wahrheitsfindung festzuhalten, hat einen enormen Kraftakt bedeutet.

Aber ich habe durchgehalten.