Gleichzeitig stellt sie intern Fragen. Z.B. warum Schwerbehinderte anders behandelt werden sollen wie Nichtschwerbehinderte. Antworten erhält sie nicht.
Ob der Unstimmigkeiten und Widersprüche, der intern vorgegebenen Sanktionsquote, die jeder Mitarbeiter erfüllen soll, erleidet Hannemann einen Burnout. Sie nimmt eine Auszeit, schaut sich Arbeitsämter in London an, jobbt in Nizza, verdient ihren Unterhalt mit Minijobs in sog. prekären Arbeitsverhältnissen. Und lernt die andere Seite kennen, die ihrer „Kunden“.
Als sie im Mai 2011 wieder in Hamburg ihre Arbeit aufnehmen will, versucht man das zu verhindern – mit einem Gutachten wegen „psychischer Instabilität“. Die Gutachterin indes kann dies nicht diagnostizieren. Hannemann muss sich wie eine Externe auf freie Stellen bewerben und jobbt nebenbei als freie Dozentin und freie Journalistin, da ihr kein Gehalt gezahlt wird. Mit Hilfe von ver.di Hamburg besteht sie auf eine Beschäftigung und wird fünf Monate später beim „Jobcenter für Menschen ohne festen Wohnsitz“, dort in der Abteilung „Arbeitgeberservice HoGa“ eingesetzt. Nachdem diese Abteilung aufgelöst wird, muss Hannemann erneut auf Beschäftigung bestehen und wird ins Jobcenter Hamburg-Altona als Arbeitsvermittlerin versetzt, jedoch in Funktion zur Unterstützung Fallmanagement. Dort ist sie für die besonders schwer zu vermittelnden jungen Menschen bis 25 Jahre zuständig.
Sie fängt an zu bloggen (www.altonabloggt.com), veröffentlicht Dokumente und interne Berichte, die ihr zugespielt werden, setzt sich kritisch mit den vielen Ungereimtheiten auseinander, lässt Betroffene zu Wort kommen, gibt Hinweise für „Kunden“, stellt Hintergrund-informationen zur Verfügung. Sehr zum Missfallen der „BA“. Als sie merkt, dass ihr Blog auf Unverständnis stößt, fordert sie ihren Arbeitgeber auf, ihre Aktivitäten rechtlich zu überprüfen. Widerrechtliches erkennen mag man nicht – in Deutschland herrscht Meinungsfreiheit. Im Februar 2013 schreibt sie deshalb einen ‚Offenen Brief‘ an die BA, fragt, warum sie keine Antworten erhält, wo sie doch auf „Missstände“ aufmerksam machen wolle.
Dass es diese gibt, wird kurz darauf der Bundesrechnungshof (BRH) konstatieren, wenn er mehrfach von „Manipulationen“ der Statistiken spricht: Die BA würde sich auf jene „Kunden“ konzentrieren, die sowieso einen Arbeitsplatz bekämen. Alle anderen fielen unter den Tisch. „Creaming“ nennen Wissenschaftler das. „Zielführend“ sei das alles nicht, so der BRH.
Jetzt werden die Medien auf die „Hartz IV-Rebellin“ aufmerksam. Und das Thema ist in aller Öffentlichkeit. Die BA reagiert auf ihre Weise: Hannemann wird nicht gekündigt. Sie wird vom Dienst freigestellt, darf nicht mehr an ihren Arbeitsplatz. Sie klagt, schreibt an die Bundesarbeitsministerin Ursula von der LEYEN, von der sie keine Antwort bekommt, verliert den Prozess und wird dienstlich umgesetzt: ins Integrationsamt.
Jetzt wird sie richtig politisch, lässt sich bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg für die Fraktion DIE LINKE ins Parlament wählen.
Als das Sozialgericht in Gotha (Thüringen) die Sanktionen in Form von finanziellen Kürzungen einer ohnehin geringen monetären Leistung als gegen die Verfassung verstoßend deklariert (Az: S 15 AS 5157/14), fasst sie wieder Mut, gründet die Initiative www.sanktionsfrei.de. Die Idee. möglichst viele Hartz IV-Empfänger dazu bewegen, gegen ihre Entscheide zu klagen. Das Hartz IV-Regulatorium ist ohnehin so schlecht gearbeitet, dass fast die Hälfte aller Klagen immer zugunsten der Hartz IV-Empfänger ausgehen.