Plagiate: ABC der Verantwortlich(keit)en
Vorbemerkung
Bemerkenswerterweise werden, wenn Plagiate welcher Art auch immer, auffliegen und öffentlich werden, immer nur die Namen der 'Delinquenten' genannt. Die "Doktorväter" bleiben anonym.
Dies ist eine absolut unvollständige Sicht der Dinge. Wenn Professoren als "Betreuer" einer Dissertation nicht merken, dass der Kandidat täuscht oder nicht korrekt arbeitet, sind sie als Hochschullehrer ungeeignet. Denn sie nehmen unredliches Wissenschaftsverhalten billigend in Kauf. Sie sind dann Mittäter.
Oder gibt es andere Erklärungen? Wir dokumentieren hier u.a. die Antworten des "Doktorvaters" und seiner Kollegen zu ihren Verantwortlichkeiten.
DIE PROFESSOREN und weitere FAKULTÄTSANGEHÖRIGE
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Prof. Dr. Klaus KROY
forscht und lehrt am Institut für Theoretische Physik (Fakultät für Physik und Geowissenschaften) an der Universität Leipzig. Er zählt zu den führenden Wissenschaftlern weltweit, die sich u.a. mit sogenannten Brownschen Bewegungen (Brownsche Molekularbewegungen) befassen. Dies betrifft Fragen beispielsweise dergestalt, weshalb und auf welche Weise sich kleine Teilchen (z.B. Wüstensandkörner oder andere mikroskopisch kleine Moleküle) oder auch Gase (ruckartig) bewegen, wie und wann sie mit anderen zusammenstoßen und welche Richtung sie danach nehmen.
Auf Google Scholar finden sich dazu über 140 Veröffentlichungen von Klaus KROY.
Außerdem leitet er die Forschung "Mesoskopische Physik", die sich mit Materialien beschäftigt, deren Größen sich in den Grenzen zwischen Nano- und Mikrometern bewegen. Die Bewegung größerer Teilchen lassen sich in der Regel mechanisch erklären, da sie den Gesetzen der klassischen Physik gehorchen. Hier orientieren sich die mesoskopischen Objekte an thermischen Regeln. Will man das elektronische Verhalten analysieren, so wird es kompliziert: Man muss die Quantenmechanik dafür nutzen.
KROY's Forschungsmotto lehnt sich an den berühmten Satz des US-amerikanischen Physikers und Nobelpreisträger (1965: Quantenelektrodynamik) Richard FEYNMAN an:
“I would rather have questions that can’t be answered than answers that can’t be questioned”.
Wie das oft so ist: Wenn Menschen, die auf ihrem Gebiet ein "Ass" sind, ihre Arbeit und Wahrnehmung auf ihre Expertise einengen, kann dies schnell dazu führen, dass Regeln, die für alle gelten, nicht mehr beachtet werden.
Wie auch immer: Prof. Dr. Klaus KROY ist Mitglied im Fakultätsrat, aber auch im Promotionsausschuss. Eigentlich müsste er wissen, was in der Promotionsordnung steht. Und dass selbst ein ganzer Ausschuss die Regeln einer Promotionsordnung nicht einfach suspendieren kann oder darf.
KROY ist gleichzeitig aber auch "wissenschaftliches Mitglied" der International Max PLanck Research School (IMPRS) "Mathematics in the Sciences" (MiS) in Leipzig, die sich als Graduiertenschule versteht und eng mit dem Institut für theoretische Physik der Uni Leipzig zusammenarbeitet. In diesem Zusammenhang wurden auch die Doktorandenkandidaten Daniel GEIß und Stefano STEFFENONI "in gemeinsamen Auswahlrunden für die IMPRS interviewt und ausgewählt", wie deren Pressestelle betont. Beide wurden im Rahmen von "Doktorandenförderverträgen" finanziert. Eine Art von Leistungscontrolling, etwa mittels Credit Points, gibt es an der Leipziger "IMPRS MiS" allerdings nicht.
Wir haben Prof. KROY, der offenbar ,die Zügel an beiden Instituten in der Hand hält, gefragt, wie er es sich erklärt, dass es in den fraglichen Dissertationsfällen, die wir unter Plagiate: Wie alles aufflog beschrieben haben, zu solchem 'Fehlverhalten' kommen konnte. Und wollten beispielsweise auch wissen, ob diese Vorgehensweise eine Art von nachträglicher 'Entlohnung' für zuvor geleistete Projektarbeiten gewesen ist: insgesamt 10 Fragen.
Prof. KROY hat überhaupt nicht reagiert.
Dr. Viktor HOLUBEC, Ph.D.
Er begann seine Karriere an der Karls-Universität in Prag, wo er inzwischen wieder lehrt und forscht: am Department für Makromolekulare Physik. Auch er publiziert fleißig. Google Scholar weist rund 60 Fachveröffentlichungen aus.
Von 2017 bis 2021 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. KROY. Offenbar war er in dieser Zeit eine Art von inoffiziellem Betreuer mehrerer Dissertationen, die sich nun Plagiatsvorwürfen ausgesetzt sehen. So heißt es beispielsweise in der Dissertation von Daniel GEIß auf S. 175: „By far the biggest thanks go to my mentor and friend Viktor Holubec, without whose support this work would not have been possible in its present form.“
In jedem Fall taucht er häufig in mehreren gemeinschaftlichen Fachveröffentlichungen der Leipziger Fakultät als Mitautor auf, z.B. bei der Dreier-Publikation GEIß-KROY-HOLUBEC: "Signal propagation and linear response in the delay Vicsek model".
Wir haben ihn gefragt, wie er seine Rolle bei den fraglichen Dissertationen sieht. Und ob er Kenntnis von der Übernahme der Gemeinschafts-Publikationen hatte. Und ob das mit Prof. KROY abgesprochen war. Und anderes mehr.
Seine Antwort ist kurz: Er verweist auf das laufende Verfahren der Uni Leipzig. Und könne sich, bevor es beendet ist, nicht öffentlich dazu äußern. Dies ist der Schriftwechsel mit ihm.
Nachdem die Geschichte bei uns und beim MDR veröffentlich wurde, meldet sich HOLUBEC doch noch konkreter.
Zunächst auf der Kommentarseite des MDR:
Er betont, dass „in den meisten Fällen die Studenten von Arbeiten abgeschrieben haben, bei denen sie Erstautoren und damit nach den Gepflogenheiten der Physik die Hauptautoren waren.“ Und dies sei in der Physik so üblich.
Dann meldet er sich bei uns und betont das Gleiche – nicht ohne den Hinweis, dass man noch über den Missbrauch von Whistleblowing und mögliche Strafen dafür diskutieren müsse, wenn erfundene Anschuldigungen („made-up allegations“) erhoben werden, um Menschen zu schaden.
Und er geht auf unsere Fragen ein. Insbesondere unsere Frage 3, bei der wir wissen wollten, „in welcher Form“ er bei der Dissertation von Herrn Geiß mitgearbeitet habe. Seine Antwort:
“Die Zusammenarbeit verlief standardmäßig; entweder einer der Professoren oder ich schlugen ein offenes Problem vor, das dann von den Studenten unter unserer gemeinsamen Aufsicht gelöst wurde. Ich half den Studenten, wenn sie Hilfe beim Formulieren oder Lösen von Gleichungen, beim Interpretieren von Daten oder bei Computersimulationen oder Numerik benötigten. Auf diese Weise habe ich auch mit Herrn Geiß zusammengearbeitet. Wir haben auf diese Weise mehrere interessante physikalische Probleme gelöst. Bei Veröffentlichungen, bei denen Herr Geiß der Erstautor ist, hat er die Berechnungen durchgeführt, Simulationen geschrieben und durchgeführt, Abbildungen erstellt und die ersten Versionen der Veröffentlichungen geschrieben. Prof. Kroy und ich haben sie überarbeitet“ (im Original: „Prof. Kroy and I polished them“).
Gleichermaßen sei er auch bei der Doktorarbeit von Sven AUSCHRA verfahren.
Die beiden Doktoranden hatten zu den fraglichen Publikationen jeweils erklärt, dass Sie gemeinsam mit HOLUBEC “analytical and numerical calculations” durchgeführt hätten. Konkret heißt es zum Beispiel in der Doktorarbeit von
- D. GEIß (vii / List of publications): “DG and VH carried out analytical and numerical calculations. All authors were involved in writing the manuscript.”
- S. AUSCHRA (xi / List of publications): “SA and VH developed the theory and carried out analytical and numerical calculations. All authors helped drafting the manuscripts.”
In unserer chronologischen Rekonstruktion Wie alles aufflog (unter dem Eintrag 15. Mai 2023) haben wir detailliert dokumentiert, dass diese Praxis mit jeweiligen Regularien und der gängigen Rechtsprechung klar kollidiert.
Anders gesagt: Es ist gegen Recht und Gesetz.
Und so antworten wir Viktor HOLUBEC auch.
Prof. Dr. Frank CICHOS
Auch er ist an der Fakultät für Physik und Erdsystem-Wissenschaften tätig, ist dort als einer der beiden Prodekane für die Forschung zuständig. Inhaltlich beschäftigt er sich mit Molekularer Nanophotonik und agiert als Chef der Molecular Nanophotonics Group.
Sein Name taucht in mehreren Gemeinschaftspublikationen des Instituts für Theoretische Physik als Mitautor auf - Veröffentlichungen, die sich in den Dissertationen von GEIß und AUSCHRA wiederfinden. Beispiel: "Thermotaxis of Janus Particles" von AUSCHRA, BGEULLA, KROY und CICHOS. Oder "Finite-size scaling at the edge of disorder in a time-delay Vicsek model", einer Publikation von HOLUBEC, GEIß, KROY und CICHOS.
Wir haben ihn gefragt, ob ihm bekannt ist, wie die fraglichen Dissertationen zusammengebastelt wurden.
Antworten haben wir nicht bekommen.
DIE NEUEN "Doktoren":
in der Reihenfolge ihres Auftritts in der Chronologie Wie alles aufflog. Und was danach geschah.
"Dr. Daniel GEIß"
Er studierte bis 2017 an der Universität Heidelberg, wo er sich mit Astrophysik beschäftigte. Zur Promotion wechselte er die Universität und das Themengebiet.
Seine (erfolgreiche) Promotion vom Februar 2023 mit dem Titel "Effects of Time Delay in Motile Active Matter. From microscopic to collective behavior" war der Anstoß, dass sich die AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" zusammengefunden hatte. GEIß hatte in der Fakultät nicht den Anschein gegeben, zu den Fleißigsten zu gehören, obwohl er Stipendiat der Max Planck Research School "Mathematics in the Sciences" war.
GEIß ist als Mitautor in 6 Fachpublikationen genannt, die sich alle in seiner monografischen Dissertation wiederfinden, dort allerdings als angeblich von ihm allein verfasster Dissertationstext. Mal übernimmt er nur einzelne Sätze oder Absätze, mal formuliert er Übernahmen aufwändig um und mal schreibt er seitenweise Wort für Wort ab. Übernommen werden auch Kapitelstrukturen, Überschriften, Quellen, Anhänge, Abbildungen und Grafiken mitsamt den Bildunterschriften. Die von GEIß verwendeten Publikationen wurden zusammen mit seinem Doktorvater Prof. KROY, Prof. CICOS, Dr. HOLUBEC und anderen promovierten und habilitierten Fakultätsangehörigen verfasst.
Die AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" schätzt den Plagiatsanteil auf mindestens 65%.
Wir haben ihm Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Dies waren unsere Fragen. Antworten haben wir nicht erhalten.
"Dr. Sven AUSCHRA"
Seine Doktorarbeit hatte er im Oktober 2021 vorgelegt: "On the Properties of Self-Thermophoretic Janus Particles. From Hot Brownian Motion to Motility Landscapes". Doktorvater: Prof. Klaus KROY.
Die Arbeit von AUSCHRA ähnelt der Dissertation von GEIß auf verblüffende Weise: Nicht nur das Layout ist nämlich identisch, sondern auch die Vorgehensweise. Auch AUSCHRA übernimmt in seiner Monografie großflächig Material aus 5 Gemeinschaftspublikationen, die gemeinsam mit Prof. KROY, Prof. CICHOS, Dr. HOLUBEC sowie weiteren meist promovierten und habilitierten Fakultätspersonal verfasst wurden. Ebenso wie GEIß weist AUSCHRA die ungekennzeichneten. Übernahmen als sein eigenständiges Werk aus.
Der Plagiatsexperte Martin HEIDINGSFELDER merkt in seiner Plagiatsanzeige an die Universität Leipzig vom 14.06.2023 an: „Beide Dissertationen tragen die gleiche Handschrift.“
Die AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" gibt den Plagiatsanteil mit ca 80% an.
Auf der Alumni-Website von Prof. KROY ist das jetztige Berufsfeld von "Dr. Sven AUSCHRA" mit "Industry" angegeben.
Auf unsere Fragen reagiert "Dr. Sven AUSCHRA" nicht.
"Dr. Stefano STEFFENONI"
War ebenfalls wie Daniel GEIß Stipendiat der Max Planck Research School "Mathematics in the Sciences". Seine Promotionsarbeit "Active Brownian Dynamics" (Tag der "Verteidigung" am 19. Mai 2019) wurde offenbar ebenfalls von Prof. Klaus KROY als Erstgutachter betreut.
Zusammen mit seinem Doktorvater gibt es 5 Gemeinschaftspublikationen, die alle Eingang in seine Doktorarbeit gefunden haben. Eine dieser Veröffentlichungen beispielsweise, "Interactive Brownian dynamics in a nonequilibrium particle bath", in der er namentlich zusammen mit einem früheren Doktorandenkollegen Gianmaria FALASCO sowie Prof. KROY auftaucht, bildet ein volles Kapitel seiner Promotionsarbeit.
Der zeitlich frühere Doktorand und Mitautor Gianmaria FALASCO schrieb zu dieser Publikation in seiner Dissertation auf Seite 123 bereits zwei Jahre früher: "I inspired and advised S. Steffenoni in working out the general theory in [56], helped in designing the model examples and interpreting the results, as well as drafted the core parts of the paper.“
STEFFENONI erwähnt diesen Umstand in keinster Weise. Er gibt den Artikelinhalt als sein eigenes Werk aus.
Die AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" listet den Plagiatsanteil mit ca. 40%.
Auf der Alumni-Website von Prof. KROY ist das jetztige Berufsfeld von "Dr. STEFFENONI" mit "Industry" angegeben. Auf unsere Fragen geht er nicht ein, verweist statt dessen auf das laufende Ermittlungsverfahren der Uni Leipzig und dürfe sich deshalb dazu nicht äußern. Davon abgesehen sei "the tone of your email far from appropriate".
"Dr. Gianmaria FALASCO"
Seine Promotion datiert aus 2017. Er wechselte zu diesem Zweck 2013 von der Universität Padua in Italien zu Prof. KROY nach Leipzig.
Mit der Arbeit von FALASCO fällt der AG „Gemeinschafts-Doktorarbeit“ erstmals ein neuer Typus Dissertation auf. Waren die bislang entdeckten Plagiatsarbeiten als Monografien mit verschleierten (versteckten) Übernahmen ausgestaltet, handelt es sich bei der Dissertation von Gianmaria FALASCO um eine kumulative Dissertation.
"Four out-of-equilibrium stories", so der Titel der Doktorarbeit, besteht praktisch nur aus einer Aneinanderreihung von 11 Gemeinschaftspublikationen, die er zusammen mit 14 anderen Wissenschaftlern mitverfasst hat. Er hat es sich besonders einfach gemacht. Seine Dissertation enthält noch nicht einmal eine durchgehende Seitennummerierung - alles einfach zusammenkopiert. Einfach alles hintereinander.
Im Gegensatz zu den Plagiats-Monografien seiner Kollegen ist die Dissertation von Gianmaria FALASCO zwar eine außerordentlich transparente Arbeit. Doch es besteht das gleiche Problem wie bei den anderen Dissertationen: Sie ist keine „selbstständig erstellte Arbeit“ im Sinne der Promotionsordnung und des Sächsischen Hochschulgesetzes.
Die quasi-Mitautoren aus Leipzig sind zum einen von der Universität Leipzig:
- Prof. Dr. Klaus KROY
- Prof. Dr. Frank CICHOS
- M.Sc.Richard PFALLER (Doktorand)
- Dr. Andreas BREGULLA.
Die restlichen Mitautoren sind in der abgebildeten Liste zu ersehen, die die AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" ermittelt hat. Nirgendwo ist der Eigenanteil seiner wissenschaftlichen Leistung benannt.
Die informellen Prüfer haben sich das alles genau angesehen und in ihrer Bewertung seiner Doktorarbeit dokumentiert.
Inzwischen ist FALACSCO wieder nach Italien an die Universität Padua zurückgekehrt und dort als Dozent am Dipartimento di Fisica e Astronomia "Galileo Galilei" - DFA tätig: als Assistenzprofessor.
Wir haben ihn gefragt, wie er selbst seinen Eigenanteil an seiner Doktorarbeit einschätzt. Und erhalten auch von ihm keine Antwort.
Eine Antwort, allerdings anderer Art, erhalten wir von der Pressestelle der Uni Leipzig am 14. März 2024. Dr. rer. nat. FALASCO wird von Verdacht des Verstoßes gegen die Promotionsordnung freigesprochen. Wörtlich schreibt uns die Universität:
Dass die Ständige Kommission "in dieser Woche bei einem Verfahren, bei dem es um eine kumulative Promotion ging, das Vorprüfungsverfahren eingestellt hat, weil sich der Verdacht nicht hinreichend bestätigt hat. In einem weiteren Verdachtsfall, bei dem es ebenfalls um eine kumulative Promotion ging, wurde der Verdacht bereits durch die Ombudsperson im Rahmen der Vorprüfung ausgeräumt.
Über die genaue Begründung ihrer Gremien will uns die Universität nichts sagen - offenbar eine Art von Verschlusssache.
Daraus lässt sich nur schließen, dass es neuerdings neue Standards in Sachen Ausweis des wissenschaftlichen Eigenanteils bei Promotionen an dieser Universität gibt. Die Folgerungen haben wir thematisiert unter Dissertationsstandards in Leipzig: “Leipziger Allerlei”?
"Dr. Marc LÄMMEL"
Es ist die fünfte Doktorarbeit, auf die die informelle AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" bislang gestoßen ist: "Mesoscopic concepts in soft condensed matter physics. From wind-blown sand to biopolymer solutions" aus dem Jahr 2019. Erstgutachter: Prof. Dr. Klaus KROY.
Wie im Fall FALASCO handelt es sich bei der Arbeit von Marc LÄMMEL um eine kumulative Dissertation. Die Vorgehensweise von LÄMMEL ist sehr ähnlich: 6 Gemeinschaftspublikationen mit insgesamt 10 anderen Mitautoren, die aus Leipzig, Frankreich, Israel und dem Forschungszentrum Jülich stammen, bilden den wissenschaftlichen Hauptteil seiner Arbeit. An allen diesen Fachartikeln schreibt auch der Betreuer und Erstgutachter als Co-Autor mit: Prof. KROY. Und wie bereits im Fall FALASCO werden die Fachartikel vollständig in die Dissertation hineinkopiert: ohne Seitenzahlen und vor allem: ohne Darstellung seines Eigenanteils.
Einem dieser Fachartikel liegt die Frage zugrunde, wie in einer Wüste sogenannte Zwergdünen entstehen. Dazu hat KROY an seinem Institut eine internationale Forschergruppe zusammengestellt, in die auch Doktorand LÄMMEL eingebunden war:
Die Fragestellungen, denen die Wissenschaftler nachgegangen sind, sind - wie alle anderen auch - absolut interessant. Noch interessanter ist allerdings, dass in der dazugehörigen Pressemitteilung der Universität Leipzig (Link siehe oben) Prof. KROY als „federführender Autor der Veröffentlichung“ bezeichnet wird. Jener Veröffentlichung, die später als eigenständige Promotionsleistung von LÄMMEL anerkannt wurde.
Deswegen haben wir auch "Dr. Marc LÄMMEL" gefragt, wie er selbst den eigenen Anteil an seiner schriftlichen Promotionsleistung erklärt.
"Dr. Marc LÄMMEL", dessen jetztiges Berufsfeld auf Prof. KROY's Alumni-Website mit "Industry" angegeben ist, reagiert nicht.
Nachdem die Site www.ansTageslicht.de/Plagiate-Uni-Leipzig - so wie die TV-Berichterstattung des MDR - online gegangen ist, reagiert Dr. Marc LÄMMEL doch noch. Nach seiner Auffassung ist allen Anforderungen hinsichtlich des Ausweises des Eigenanteils an seiner Dissertation - Genüge getan. Insbesondere weil er - nachträglich – für die Onlineversion seiner Arbeit einen Anhang eingereicht habe, u.a. “Author Contributions”.
Wir antworten ihm, dass dies für die rechtlichen und sonst wissenschaftlich üblichen Anforderungen nicht ausreicht, sondern dass man in solchen Fällen einer sogenannten kumulativen Dissertation, die sich aus unterschiedlichen Gemeinschaftspublikationen zusammensetzt, für eben diese jeweils in einer Doktorarbeit erklären muss, was genau auch dort der eigene Eigenanteil war. Und das dann ebenfalls auch in der Dissertation.
Darauf erhalten wir keine Reaktion mehr.
Allerdings eine Reaktion seitens der Pressestelle der Uni Leipzig am 14. März 2024. Er sowie ein weiterer ehemaliger Student am Leipziger Institut für Theoretische Physik wurden vom Verdacht des Verstoßes gegen die geltende Promotionsordnung freigesprochen. Wörtlich schreibt uns die Universität:
Dass die Ständige Kommission "in dieser Woche bei einem Verfahren, bei dem es um eine kumulative Promotion ging, das Vorprüfungsverfahren eingestellt hat, weil sich der Verdacht nicht hinreichend bestätigt hat. In einem weiteren Verdachtsfall, bei dem es ebenfalls um eine kumulative Promotion ging, wurde der Verdacht bereits durch die Ombudsperson im Rahmen der Vorprüfung ausgeräumt.
Über die genaue Begründung will uns die Universität nichts mitteilen. Auch nicht dazu, wie sich das mit den Anforderungen der gängigen Rechtsprechung durch die Verwaltungsgerichte verträgt.
Daraus lässt sich nur schließen, dass es neuerdings neue Standards in Sachen Ausweis des wissenschaftlichen Eigenanteils bei Promotionen an der Universität Leipzig gibt. Was das bedeutet, haben wir thematisiert unter Dissertationsstandards in Leipzig: “Leipziger Allerlei”?
"Dr. Zhuolin YE"
Seine vom China Scholarship Council geförderte Promotion schloss er im Dezember 2023 ab. Zu diesem Zeitpunkt prüfte die “Ständige Kommission zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens” bereits die anderen Verdachtsfälle. Der Titel seiner Arbeit lautet: „Optimization of thermodynamic systems“. Erstgutachter: Prof. Dr. Klaus KROY.
Erneut handelt es sich um eine kumulative Dissertation. Die Vorgehensweise ähnelt der von FALASCO und LÄMMEL. Diesmal werden 5 Gemeinschaftspublikationen verwendet, die mit 5 weiteren Autoren von Universitäten
- in Tschechien,
- dem Vereinigten Königreich,
- Spanien
- und der Schweiz
entstanden sind. Unter den Autoren ist auch wieder Dr. Viktor HOLUBEC, der nach seinen eigenen Aussagen zumindest in 2 Fällen das „Aufpolieren“ von Doktorarbeiten übernommen hat.
Typischerweise wurden auch hier die Fachartikel ohne Seitenzahlen in die Dissertation hineinkopiert und auch in dieser Arbeit sucht man vergeblich eine Darstellung des schriftlichen Eigenanteils von „Dr. YE“. Stattdessen reklamiert er in den „Author Contributions“ für sich, bei Forschungsprojekten Simulationen durchgeführt, seine Kollegen unterstützt und einige Ideen in die Projekte miteingebracht zu haben.
Doch Promovieren bedeutet nicht nur fleißiges Forschen im Labor, sondern vor allem Schreiben, denn es muss eine schriftliche Promotionsleistung erbracht werden. Dies ist hier offensichtlich erneut nicht geschehen, da es auch dieser Arbeit an der vom Gesetz und dem Bundesverwaltungsgericht explizit geforderten Eigenständigkeit mangelt. Das deutsche Recht lässt gemeinschaftliche Doktorarbeiten nicht zu.
Auch andere Dinge erscheinen merkwürdig. So hat KROY die Betreuung offenbar an HOLUBEC delegiert, der kein Professor und seit 2020 gar nicht mehr an der Uni Leipzig tätig ist. Ein externer Postdoc als Doktorvater? Einen Monat nach Verleihung des Doktorgrades wird der Dissertation nachträglich noch eine „Declaration of Independence“ hinter dem Deckblatt hinzugefügt, offenbar als Reaktion auf die mediale Berichterstattung. Was eine solche „Selbstständigkeitserklärung“ bringen soll, wenn die Arbeit offenkundig aus Gemeinschaftsproduktionen besteht, weiß niemand. Doch offenbar scheinen Dr. YE Bedenken aufgekommen zu sein.
Die informelle AG „Gemeinschafts-Doktorarbeit“ hat sich die Arbeit genau angesehen und in ihrer Bewertung der Doktorarbeit dokumentiert.
Gemäß der Alumni-Webseite von Prof. KROY ist Zhuolin YE nach China zurückgekehrt. Wir haben ihn gefragt, wo sein eigener schriftlicher Anteil an den verwendeten Fachartikeln liegt, ob er von der bereits seit vielen Monaten laufenden Untersuchung gegen seine Kollegen GEIß, AUSCHRA, STEFFENONI, FALASCO und LÄMMEL wusste und warum er sich keine Beratung innerhalb der Universität gesucht hat.
Antworten erhalten wir nicht.
(JL)
Online am: 15.09.2023
Aktualisiert am: 20.03.2024
Inhalt:
- Plagiate: Wie alles aufflog. Und was danach passierte an der Uni Leipzig
- ABC der Verantwortlich(keit)en
- Die Recherchen der AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" an der Uni Leipzig
- Dissertationsstandards in Leipzig: "Leipziger Allerlei"?