Die Recherchen der AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" an der Uni Leipzig

Wie die Recherchen der informellen und inoffiziellen AG "Gemeinschafts-Doktorarbeit" zustande kamen, ist ausführlich dokumentiert in der Chronologie Wie alles aufflog. Und was danach passierte an der Uni Leipzig.

Dies ist die Zusammenfassung der Auswertung von vier Doktorarbeiten:

"Unabhängig von den abgegebenen unzutreffenden Versicherungen der Promovierenden gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 1 der Promotionsordnung, dass sie die Dissertationen selbstständig und ohne unzulässige Hilfe angefertigt und die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken in der Arbeit als solche kenntlich gemacht hätten, wurde mit den Dissertationen der Nachweis zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nicht erbracht.

Keine der Dissertationen ist als selbstständig erstellte schriftliche wissenschaftliche Arbeit, die das Wissenschaftsgebiet weiterentwickelt, zu betrachten, wie es in § 40 Abs. 6 Satz 1 SächsHSFG (inhaltsgleich mit dem heutigen § 41 Abs. 6 Satz 1 SächsHSG) und in § 1 Abs. 1 Satz 3 der Promotionsordnung gefordert wird. Damit lagen die rechtlichen Voraussetzungen für die Verleihung des Doktorgrades nicht vor.

Da die Dissertationen nicht dem Grundsatz der Eigenständigkeit entsprechen, sind die Doktorgrade gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu entziehen. Hierzu ist die Fakultät verpflichtet; sie trägt die Verantwortung aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG für die Redlichkeit der unter ihrem Dach betriebenen Wissenschaft. Die Entziehung ist indiziert, wenn der Promovend mangels Eigenständigkeit der Dissertation die Befähigung zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit nicht nachgewiesen hat. In diesen Fällen erweckt der Doktorgrad den irrigen Eindruck einer ordnungsgemäß nachgewiesenen wissenschaftlichen Befähigung seines Inhabers (BVerwG, Urteil vom 21.06.2017 - 6 C 3/16, Rn. 37 und Rn. 43 ff.).

Der den Kollegen Geiß, Auschra, Steffenoni und Falasco verliehene Doktorgrad bescheinigt einen Nachweis, den sie durch ihre Dissertationen nicht erbracht haben. Die Promotionsleistungen sind daher für ungültig zu erklären und die Doktorgrade zügig gemäß § 20 der Promotionsordnung zu entziehen.

Wir weisen noch darauf hin, dass Promovierende die alleinige persönliche Verantwortung für ihre Dissertationen tragen. Da sie mit der Dissertation ihre Befähigung zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nachweisen müssen, können sie sich auf ein „Mitverschulden“ Dritter oder auf Betreuungsfehler nicht berufen (vgl. VG Düsseldorf im Fall Schavan, Urteil vom 20.03.2014 - 15 K 2271/13, juris Rn. 196-198 m.w.N.; VG Braunschweig, Urteil vom 12.06.2018 - 6 A 102/16, juris Rn. 109 und Rn. 146 f.).

(...)

Weder der Betreuer noch Mitglieder des Promotionsausschusses sind befugt, Regelungen der Promotionsordnung zu suspendieren (VG Braunschweig, a.a.O.). Das Fakultätspersonal hat die Promotionsordnung ebenso einzuhalten wie die Promovierenden und darf Fehlverhalten von Doktorand:innen weder fördern noch dulden (vgl. § 5 der Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis in der hier anzuwendenden Fassung vom 27.03.2002). Bereits die Duldung der ungekennzeichneten Übernahme der Inhalte aus den Gemeinschaftspublikationen in die Dissertationen der Doktoranden käme einem Ghostwriting gleich und würde ein schweres wissenschaftliches Fehlverhalten der Mitautoren darstellen.

(...)

Abschließend möchten wir daran erinnern, dass die bislang entdeckten Dissertationen höchstwahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges der „Doktorfabrik“ darstellen. Wir betonen ausdrücklich die Notwendigkeit der Überprüfung sämtlicher Dissertationen der gesamten Fakultät seit mindestens 2017 sowie von Maßnahmen zur Prävention, um weitere Verstöße gegen die Promotionsordnung möglichst bereits im Vorfeld zu unterbinden und das Vertrauen in die Integrität des Promotionsverfahrens wiederherzustellen."



Auswertung von 5 Dissertationen der Fakultät Physik und Erdwissenschaften an der Uni Leipzig im Jahr 2023



Das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 2017:

Mehrere Verwaltungsgerichte haben gleichlautend entschieden: In einer Doktorarbeit muss die eigene wissenschaftliche Leistung

  • klar erkennbar sein
  • und deswegen exakt ausgewiesen werden.

Das höchste Verwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, hat diese Rechtsprechung bestätigt, zuletzt am 21. Juni 2017 (Az: 6 C 3/16). Wir dokumentieren hier nochmals die wichtigsten Passagen:

“Im Gegensatz zu Graden, die aufgrund beruflicher Abschlüsse verliehen werden, bringt der Doktorgrad nicht nur zum Ausdruck, dass sein Inhaber bestimmte fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten nachgewiesen hat. Darüber hinaus ist seine Verleihung mit der Erwartung verbunden, dass der Inhaber sich dauerhaft wissenschaftskonform verhalten, d.h. grundlegende wissenschaftliche Pflichten beachten wird. Der Doktorgrad weist den Inhaber als wissenschaftlich vertrauenswürdig aus. Dementsprechend muss dieser sich des Vertrauens dauerhaft als würdig, d.h. als wissenschaftlich redlich, erweisen, um den Doktorgrad weiter führen zu dürfen (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013 – 6 C 9.12 – BVerwGE 147, 292 Rn. 27 und 46). Der Vertrauensvorschuss war von vornherein nicht berechtigt, wenn sich nach der Verleihung herausstellt, dass der Inhaber den Doktorgrad durch eine vorsätzliche Verletzung grundlegender wissenschaftlicher Pflichten bei der Erstellung der Dissertation erlangt, etwa keine eigenständige wissenschaftliche Leistung erbracht hat. 

(…)

Schlechthin grundlegend ist die Pflicht, das Gebot der Eigenständigkeit der Promotionsleistungen zu erfüllen. Der Promovend muss einen eigenen Beitrag zum Wissenschaftsprozess erbringen; er darf nicht fremde Beiträge als eigene ausgeben. 

(...) 

Die Pflicht, eine eigene wissenschaftliche Leistung zu erbringen, wird durch die Pflicht ergänzt, Übernahmen aus Arbeiten anderer durch Zitate der Originalquelle offenzulegen. Die Beachtung des Zitiergebots ist unverzichtbar, um beurteilen zu können, ob der Promovend das Gebot der Eigenständigkeit erfüllt hat.

(…)

Die sich aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergebende Verantwortung der Fakultäten für die Redlichkeit der Wissenschaft verbietet es, den Doktorgrad für eine Dissertation zu verleihen, die dem Gebot der Eigenständigkeit nicht genügt. Durch eine solche Arbeit kann die Befähigung zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten nicht nachgewiesen werden. 

Daraus folgt, dass die Verleihung durch Entziehung des Doktorgrades rückgängig zu machen ist, wenn sich die Täuschung über die Erfüllung dieser grundlegenden Pflicht – aus welchen Gründen auch immer – erst nach der Verleihung herausstellt. Ob die Dissertation noch als Eigenleistung des Promovenden gelten kann, entzieht sich einer allgemeingültigen Bewertung. Maßgebend ist die Würdigung des jeweiligen Sachverhalts. Hierfür sind die Anzahl der Plagiatsstellen, ihr quantitativer Anteil an der Dissertation sowie ihr qualitatives Gewicht, d.h. ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Aussagekraft der Arbeit, zu berücksichtigen. Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen.”


Wie die Universität Leipzig mit diesem Problem umgehen wird, werden wir dokumentieren in einem gesonderten Kapitel Funktionierende Fehlerkultur an der Uni Leipzig? (NOCH NICHT ONLINE)

Es wird online gehen, sobald es erste Informationen gibt. Derzeit (Januar 2024) ist die "Ständige Kommission" der Universität Leipzig damit befasst. Sie hat allerdings keinerlei Entscheidungs- und Durchsetzungsrechte. Sie kann nur prüfen und Empfehlungen abgeben.

Über eine Aberkennung eines akademischen Grades entscheidet allein der Fakultätsrat.

(JL)