Chronologie des Balsam-Skandals. Im Mittelpunkt: ein Polizei-Ermittler

Werbeslogan: Wir bereiten dem Sport den Boden

Mitte der 80er Jahre ist die Fa. Balsam AG aus dem westfälischen Steinhagen bei Bielefeld weltbekannt: als weltweit führender Sportbodenhersteller. Leitspruch fürs Marketing: “Wir bereiten dem Sport den Boden”

Das macht das Unternehmen bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona oder den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1993 in Stuttgart. Und bei vielen anderen sportlichen Großereignissen weltweit.

Denn Sport ist ›in‹ und viele geben dafür viel Geld aus, weshalb sich an dieser profitablen Branche auch die deutschen Großbanken als stille Teilhaber an der Balsam AG beteiligt haben. Was nur wenige wissen: Die Firma ist eigentlich längst bankrott. Dass alles noch weiter funktioniert, also rund 1.600 Mitarbeiter weltweit regelmäßig Lohn und Gehalt beziehen, hängt damit zusammen, dass Balsam nicht nur Sportböden herstellt, sondern vor allem eine ausgeklügelte Fälscherwerkstatt ist. Das, was man hingegen in der Wirtschaftspresse und in den regionalen Zeitungen liest, ist Fiktion.

Tatsächlich funktioniert das Geschäft so: Um kleine Aufträge in gigantische Großaufträge umzumünzen und Umsatz und Gewinn aufzublähen, werden sogenannte Luftgeschäfte fingiert. Die Differenz wird in Spekulationsgeschäfte ›investiert‹, und zwar in gigantischer Größenordnung.

Entweder werden die Auftragssummen den Kreditgebern gegenüber künstlich erhöht oder von vorneherein einfach auf dem Papier, sprich einer fingierten Auftragserteilung und den (angeblichen) Vertragsabschlüssen erfunden.

Mit dieser Masche kann man Geld kreieren. Und wenn man es regelmäßig macht, sogar viel Geld. Damit kann man dann z.B. auch Konkurrenzfirmen aufkaufen, und zwar zu einem völlig überhöhten Preis, und wenn man alle ‘im Sack’ hat, ist man letztlich der einzig ernstzunehmende Anbieter. Genau so wurde das kleine westfälische Unternehmen zu einem der größten Sportbodenhersteller weltweit. 

Kleinstadt Pfastatt-Richwiler bei Mülhausen im Elsass

Beispiel: In der Nähe von Mülhausen hatte die französische Gemeinde Pfastatt-Richwiler für ihr Sportzentrum einen Bodenbelag geordert. Während der Stadtkämmerer dafür den ausgemachten Rechnungsbetrag im Wert von umgerechnet 51.911,10 DM (26.541,72 €) einkalkuliert, wird derselbe Auftrag in den Balsam-Büchern in einer Höhe von 3.449.484,57 DM (1.763.693,40 €) verbucht.

3.449.484,57 DM bzw. 1.763.393,40 Euro
                           gegenüber
     51.911,10 DM bzw.      26.541,72 Euro
sind das 66fache des eigentlichen Auftragswerts.

Balsam stellt daher zwei Rechnungen aus. Eine ist für den Kunden bestimmt. Eine zweite fingierte (und erhöhte) Rechnung reicht Balsam an die Fa. Procedo in Wiesbaden weiter, Europas größtem Vorfinanzierungs-Unternehmen, an dem Balsam selbst beteiligt ist (was keiner weiß), vor allem aber auch die Allianz Versicherung über eine Tochter.

Procedo wiederum nimmt die Rechnung, die von dem Kunden erst später bezahlt werden wird, entgegen und gibt in fast gleicher Höhe darauf einen Kredit an die Balsam AG: für einen Auftrag im realen Wert von rd. 52.000 DM insgesamt über 3 Millionen DM. Balsam nimmt das Geld und spekuliert mit der Differenz weltweit an den Devisen- und Wertpapiermärkten. Das geht mal gut und geht mal schief. Angesichts der Höhe dieser Luftgeschäfte, die man macht, spielt das keine Rolle, denn unterm Strich bleibt genügend übrig, um die Beschäftigten zu bezahlen und den eigenen Firmenbossen Vorstandsgehälter in Millionenhöhe zu garantieren. Solange sich das gigantische Finanzierungskarussell (noch) dreht und alle ihren Reibach machen (können), droht keine Gefahr.

Der Whistleblower

Die Gefahr kommt näher, als Ende November 1992 ein ehemaliger Prokurist einer Auslandstochter, der nicht weiter mitmachen wollte und inzwischen in den USA selbständig ist, sich 1992 zu einer Anzeige wegen Betrugs entschließt. Zu diesem Behufe stellt er einen dicken Ordner voller kopierter Unterlagen, Belege, Fotos von Sportanlagen nebst ihrer Adressen usw. zusammen. Insgesamt fünf Ordner sind es, die im Dezember 1992 an

  1. die Staatsanwaltschaft Bielefeld (Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität)
  2. die Steuerfahndung dort
  3. das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in Hamburg
  4. die Zeitschrift Manager Magazin (SPIEGEL-Tochter) sowie
  5. an den Verein Business Crime Control in Maintal bei Frankfurt/M. gehen.

Die Ordner sind gut sortiert, gegliedert und alles ist bestens beschriftet – sozusagen der Idealfall, wenn Informanten anonym Unterlagen herausgeben. Und um den Ermittlern zu erklären, wie das alles zusammenhängt, beginnt der Ordner mit einem ausführlichen Text bzw. einem 18seitigen “Vorwort”.

Für die Staatsanwaltschaft allerdings macht es der Informant ein wenig spannender: Er adressiert den Ordner nicht direkt, sondern schickt einen Brief dorthin. In dem befindet sich ein Schlüssel und ein Zettel, auf dem steht:

“Holen Sie die für Sie bestimmten vertraulichen Informationen aus dem Schließfach im Bahnhof Bielefeld mittels beiliegendem Schlüssel.”

Die Reaktionen

Danach tut sich nichts. Einfach nichts. Auch nicht nach mehreren Wochen. Und nicht nach mehreren Monaten.

  • Die Staatsanwaltschaft hat die Anzeige sowie die Unterlagen längst zu den Akten abgelegt. Ermitteln würde Arbeit bedeuten.
  • Dem SPIEGEL und dem Manager Magazin ist die Geschichte offenbar zu uninteressant oder zu komplex, denn trotz der vielen Dokumente: Man müsste – ebenso wie die Staatsanwaltschaft – natürlich weiter recherchieren. Aber das macht Arbeit.

Und deswegen tut sich - ersteinmal - absolut nichts.

Gemeinnütziger Verein Business Crime Control

Anders beim Gemeinnützigen Verein “Business Crime Control”, der sich der Aufklärung über und dem Kampf gegen Wirtschaftskriminalität verschrieben hat. Dessen Vorsitzender, Prof. Dr. Hans SEE, will einen SPIEGEL-Redakteur vor Ort alarmieren, was auch geschieht. Allerdings ist der aktuell gerade mit ganz anderen Recherchen ausgelastet, die wenig später für Wirbel sorgen werden: Die seltsamen Kontakte des saarländischen Ministerpräsidenten, Oskar LAFONTAINE (SPD) in die Unterwelt. LAFONTAINE wird die Ergebnisse dieser Recherchen daraufhin als ”Schweinejournalismus" bezeichnen. 

Im übrigen kann sich der SPIEGEL-Redakteur offenbar garnicht vorstellen, dass “ein Unternehmen von Welt” in derartigem Umfang betrügen und alle anderen hinters Licht führen kann. Aber zu Beginn der 90er Jahre gab es weder so etwas wie die “wirecard-Pleite”, bei der 1,9 Milliarden Euro reine Luftbuchungen waren, um die Bilanz aufzublähen und künstliche Gewinne vorzuspiegeln, noch gab es “Cum-Ex”-Geschäfte, bei der die (seriösen) Betrüger direkt in die Staatskasse gegriffen hatten (mehr dazu unter Die Demontage; ONLINE ERST ENDE JUNI 2025).

Der aufrechte Ermittler: Karl-Heinz WALLMEIER

Nach einem dreiviertel Jahr – inzwischen schreibt man den Monat September des Jahres 1993 – riskiert der Whistleblower einen zweiten Anlauf. Er meldet sich nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft oder dem SPIEGEL in Hamburg, sondern bei der Bielefelder Kripo – Kriminalbeamte reagieren ganz oft sehr viel unkomplizierter als hochrangige Staatsermittler und leisten noch viel öfter sehr viel bessere Kärnerarbeit und ›Sportsgeist‹ dabei. Bei der Kripo im Polizeipräsidium ist man ganz Ohr und vereinbart sofort einen Termin.

Der jetzt beauftragte Kripobeamte, KHK Karl-Heinz WALLMEIER, macht auch gleich einen Termin bei der Staatsanwaltschaft aus, um sich nach der Anzeige und dem bisherigen Ermittlungsstand zu erkundigen. Einblick in die Akte erhält er dort nicht. Zunächst blockiert der zuständige Oberstaatanwalt Jost SCHMIEDESKAMP mit dem Hinweis, dies sei ein Steuerstrafverfahren und da sei ja das Steuergeheimnis vor. Als sich der Kripobeamte in den entsprechenden Vorschriften schlau macht und es erneut mit dem Hinweis auf die Rechtmäßigkeit seines Anliegens versucht, blitzt er wieder ab: Das Verfahren ginge die Polizei nichts an, so der Oberstaatsanwalt Jost SCHMIEDESKAMP.

Der Kripobeamte, KHK WALLMEIER, lässt sich nicht beirren und trifft sich erneut mit dem Informanten und später noch mehrere Male, denn er beginnt ab jetzt in Kenntnis der konkreten Vorwürfe und der neun Monate alten Anzeige eigene Ermittlungen, denn auch ein weiteres Gespräch mit dem Oberstaatsanwalt und weitere Zusendungen und Übergaben von Ermittlungsergebnissen bringen die Sache dort nicht voran.

Der Kripobeamte ermittelt daher selbstständig. Mit Rückendeckung seines Chefs und des Polizeipräsidenten opfert er seinen Urlaub: Er fährt in den Elsaß, um in der französischen Gemeinde Pfastatt-Richwiler vor Ort zu recherchieren.

Der Bürgermeister zeigt ihm die Rechnung der Fa. Balsam für den neuen Sportboden, die der Kripobeamte mit der seitens des Informanten erhaltenen Abrechnungs- bzw. Kreditierungsliste der Fa. Procedo vergleichen kann: Die Differenz zwischen beiden Zahlen ist gleichbedeutend mit dem Faktor 66. Ein weiteres Rechercheergebnis: Wie vom Whistleblower behauptet, sind Projekte an anderen sechs französischen Standorten überhaupt nicht existent.

Oberstaatsanwalt Jost SCHMIEDESKAMP

Mit diesem und anderen Ergebnissen versehen versucht es der Kripobeamte beim Oberstaatsanwalt SCHMIEDESKAMP nochmals und schlägt ganz offiziell ein Rechtshilfeersuchen vor. Der Oberstaatsanwalt lehnt wieder ab. 

Davon lässt sich der Kripobeamte nicht beirren und recherchiert weiter, denn inzwischen ist auch ein Bekannter des Informanten, ebenfalls ein ehemaliger Balsam-Auslandsmitarbeiter aus den USA bereit, präzise Details auszusagen. Der Kripobeamte übergibt die Vernehmungsprotokolle dem Oberstaatsanwalt mit der dringenden Bitte, doch zu prüfen, ob dieser Zeuge noch benötigt würde, weil der nämlich wieder abreisen müsse. 

Zwei weitere Balsam-Mitarbeiter aus den USA und aus Saudi-Arabien (auch dorthin unterhält die Firma Geschäftsverbindungen), bestätigen die Angaben des Informanten bzw. Zeugen und geben zusätzliche Details bekannt.

Überschrift aus der Neuen Westfälischen Zeitung ein Jahr später (5.9.1994))

Doch auch daran zeigt die Bielefelder Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität, allen voran Oberstaatsanwalt Jost SCHMIEDSKAMP, keinerlei Interesse. Und direkt zu KHK WALLMEIER: “Davon haben Sie keine Ahnung!

Und so setzt der Oberstaatsanwalt jetzt den aufmüpfigen Kriminalhauptkommissar unter Druck: Wieso der denn eigenmächtig im Ausland recherchieren könne? Ob er denn nichts Besseres zu tun habe? Wieso der überhaupt dazu käme, diesen Fall zu bearbeiten, wo doch die Zuständigkeit ganz klar bei der Staatsanwaltschaft läge?

Der unermüdliche Ermittler

Und wieder lässt sich KHK WALLMEIER nicht davon abhalten und  ermittelt weiter: 

  • Mittels Handelsregisterakten, Informationen von Auskunfteien und Presseberichten kann er mehrere Auffälligkeiten entdecken. Unter anderem die bisher nur aus Einzelbeispielen bekannte Diskrepanz zwischen den offenbar real getätigten Balsam-Umsätzen und den seitens Procedo bereitgestellten Vorfinanzierungssummen (Factoring) für die aquirierten Aufträge: Jetzt gibt es Zahlen über verschiedene Jahre. Und weiter:
  • Dass der Balsam-Chef einen kleineren, aber verdeckten Gesellschafteranteil an der Procedo hält und als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender fungiert. Dies scheint zumindest für eine engere ›Zusammenarbeit‹ zwischen diesen beiden Firmen zu sprechen.
  • Weiterhin ergibt sich, dass ein und derselbe Wirtschaftsprüfer, ein Studienfreund des Procedo-Inhabers, die Bilanzen von Procedo und Balsam unter zwei verschiedenen Firmennamen attestiert.

Die entsprechenden Vermerke, die mit den Worten schließen, “Weitere Ermittlungen sind verdeckt nicht möglich”, gibt der Kripobeamte an den Oberstaatsanwalt. Reaktion von Jost SCHMIEDESKAMP: Sie seien “mangels Quellenabgabe wertlos”. Und auch ein zwischenzeitlich entstandenes Vernehmungsprotokoll des Whistleblowers selbst vom 20. April des Jahres 1994 würdigt der Oberstaatsanwalt keines ernsthaften Blickes; er habe sie, da sie “im übrigen wertlos seien, …›zum Abheften‹ (wörtlich !) gegeben”.

Und so gehen die Tage und Wochen und Monate ins Land. KHK WALLMEIER taucht regelmäßig beim Oberstaatsanwalt auf, dem das alles mehr oder weniger am A… vorbeigeht

Sendebericht von Frontal21, Anklicken öffnet den gesamten Archivbericht

Durchsuchungen und Beschlagnahme – im Normalfall – kann die Polizei nicht veranlassen. Dies ist der Job der Staatsanwaltschaft, die ihrerseits einen richterlichen Beschluss erwirken muss. Legen Staatsanwälte ihre Hände in den Schoß, passiert auch nichts. Dies ist die Situation im Monat Mai 1994. Nach jetzt vollen eineinhalb Jahren, seit Dezember 1992, ist nichts passiert und die Ermittlungen müssen sich im Kreise drehen. Jetzt hilft nur noch öffentlicher Druck über die Medien.

Und so geht am 31. Mai 1994 abends die ZDF-Sendung “Frontal” über den Bildschirm. In einem siebenminütigem Beitrag wird eine Sportanlagenbaufirma aus dem Westfälischen vorgestellt, allerdings ohne Namensnennung. Vorwurf: Seit Jahren erschleiche sie sich durch Luftgeschäfte Kredite. Beleg: Ein Insider mit verdecktem Gesicht und abgefälschter Stimme erklärt, wie der Kreditbetrug funktioniert. Und weiter: Dass Finanzierungsgesellschaften und Banken immer so lange mitmachen, wie dabei viel Geld für sie herausspringe.

Der Autor des TV-Berichts war vormals Redakteur bei der “Neuen Westfälischen Zeitung” (NW). Und so kommt es, dass zwei Tage später jetzt die Regionalzeitung das Agenda-Setting, sprich die weitere Berichterstattung übernimmt. 

Hinter den Kulissen

Das ZDF-Format “Frontal” ist zu jener Zeit eines der führenden investigativen Fernsehsendungen - mit großer Reichweite. Und so zählen zu den Zuschauern dieser Sendung unter anderem der Wirtschaftsprüfer in Mainz, der Balsam und Procedo gleichermaßen betreut. Ebenso vor dem Bildschirm: die Gattin des Finanzchefs von Balsam, der die Tricksereien vor Jahren eingeführt und erfolgreich praktiziert hat: Klaus SCHLIENKAMP. Er berät sich mit seiner Ehefrau, weiß, dass jetzt alles aufgeflogen ist, ruft seinen Anwalt an und erscheint einen Tag später bei der Staataanwaltschaft: Er wolle ein Geständnis ablegen. Und macht es auch.

Jetzt titelt die “NW”: “Staatsanwalt ermittelt wegen Kreditbetrugs gegen Balsam AG” heisst es da sinnigerweise. 

Balsam selbst streitet - natürlich - alle Vorwürfe ab, der bei “Frontal” verdeckt aufgetretene Informant sei wegen “grober Pflichtwidrigkeit entlassen” worden und würde deshalb die Firma “mit immer wiederkehrenden Verleumdungen verfolgen”.

Natürlich weiß man bei Balsam, dass dies glatt gelogen ist, und so taucht tags drauf ein Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft auf, der den Firmenboss Friedel BALSAM vertritt, legt die Kopie eines älteren Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor, nach der das Landgericht Bielefeld bereits im Januar dem Whistleblower mehrere geschäftsschädigende Behauptungen untersagt hatte, und dies auf der Basis von Eidesstattlichen Erklärungen, u.a. einer solchen des Finanzchefs Klaus SCHLIENKAMP: Demnach seien alle Vorwürfe frei erfunden!

Ein Geständnis und weitere Verhaftungen

Dem Finanzchef SCHLIENKAMP, der sein Modell als “wundersame Geldvermehrung” (bisher jedenfalls) bezeichnet hat, sind inzwischen die Hände gebunden. Er war zur Staatsanwaltschaft gleich mit leichtem Gepäck gekommen: nicht nur mit seiner Zahnbürste, sondern auch mit seinem Lederköfferchen, das er immer – egal, wo und wann – stets bei sich führte: die hauseigene Fälscherwerkstatt:

  • gefälschte Briefbögen der Barclay-Bank in New York,
  • gefälschte Bestätigungsbriefe einer US-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
  • und sonstiges Fälscher-Utensil wie beispielsweise Schere und “Uhu”-Kleber. 

Jetzt hat er ein umfangreiches Geständnis abgelegt, das die Staatsanwaltschaft zum Handeln zwingt. Sie lässt zwei weitere Balsam-Vorstände verhaften und tags drauf nochmals drei weitere - inklusive des Firmenchefs Friedel BALSAM. (Fast) die ganze Balsam-Mannschaft ist jetzt in Haft.

Der bisher absolut desinteressierte Oberstaatsanwalt, Jost SCHMIEDESKAMP, sieht sich plötzlich im Rampenlicht der Öffentlichkeit, lässt die Firma durchsuchen und Konten sperren, spricht auf einer Pressekonferenz von einem Schadensvolumen in Höhe von 1,5 Mrd. DM und tritt sogar in einer der nächsten Frontal-Sendungen (14.6.94) auf, um sich über wirtschaftskriminelle Betrüger im allgemeinen auszulassen. Was er nicht zur Kenntnis gibt: Seine Frau Gemahlin ist mit der Lebensgefährtin des Balsam-Firmenchef befreundet, beide treffen sich regelmäßig zum Tennisspielen in der Tennisgemeinschaft “Balsam-Bienchen”.

Medienrummel, Konkurs und Strafprozess

Jetzt darf auch KHK WALLMEIER zum ersten Male Einblick in die bisherigen staatsanwaltschaftlichen Akten nehmen, wobei er feststellen kann, dass gar nicht alle seiner Vernehmungsprotokolle enthalten sind. Allerdings: Niemand mehr kann die Ermittlungen und alles weitere aufhalten, und so kommt es, wie es kommen muß: Die Balsam AG muß Konkurs anmelden. Der hinterlassene Schaden ist immens: fast zwei Milliarden DM. Es trifft vor allem die Banken. Insbesondere jene, die gerade auch beim Immobilienbetrüger Jürgen SCHNEIDER aus Königstein bei Frankfurt/M. Milliardenbeträge verlieren – und der ist seit wenigen Wochen flüchtig. Niemand weiß, wo er sich aufhält. 

Nachdem die “NW” jetzt täglich mit Neuigkeiten aufwartet wie

  • Balsam-Vorstand richtete Milliardenschaden an
  • Einbalsamiert
  • Es begann in einem Bahnhofschließfach”
  • Geschäfte mit miesen Tricks
  • Morddrohung gegen Chefermittler” (gemeint: WALLMEIER)

aktiviert auch das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL am 13. Juni 1994 - zwei Wochen nach der ZDF-Sendung “Frontal” - seinen vor zweieinhalb Jahren erhaltenen Leitzordner mit den vielen Dokumenten: “Heiße Luft

Und so kommt es, wie es kommen muss(te): Die Balsam AG stellt Konkursantrag, der für Balsam und Procedo gemeinsam tätige Wirtschaftsprüfer wird ebenfalls verhaftet, im Düsseldorfer Landtag konstituiert sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der die Ermittlungsarbeit und insbesondere das Verhalten der Bielefelder Staatsanwaltschaft aufklären soll. Der zuständige Justizminister (SPD) bezeichnet das Verhalten des Oberstaatsanwalts Jost SCHMIEDESKAMP als “ordnungsgemäß”. Trotzdem wird der Oberstaatsanwalt in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

Der Strafprozess beginnt erst knapp zwei Jahre später im April 1996 und wird bis September 1999 dauern. Auf 875 Seiten hat die Staatsanwaltschaft (ohne SCHMIEDSKAMP) Beweise zusammengetragen und 200 Zeugen benannt. Die Prozessakten umfassen rund 400.000 Blatt Papier. 

Da es sich bei den Angeklagten um gestandene “Personen des öffentlichen Lebens” handelt, die sich teure Anwälte leisten können, müssen nicht alle durchgehend im Gefängnis bleiben. Denn natürlich wussten sie alle nichts von dem, was ihr Finanzchef da die ganzen Jahre gemacht hatte - sie hatten Null Ahnung, sehen sich selbst getäuscht und sind bitter enttäuscht, hoffen auf einen milden Ausgang.

Einem der Angeklagten gelingt am 117. Prozesstag die Flucht, er setzt sich in die Schweiz ab. Und auch dem (Ex)Finanzchef Klaus SCHLIENKAMP sind offenbar derlei Gedanken nicht ganz abhold. Er hat Freigang, weil er mit seinem freiwilligen Geständnis punkten konnte. Gelegenheit, ein eigenes Unternehmen aufzubauen: eine Firma, die mit Finanzanlagen handelt - mit (wiederum) dubiosen Methoden. Ein Prozess, der dreieinhalb Jahre dauert, bietet einem Freigänger die Chance, sich Gedanken um die weitere Zukunft zu machen. Und entsprechende Vorkehrungen zu treffen.

"The body has been eaten by the fish"

Als in den Monaten Mai und Juni 1999, knapp 7 Jahre nachdem der Whistleblower je einen prall gefüllten Leitzordner mit Dokumenten an offizielle Ermittlungsbehörden, an zwei zusammengehörige Medien (SPIEGEL, manager magazin) sowie an den Verein “Business Crime Control” anonym geschickt hatte, wurden die ersten Urteile verkündet. Zwei Balsam-Manager konnten sich gegen je 100.000 DM Geldbuße ‘freikaufen’. Zwei Procedo-Manager bekamen 21 und 24 Monate aufgebrummt, Friedel BALSAM, der angeblich von nichts eine Ahnung gehabt hatte, zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt. Die höchste Strafe von 10 Jahren Gefängnis wurde Klaus SCHLIENKAMP zuerkannt.

Allerdings: sie konnte nicht vollstreckt werden.

Der ehemalige Finanzchef des Balsam-Konzerns und der Balsam AG war plötzlich am 10.November 1998 verschwunden, hatte aber dem Vorsitzenden Richter seinen Suizid in einem Brief angekündigt. Tatsächlich fand man SCHLIENKAMP's Auto an einer Uferböschung in der Nähe des Hafens von Cuxhaven an der Nordsee. Leer. Vom Besitzer keine Spur.

Die Ermittlungsbehörden gingen von seinem Freitod aus. Für sie wanderte die Akte “SCHLIENKAMP” ersteinmal auf Halde - für den unwahrscheinlichen Fall einer “Wiedervorlage”. Man hielt SCHLIENKAMPF für nicht mehr existent.

Allerdings nicht für einen: KHK Karl-Heinz WALLMEIER glaubte nicht an seinen Selbstmord. Dazu kannte er SCHLIENKAMP inzwischen zu gut. Er setzte alle seine Hebel, die ihm zur Verfügung standen, in Bewegung. Er wollte SCHIENKAMP finden.

Auch als eines Tages eine seltsame Email aus der Karibik an SCHLIENKAMP's Rechtsanwalt eintraf mit der knappen Mitteilung “The body has been eaten by the fish”, die glauben machen wollte oder sollte, SCHLIENKAMP habe sich in wärmere Gefilde abgesetzt und sei von einem Tauchgang nicht mehr an die Oberfläche zurückgekommen, nahmen auch das die offiziellen Ermittler bei der Staatsanwaltschaft und die Richter diese message mit einem Achselzucken zur Kenntnis.

Nur KHK WALLMEIER nicht. 


Im nächsten Kapitel “The body has been eaten by the fish” geht die Geschichte weiter.

(JL)