"Hat das Kaufhaus praktisch umsonst bekommen"
Der Yuppie des Jahres 1936: Helmut HORTEN - der spätere deutsche “Kaufhauskönig”
Vorbemerkung
Der nachfolgende Text ist dem 1989 erschienenen Buch “Boykott-Enteignung-Mord. Die ‘Entjudung’ der deutschen Wirtschaft” von Johannes LUDWIG entnommen und wird hier als Onlinedokumentation präsentiert. Die Site lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Horten.
Dieser Text bzw. dieses Kapitel gehört zur Geschichte Wie aus 4 jüdischen Kaufhäusern ein Pleiteunternehmen im Jahr 2024 wurde. Begonnen hatte alles 1936:
Duisburg 1936
Die Beekstraße, die von der Marienkirche direkt aufs Rathaus zuläuft, ist auch in den dreißiger Jahren eine der großen Duisburger Einkaufsstraßen. An der Ecke Münzstraße stehen sich Anfang 1936 zwei Textil-Kaufhäuser gegenüber. »Gebr. Alsberg« heißt das eine. »Franz Fahning - Das Textilhaus des Niederrheins« nennt sich das andere.
Die Fa. Franz Fahning trägt diesen Namen erst seit einem halben Jahr. Zuvor hieß dieses Geschäft »Cohen & Epstein«. Ein ehemaliger Karstadt-Manager »arischer« Herkunft hat es im Juli 1935 »übernommen« und sich damit selbständig gemacht. Auch Franz FAHNÌNG profitiert vom wirtschaftlichen Aufschwung: im gleichen Maße, wie die Arbeitslosigkeit zurückgeht, steigt auch die Kaufkraft der Bevölkerung.
Ebenfalls in einer Kaufhaus-Kette, bei Leonhard Tietz, die inzwischen unter »Kaufhof AG« firmiert, arbeitet sich ein anderer junger Mann vom Verkäufer in der Textilabteilung erst zum Abteilungsleiter und dann zum Einkäufer empor. Der 26jährige Angestellte gilt als zielstrebig. Sein Name: Helmut HORTEN.
Am Samstag, den 9. Mai 1936 - eine Woche nach den Feiern zum »Tag der Arbeit« -, erscheint im Duisburger »Generalanzeiger« eine ganzseitige Annonce:
»Das ist Horten! Jawohl, Sie haben richtig gesehen: das Alsberg-Haus hat seinen Hausherrn gewechselt, ist in arischen Besitz übergegangen«.
Der Name »Alsberg« ist zwischen Kassel im Süden, Köln im Westen und Hildesheim im Nordosten ein Begriff für Qualität: rund sechzig Fachgeschäfte haben sich im »Alsberg-Konzern« zusammengeschlossen. Das Rezept - Preisvorteile durch Großeinkauf, die in Form günstiger Verkaufspreise bei einheitlicher Markenqualität an den Kunden weitergegeben werden - hat die Alsberg-Häuser zu wirtschaftlicher Blüte geführt. Jetzt wird der Alsberg-Konzern »entjudet«.
Die drei Dachgesellschaften kommen als erste dran. Die zentrale Einkaufsgesellschaft »Alsberg-Eteg-Konzern AG« mit Sitz in Köln, an der alle lokalen Alsberg-Geschäftsinhaber als Aktionäre beteiligt waren, heißt seit Dezember 1933 »Rheintextil AG«. Die zentrale Verteiler- und Großhandelsfirma »Gebr. Fried & Aisberg GmbH« wird in »KMT Kölnische Mode- und Textilgroßhandlung GmbH« umbenannt. Aus der »Gebrüder Alsberg AG« wird »Kaufhaus Kortum AG« in Bochum.
Den Namensänderungen der Dachgesellschaften gingen personelle Veränderungen voraus: Nach und nach wurden die Firmengründer bzw. deren Nachkommen herausgedrängt. Jetzt sind die sechzig Einzelhandelsgeschäfte und Textilkaufhäuser an der Reihe. Gebraucht werden energische und hartgesottene Kaufmänner, die nicht nur die zurückgefallenen Verkaufsumsätze wieder in die Höhe bringen, sondern auch die Verkaufsverhandlungen mit den jüdischen Besitzern zu führen imstande sind.
"Herrisches Wesen des neuen Betriebsführers"
Helmut HORTEN, knapp 27 Jahre alt, zeigt die notwendige »Entschlossenheit«, die der »Führer« beschworen hatte. »Die Fa. Horten hat den jüdischen Angestellten bei der Geschäftsübernahme gekündigt, beschäftigt sie aber weiter. Sie sind aus den Verkaufsabteilungen herausgezogen und arbeiten hauptsächlich in der Kalkulation«, heißt es in einem internen Vermerk der Gestapo, »Außendienststelle Duisburg« vom 19. Juni 1936. Unter dem Aktenzeichen »II1 B/80,11/1754/36« wird weiter notiert: »Die Belegschaft muß jetzt jeden Tag 1/2 Stunde früher an der Arbeitsstelle erscheinen, um am Betriebsappell teilzunehmen. Die Gefolgschaftsmitglieder klagen durchweg über das herrische Wesen des neuen Betriebsführers.«
Genau vier Wochen vorher hatte der gleiche Gestapo-Beamte, ein kleiner Kriminalassistent, einen Bericht an die der »Außendienststelle Duisburg« vorgeschalteten »Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Düsseldorf« in Düsseldorf, Ufer der alten Garde 2 (heute Cecilienallee) zusammengestellt - das Ganze in fünffacher Ausfertigung - und unter »Betrifft: Verkauf jüdischer Geschäfte an arische Unternehmer« eigene Beobachtungen weitergemeldet:
»In Kreisen der Juden neigt man vielfach zu der Ansicht, daß das neue Deutschland nicht von Bestand sei und in absehbarer Zeit durch außenpolitische Verwicklungen zu Grunde gehen wird. Man ist deshalb nicht geneigt, seinen Grundbesitz in Deutschland aufzugeben. Die Geschäftshäuser werden deshalb nicht mit dem Geschäft verkauft, sondern an die neuen Inhaber nur vermietet.«
Schlußfolgerung des Gestapo-Beamten: »Ob man aber nach Art und Umfang der Geschäftsübernahmen in jedem Falle von arischen Geschäften sprechen kann, erscheint doch fraglich.« Auch in diesem Beispiel wurde so verfahren: »Inhaber waren die Juden Strauss und Lauter. Zu diesem Geschäft gehört erheblicher Grundbesitz, als dessen Eigentümer zum größten Teil die Witwe Theodor Lauters eingetragen ist.«
Die Witwe und ihr Sohn Ernst LAUTER sowie der Mitinhaber Hermann STRAUSS haben aufgegeben: Das bekannte Textilkaufhaus, das Anfang 1933 noch 500 Angestellte beschäftigt hatte, zählte nur noch 240 Mitarbeiter - der Umsatz war als Folge des anhaltenden Boykotts durch die Duisburger Bevölkerung um fünfzig Prozent zurückgefallen: Die Kundschaft hatte sich glatt halbiert.
Jungunternehmer Helmut HORTEN weiß, wie der Weg zum Erfolg führt und stockt erst einmal die Belegschaft auf 320 Verkäufer auf. Arische Verkäufer.
»Bravo, Horten!« - heißt es in einer selbstgeschalteten ganzseitigen Zeitungsannonce. Und im erwähnten Gestapo-Bericht wird weiter vermerkt: »Dementsprechend war besonders in den ersten Tagen nach der Geschäftsübernahme durch die Firma Horten der Besuch dieses Kaufhauses sehr stark, und viele Kundinnen haben dem Personal versichert, daß sie das Geschäft bisher nur deshalb gemieden hätten, weil es in jüdischem Besitz gewesen sei.«
Der Kaufvertrag, den Horten bereits am 23. April mit Wirkung zum 1. Mai 1936 abgeschlossen hatte, sieht eine sofortige Kaufpreiszahlung in Höhe von 150000 Reichsmark vor; die restliche Summe schuldet er in monatlichen Raten à 10.000. -
Wieviel das insgesamt sein wird, steht noch nicht fest. Über den endgültigen Kaufpreis hat man noch keine Einigung erzielt; lediglich die grundsätzlichen Modalitäten sind vereinbart: Der Geschäftsbetrieb wird von Jungunternehmer Helmut HORTEN zum Wert des vorhandenen Warenlagers abzüglich eines pauschalen Abschlages in Höhe von 39 Prozent übernommen. Das entspricht in etwa dem Warenwert zum Einkaufspreis. Was ab jetzt über den Verkaufspreis eingenommen wird, klingelt sofort als Überschuss in HORTEN's Kasse.
Da Horten das Gebäude nicht zu kaufen braucht, spart er auch hier erhebliche Investitionsausgaben: die Miete berechnet sich als fester Prozentsatz vom Jahresumsatz. Geht's gut, erhält Witwe LAUTER einen entsprechenden Mietzins, läuft's schlechter, so ist dies kein Risiko für HORTEN: Die Mietzahlung fällt dann ja geringer aus.
Damit wird Helmut HORTEN Eigentümer eines eingeführten Geschäftes mit bisher klangvollem Namen, ohne selbst eigenes Geld hineinstecken zu müssen. Günstiger geht's nicht.
Was HORTEN an Zahlungsmitteln braucht um zum Beispiel die erste Kaufpreisrate und die nächsten Löhne zu bezahlen, beschafft er sich von einem guten Freund, dem Hausarzt seiner Eltern, Dr. med. Josef FIEGER aus Lechenich, einem kleinen Dörfchen direkt hinter Köln gelegen. Mit 150.000 Mark beteiligt sich der Landarzt an der neu gegründeten Firma »Helmut Horten KG«. Dr. med. Josef FIEGER Inhaber der Parteimitgliedsnummer 3506268 seit 1. 5. 1933 und ehrenamtlich »Arzt der SA-Reserve I«, teilt die Zukunftsprognosen seines jüngeren Freundes und freut sich schon auf die versprochene Rendite auf seine Einlage in Höhe von 150.000 RM. Was Horten an Kapital noch fehlt, treibt er bei einem »alten Kunden« aus Bocholt auf, den er noch aus Köln her kennt, einem sogenannten Millionär: 100.000,-. HORTEN ist am Ziel - dem weiteren geschäftlichen Aufstieg steht nichts mehr im Wege.
Wattenscheid 1936
Kein halbes Jahr vergeht, da wird am Samstag, den 19. September um 15 Uhr, in Wattenscheid ein Kaufhaus neu eröffnet: »Kaufhaus Horten GmbH" heißt der neue Inhaber des früheren “Kaufhaus Hess”, das damit in arischen Besitz übergegangen ist.
“Horten - dieser Name wird bald in und um Wattenscheid einen guten Klang haben«, heißt es in der ganzseitigen Zeitungsanzeige: »Kaufhaus Horten - Deutsches Geschäft«.
Der Zeitpunkt ist gut kalkuliert - in zwei Monaten geht das Weihnachtsgeschäft los.
Dem zuständigen Gauwirtschaftsberater von »Westfalen-Süd« mit Amtsanschrift in Bochum, Wilhelmstr. 15-17, kommt dieses Expansionsstreben sonderbar vor. Der 37jährige Gauwirtschaftsberater - zehn Jahre älter als der dynamische Jungunternehmer Helmut HORTEN - weiß zu genau, wovon er spricht: die »Amtswalter-Funktion" ist nur rein ehrenhalber; sein Geld verdient der Gauwirtschaftsberater anderswo: als Besitzer einer Fabrik in Sprockhövel, als Mitarbeiter im »Büro Keppler« in Berlin und dort bereits befaßt mit den ersten Kriegsvorbereitungen (»Fragen der zukünftigen Rohstoffversorgung«) und inzwischen auch als Aufsichtsrat in vielen Firmen, darunter der Engelhardt-Brauerei in Berlin, deren Aufsichtsratssitz ihm sein alter Bekannter, Karl RASCHE von der Dresdner Bank, vermittelt hatte: Paul PLEIGER, der spätere Chef der kriegswichtigen “Hermann-Göring-Werke”.
»Da ich in diesem Fall die größten Bedenken haben muß, daß diese Arisierung tatsächlich einwandfrei durchgeführt wurde«, schreibt PLEIGER am 9. Oktober an den Gauwalter der Deutschen Arbeitsfront, sollen diesem Kaufhaus keine »DAF-Plaketten« ausgehändigt werden. Die DAF-Plaketten mit dem Aufdruck »Deutsches Geschäft« müssen von den Firmen jedes Jahr neu beantragt werden.
Das “Kaufhaus Horten” wolle nur mit arischen Lieferanten zusammenarbeiten, beteuert Helmut HORTEN dem Gauwirtschaftsberater. Und nur ein einziger jüdischer Lehrling habe noch einen gültigen Lehrlingsvertrag. Er bemühe sich »ganz energisch darum, daß dieser Lehrling unser Haus verläßt«, teilt HORTEN dem NSDAP-Gauwirtschaftsberater mit.
In Duisburg sei wohl alles mit rechten Dingen zugegangen, hat PLEIGER's zuständiger Kollege mit Amtsanschrift in Essen, NSDAP-Gauwirtschaftsberater Paul HOFFMANN in Erfahrung bringen können. HOFFMANN über HORTEN an PLEIGER: »Ich werde darauf hinweisen, daß diese Ausweitungsbestrebungen unerwünscht sind.«
Helmut HORTEN, der sich das Weihnachtsgeschäft nicht durch die Lappen gehen lassen will, ist zur Zusammenarbeit bereit und erklärt PLEIGER's Büro in Bochum die Modalitäten des Kaufvertrages mit dem Juden Sally HESS, dem Vorbesitzer des Wattenscheider Kaufhauses. Um seine Entschlossenheit auch unter Beweis zu stellen, entläßt HORTEN in seinem Duisburger Kaufhaus den letzten jüdischen Angestellten am 1. Dezember.
Im Neuen Jahr, am 22. Januar, trifft sich HORTEN mit seinem Wattenscheider Geschäftsführer Hermann KISTEMAKER und einem Vertreter der Bank der Deutschen Arbeit im Büro des Bochumer Gauwirtschaftsberaters. Paul PLEIGER läßt sich durch den Kreiswirtschaftsberater WALKENHORST vertreten. Die Herren stören sich daran, daß der jüdische Vorbesitzer zwar den Geschäftsbetrieb veräußert, nicht aber auch das Kaufhausgebäude übereignet hat. Dafür jedoch hat HORTEN auch gar kein Geld, was die Parteifunktionäre nicht so recht verstehen können. Schon gar nicht will ihnen einleuchten, daß der Jude Sally HESS über einen fixen Mietzins - vier Prozent vom Umsatz - am zu erwartenden Geschäftserfolg beteiligt ist.
Der Vertreter der Bank der Deutschen Arbeit faßt die Tagesordnungspunkte schriftlich so zusammen: »Also kurz gefaßt handelt es sich um folgendes:
1) Änderung der gleitenden Miete in eine Festmiete …, 4) Feststellung des Vermögens des Herrn Horten resp. Nachprüfung, woher eventuell das Geld gekommen ist.«
Am 5. Februar 1937 fährt Helmut HORTEN nochmals nach Bochum. In seiner Tasche befindet sich ein Schreiben der Commerzbank, ausgestellt am 23. Februar: Die Bank bestätigt, »daß er aus seinem bei uns bestehenden Guthaben am 16. 9. 1936 mittels Scheck auf uns Nr. 478120 R.Mk. 65000- an den Kaufmann Sally Hess zu Wattenscheid gezahlt hat.«
Dem Gauwirtschaftsberater genügt dies nicht. Er bestellt weitere Informationen. Die Commerzbank steht dem Jungunternehmer zu Diensten und bestätigt der NSDAP in Bochum nicht nur, daß alles in Ordnung sei, sondern auch, daß die Fa. Horten »unter unserer ausschlaggebender Mitwirkung gegründet« worden sei. Im übrigen: HORTEN's Vater sei Landgerichtsdirektor in Köln. Und der Geldgeber aus Bocholt »Rump gilt als Millionär«.
Während HORTEN seinen Geschäften nachgeht und die nötigen Papiere beibringt, führt der Duisburger Gestapo-Beamte seine Akte »Lauter« weiter: »Die Postkontrolle ergab ferner, daß Ernst und Berta Lauter am 26. 1. 1937 vermutlich in geschäftlichen Angelegenheiten über Hamburg nach Nordamerika (USA u. Kanada) ausgereist sind. Die Finanzbehörden konnten rechtzeitig benachrichtigt werden, so daß die Eheleute Lauter und ihr Gepäck eingehend durchsucht werden konnten.« Und unter dem 26. 2. 1937 hält der getreue Staatsdiener fest: »Die Durchsuchung der Eheleuter Lauter hat kein belastendes Material ergeben. Nach einer vertraulichen Mitteilung beabsichtigt Ernst Lauter sich in Nordamerika-USA oder Kanada niederzulassen. Die jetzt unternommene Reise dient nur dem Zweck, dort ein zusagendes Objekt zu suchen.«
Gleichzeitig ordnet der Gestapo-Beamte die »Wiederverhängung der Postkontrolle« an und merkt sich selber vor: »Karteikarte Lauter anlegen.«
Wirtschaftsprüfer am Gauwirtschaftsberater: "... dass er über Leichen geht"
Es hilft alles nichts: Helmut HORTEN muß sich eine »Überprüfung der Gründungsvorgänge« durch die Partei gefallen lassen. »Wirtschaftstreuhänder« Wilhelm GISCHLER aus Wattenscheid, Oststr. 32, faßt am 15. Juni schriftlich auf vier Seiten für den Gauwirtschaftsberater zusammen, was er im Zusammenhang mit dem Verkauf des »Kaufhaus Hess« zum »Kaufhaus Horten« herausgefunden hat: »Ein Firmenwert wurde nicht bezahlt.«
HORTEN zahlt für die Übernahme des Geschäftsbetriebes den Wert des Warenlagers laut »Verkaufspreisauszeichnung« abzüglich 40 Prozent und einiger anderer Abzugsposten; das sind 90.010,-.
Bereits nach viereinhalb Monaten habe das Geschäft einen »Reingewinn« von 11863,56 abgeworfen. Das entspricht rund 100 Monatsgehältern bzw. 8 Jahresverdiensten einer Warenhausverkäuferin von monatlich 120 Mark.
In Wahrheit sei dieser Gewinn noch viel höher gewesen, und dies sei auch der Grund, weshalb HORTEN's Geschäftsführer in Wattenscheid, Hermann KISTEMAKER die Firma verlassen habe: KISTEMAKER sei »auf Druck« ausgeschieden.
Und das ist der Grund dafür: »Horten war der Auffassung, daß, um keinen hohen Gewinn ... in der Bilanz auszuweisen, ihm ein monatliches Gehalt, rückwirkend vom Eröffnungstage, zugebilligt werden müsse. Da Horten in Wattenscheid persönlich nicht tätig ist, war es von Kistemaker nicht zu vertreten, den Gesellschafterbeschluß zu unterzeichnen.«
Der Reingewinn habe tatsächlich bei 77000 Mark gelegen, weil nach KISTEMAKER's Ansicht, »das Warenlager von Hess sehr günstig gekauft worden war. Der Gesellschafter Horten war jedoch der Auffassung, daß ein derartig hoher Gewinn niemals in Erscheinung treten dürfe«.
KISTEMAKER, der mit einer kleinen Einlage selbst beteiligt ist, »hatte den Eindruck, daß ihm jeglicher Anteil am Gewinn« versagt werden sollte.
»Überhaupt scheinen die Methoden des Herrn Horten derartig zu sein, daß er über Leichen geht.«
Und zum vierprozentigen Mietzins, berechnet nach der Höhe der jetzt wieder in Schwung gekommenen Umsatzzahlen, notiert der Wirtschaftsprüfer: »Der Jude hat es also verstanden, auch an dem wirtschaftlichen Aufschwung durch den Nationalsozialismus teilzunehmen.«
Gauwirtschaftsberater an die "Deutsche Arbeitsfront": "... das Kaufhaus praktisch umsonst bekommen"
Daraufhin der Gauwirtschaftsberater der NSDAP an die “Gauverwaltung der DAF, Sozialabteilung” am 22. Juni 1937:
»Ich würde es für richtig halten, wenn die Deutsche Arbeitsfront ihre Schaufensterplaketten der Fa. Horten vorläufig nicht aushändigt, da bis jetzt nachweisbar der jüdische Vorbesitzer an dem Aufstieg des Unternehmens unter nunmehr arischer Leitung finanziell stark interessiert ist.
Wie ich im übrigen höre, soll die Bezahlung der Angestellten nicht sehr günstig sein. Ich bitte Sie, nach dieser Seite doch einmal Prüfungen vorzunehmen, denn ich sehe nicht ein, daß der Jude Hess und Herr Horten hohe Gewinne machen, während die Angestellten schlecht bezahlt werden.«
Und zum Vorwurf des Wirtschaftsprüfers, HORTEN habe mit dem Geschäft, für das er bisher 65.000 Mark an Kaufpreis entrichtet habe, nach viereinhalb Monaten bereits rund 77.000 Reingewinn gemacht, heißt es in dem Amtsschreiben: »Im ganzen betrachtet hat Herr Horten den Kaufpreis bereits heute verdient, hat also praktisch das Kaufhaus umsonst bekommen. Wahrlich ein schönes Geschäft!«
Den Jungunternehmer HORTEN kümmert dies alles nicht; nur die Sache mit dem gleitenden Mietzins muß er in Ordnung bringen. HORTEN will die mit dem Juden HESS am 18. August vorigen Jahres vertraglich festgelegten Konditionen ändern und die Miethöhe nachträglich herunterhandeln. Vorher ruft er am 23. Juni 1937 im Büro des Gauwirtschaftsberaters an und erkundigt sich, ob man parteiseits mit 3,5 Prozent auf maximal 50.0000 Mark Umsatzhöhe einverstanden wäre - das seien dann höchstens 17.500 Mark im Jahr. Der Adjutant des Gauwirtschaftsberaters bestätigt.
Jetzt schreibt HORTEN an Sally HESS und klagt ihm in aller Ausführlichkeit sein Leid. HESS, inzwischen nach Baden-Baden verzogen, antwortet HORTEN am 30. Juni:
»Unter Bezugnahme auf die mir Ihrerseits gemachten Mitteilungen, daß Ihnen seitens der Gauleitung wegen der Genehmigung des Geschäftsverkaufs in Wattenscheid Schwierigkeiten gemacht werden, teile ich Ihnen mit, daß ich bereit bin, soweit es in meinen Kräften liegt, mitzuwirken, daß diese bestehenden Schwierigkeiten ausgeräumt werden.«
Der Vorbesitzer ist mit einer nachträglichen Verschlechterung der Verkaufsabmachungen einverstanden und akzeptiert einen Mietzins von 4 Prozent auf maximal 800.000 Mark Jahresumsatz gerechnet. Die Höchstmiete beträgt danach - statt 42.000 wie ursprünglich ausgemacht - jetzt nur noch 32.000 Mark.
Das Büro des Gauwirtschaftsberaters in Bochum akzeptiert das nicht. Die Forderung: 3,5 Prozent, bezogen auf maximal 700.000 Jahresumsatz, also maximal 24.500 Mark im Jahr. HORTEN schreibt erneut nach Baden-Baden - er ist ja Geschäftsmann.
Am 18. August 1937, ein Jahr nach Kaufvertrag, kann Horten erfolgreich nach Bochum melden, daß sich HESS auch mit einer Festmiete von 24.500 Mark zufrieden gebe.
Jetzt scheint alles geklärt, da tauchen bei der Gauleitung Hinweise auf, der “Jude Hess” treibe sich in seinem früheren Kaufhaus herum. Die Rechtsanwältin Lotte JORDAN erklärt an Eides statt, »daß ich den Juden Hess kurz vor dem Eingang des Kaufhauses Horten gesehen habe. Ich bin der Ansicht, daß er das Kaufhaus besucht hat«.
Helmut HORTEN: “Schnüffeleien und Angebereien”
HORTEN, der lieber Geld verdienen möchte als sich mit kleinkrämerischen Seelen herumzuschlagen, tobt. Am Montag, den 4. Oktober, wird er, nachdem er in das Büro des Gauwirtschaftsberaters bestellt worden war, ausfällig. Um die Partei nicht ganz zu verärgern, entschuldigt er sich am nächsten Tag in schriftlicher Form:
“Ich möchte Sie daher höftlichst bitten, in meinen Ausführungen lediglich eine gewisse Erregung und auch Empörung darüber zu erblicken, daß es immer noch kleinliche Volksgenossen gibt, die, ohne selbst am wirtschaftlichen Aufstieg mitzuarbeiten, ihre Hauptaufgabe darin erblicken, durch Schnüffeleien und Angebereien Ihnen sowohl als auch der gewerblichen Wirtschaft ganz unnötige Schwierigkeiten zu bereiten und die Freude an der Arbeit zu schmälern.”
“Frei von jüdischen Elementen”
Am Mittwoch, den 20. Oktober 1937, erscheint Sally HESS in Duisburg. Am gleichen Tag wird der ursprüngliche Kaufvertrag in wesentlichen Punkten geändert und unterschrieben. Am 23. November erhält die Firma Helmut Horten KG in Duisburg ein langersehntes Schreiben des Gauwirtschaftsberaters:
“Nachdem mir die Vertragsänderungen gemäß den mit Ihnen getroffenen Vereinbarungen vorgelegt wurden, teile ich Ihnen mit, daß ich nunmehr Ihre Wattenscheider Firma als frei von jüdischen Elementen ansehe.”
In vier Wochen ist schließlich Weihnachten...
(JL)
Hinweis:
Im nächsten Kapitel wird beschrieben, wie es nach der Arisierung weiterging: bei Helmut HORTEN und den enteigneten jüdischen Besitzern: Wer von ihnen überlebte und wer nicht: Wie es weiterging.
Online am: 01.07.2024
Aktualisiert am: 11.09.2024
Inhalt:
Kaufhauskette GALERIA: Wie aus 4 jüdischen Kaufhäusern ein Pleiteunternehmen wurde
- Von Helmut Horten 1936 zur "GALERIA Karstadt Kaufhof"-Pleite 2024
- "Hat das Kaufhaus praktisch umsonst bekommen"
- Wie es nach den Arisierungen weiterging: mit Helmut Horten und den Enteigneten
- Der große Boykott am 1. April: aus dem Traditionskaufhaus Leonhard Tietz wird die "Kaufhof AG"
Tags:
Arisierung | Enteignung | Nationalsozialismus | Pleite und Bankrott | Zweite Karrieren nach 1945