Wie es nach den Arisierungen weiterging: mit Helmut Horten und den Enteigneten

Vorbemerkung

Dieses Kapitel ist die Fortsetzung des vorangegangenen Textes “Hat das Kaufhaus praktisch umsonst bekommen.” Der Yuppie des Jahres 1936: Helmut HORTEN, der spätere “Kaufhauskönig” - aufrufbar unter www.ansTageslicht.de/Horten.

Die Fortsetzung hier unter www.ansTageslicht.de/Steuerfluechtling.


Nach HORTEN's ersten Arisierungen

folgen weitere und neue Kaufhäuser: in Bochum, Bielefeld, Gevelsberg sowie im Osten des Deutschen Reiches: in Marienburg, Marienwerder und Königsberg. Die Geschäfte laufen gut. So gut, dass HORTEN sogar in ein fremdes Geschäftsfeld investieren kann: Er beteiligt sich mit Kapital an der Focke-Wulf-Flugzeugwerke GmbH in Berlin-Johannisthal - unmittelbar nach Kriegsbeginn 1939 umbenannt in Flugzeugwerk Johannisthal GmbH. Ein Unternehmen, das mit Kriegsbeginn immer größer und wichtiger wêrden wird und dessen Gewinne immer stärker sprudeln werden: unter anderem durch den Einsatz von immer mehr Zwangsarbeitern.

Waren die Nationalsozialisten anfangs gegen große Kaufhäuser, weil sie - eigentlich - kleinen Ladengeschäften mit Einzelinhabern den Vorzug gaben, so hatten sie sich schnell an die ökonomischen Vorteile von großen Geschäften mit einem breiten Warensortiment gewöhnt und als sie den größten Krieg aller Zeiten anzetteln, erkennen sie die strategische Bedeutung solcher Verkaufsgiganten: HORTEN beispielsweise wird mit der zentralen, weil rationierten Textilverteilung betraut.

Sally HESS

Sally HESS, der durch HORTEN sozusagen enteignete Besitzer des "Kaufhauses Hess" in Wattenscheid, verlässt seine Heimatstadt. Er zieht erst nach Baden-Baden in die Beutenmüllerstrasse 10 um, meldet sich dann 1937 polizeilich wieder zurück in sein Haus in der Oststrasse 33 in Wattenscheid und verkauft es dann offiziell - neben angrenzenden Häusern - am 26. November 1938 an Helmut HORTEN - eine Art von Vorvertrag. Die Übergabe soll spätestens zum 1. April 1939 erfolgen. HESS fühlt sich in seinem Heimatland nicht mehr sicher. Er will Deutschland bald verlassen. Sein Sohn Herbert hat sich unmittelbar nach dem Zangsverkauf 1936 als erster in der neuen Wahlheimat niedergelassen: in Kapstadt/Südafrika.

Die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November, in der wildgwordene Nazis, Polizisten und Feuerwehrleute sowie ein Großteil der “arischen Volksgenossen” ihren Hass und ihre eingebläute Wut auslassen auf alles, was jüdisch ist, Geschäfte, Synagogen und Menschen, hat Sally HESS Angst eingejagt. Jetzt will er so schnell wie möglich weg. Noch ist das möglich und so zögert er nicht, setzt sich unmittelbar nach dem Kaufvertrag nach Kapstadt ab, wo bereits sein Sohn angekommen ist und einen Job gefunden hat.

Weil bei dem geplanten Immobilienverkauf nicht alle Einzelheiten geklärt sind, Sally HESS aber bereits das Land verlassen hat und es inzwischen Krieg ist, wird der endgültige Vertrag erst am 9. Dezember 1939 besiegelt. HESS hat seinen “Helfer in Steuersachen” mit seiner Vertretung beauftragt. Jetzt ist Sally HESS mit seiner Heimat ersteinmal fertig.

Familie LAUTER

Ernst LAUTER, der bisherige (Mit)Eigentümer des Duisburger “aufhaus Gebr. Alsberg” und seiner Frau Berta sowie den beiden Söhnen Heinz Peter und Werner Georg gelingt die endgültige Ausreise in die USA kurz vor Kriegsbeginn. Aber nicht ihrer Mutter. Sie erhält kein Visum. Sie ist den Amerikanern zu alt. Obwohl ihre Kinder alles versuchen, was möglich ist.

Am 25. September 1942 wird die fast 70jährige Amalie LAUTER zwangsweise deportiert. Nach Theresienstadt. Dort bleibt sie nicht lange. Sie wird erneut deportiert. Nach Treblinka: direkt in die Gaskammer.

Ernst LAUTER, der ehemalige Kaufhaus(Mit)Besitzer, findet in den USA einen Job als Arbeiter in einer Großschlächterei. 1940 fährt er als Handelsvertreter durch die Lande, macht sich 1941 mit einem kleinen Einheitspreisgeschäft selbständig (einem 5- und 10-Cent-Store), bis er 1950 nochmals einen größeren Sprung riskiert: mit einem Einzelhandelsladen für Haus- und Küchengeräte. Damit geht er pleite. 1957 stirbt er in Cincinnati im Alter von 59 Jahren.

Von seiner Frau Berta ist dieser Satz überliefert: “Der Kauf unseres Geschäftes war die Grundlage zu Herrn Hortens geschäftlichem Aufstieg.

"Herrn Hortens geschäftlicher Aufstieg"

In dem Jahr, in dem Ernst LAUTER stirbt, wird Helmut HORTEN 48 Jahre. Den Höhepunkt seiner Macht und seines Geldes hat er noch nicht erreicht, denn immer mehr Warenhäuser schießen aus dem Boden - die Deutschen schwimmen auf einer Woge des sogenannten Wirtschaftswunders und HORTEN versteht es, durch Warten auf einen günstigen Augenblick sein Kaufhausimperium immer mehr auszuweiten. Wie er das macht, haben wir im Kapitel Von Helmut HORTEN 1936 zur “GALERIA Karstadt Kaufhof”-Pleite 2024 beschrieben.

Und er muss sich den neuen Wiedergutmachungsgesetzen fügen. Sally HESS bekommt - auf dem Papier - sein Kaufhaus und die Grundstücke zurück, die er gleichzeitig an HORTEN zurückverpachtet. Auch mit LAUTER's kommt es zu Vergleichen, insbesondere was ihre früheren Grundstücke und das Duisburger Kaufhaus anbelangt. Details finden sich in einem “Gutachten über den Vermögens- und Geschäftsaufbau von Helmut Horten im Kontext der ‘Arisierung’ in der Zeit des ‘Dritten Reiches’”, das von der “Helmut Horten Stiftung” in Auftrag gegeben und 2021 veröffentlicht wurde.

"Deutschlands größter Steuerflüchtling"


Die Illustrierte “stern” wartet Ende März und Anfang April 1971 mit einer zweiteiligen Geschichte auf: “Die Helmut-Horten-Story”.

Aufhänger sind zwei Begebenheiten, die für die Redaktion Anlass zu weiteren Recherchen geben.

  • Die Horten AG lässt inzwischen kleine Kaufhausdiebe wieder laufen, wenn die sich darauf berufen, dass sie sich nur nehmen, “was unserem Staat und auch mir zusteht" - denn HORTEN “hat auf seine 800 Millionen keine Steuern gezahlt”, die er mit in die Schweiz genommen hat.
  • Eine Kaufhausangestellte, die keinen regulären Angestelltenvertrag hatte und bei der Arbeit gestürzt war, wurde kurz vor Weihnachten gekündigt und im Januar wieder - befristet - eingestellt. Die Beschäftigung danach immer nur von Woche zu Woche verlängert. Folge: Das Kaufhaus musste keine Feiertage und kein Weihnachtsgeld zahlen und und konnte sich ebenso bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit und andere Sozialabgaben sparen.

Kommt man so zum “Großen Geld”?

Der Redakteur, Manfred BISSINGER, plant deswegen eine große Geschichte, will die Vermögensverhältnisse des “Kaufhauskönigs” recherchieren und fährt dazu auf das 120.000 qm große Anwesen des Kaufhauskönigs im kleinen Dörfchen “Madonna del Piano” im schweizerischen Tessin. Dort interviewt er den 62jährigen Helmut HORTEN. Befragt ihn, wieso er Deutschland verlassen habe und warum er keine Steuern auf die 825 Millionen zahlen musste, die ihm der Verkauf der 75% Aktienanteile an seinem Kaufhausunternehmen eingebracht hat.

HORTEN: Ihm war die Düsseldorfer Luft zu stickig, die habe ihm jährlich “mindestens eine, oft mehrere Bronchiten beschert”, und auch seine Gattin Heidi, gebürtige Wienerin, hat unter dem rheinischen Klima gelitten. Der Tessin hingegen ist “klimatisch sehr günstig" und die Schweiz “ist auch ein zentraler Punkt, von dem aus man seine europäischen geschäftlichen Interessen sehr gut übersehen kann.” Und die “Auswirkungen des deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommens” (gemeint: die Lücke im deutschen Außensteuergesetz) “waren natürlich eine angenehme Beigabe, die mir den Entschluß des Wohnsitzwechsels einfach machten.”

Und auf die Fragen, wie hoch der Milliardär, der neben seinem schweizerischen Anwesen eine Villa am Wörthersee und eine an der Cóte d'Azur sowie eine eigene Bahama-Insel sein eigen nennt und über 5 Rolls Royce in der heimischen Garage nebst einer Yacht des Namens “Carinthia V” mit zwölf Mann Besatzung verfügt, sein eigenes Vermögen einschätzt: “Mein Vermögen wird bei normaler Entwicklung immer mehr. Dagegen kann ich gar nichts tun.

Dem “Kaufhauskönig” missfallen die beiden “stern”-Artikel. Er klagt dagegen. Erfolglos. 

1936 - 1986: 50 Jahre Horten

Längst hat sich Helmut HORTEN aus dem aktiven Geschäft und aus Deutschland zurückgezogen, lebt im Alter von 77 Jahren beschaulich im Schweizer Tessin, als die Horten AG mit ihren knapp 60 Kaufhäusern ihr 50. Firmenjubiläum feiert und dazu eine Broschüre veröffentlicht: “50 Jahre Horten. Ein Warenhauskonzern auf dem Weg in die Zukunft”. Wir verfügen über sie nur in Teilen und können sie deshalb nur in dieser Form dokumentieren.

Dort ist auf Seite 5 auch die Anzeige aus dem Jahre 1936 abgebildet. Allerdings mit einem winzigen Unterschied zum Original:

  • 1936 hatte HORTEN stolz verkündet, dass das "Alsberg" Haus" seinen Hausherrn gewechselt hat und “in arischen Besitz" übergegangen ist.
  • 1986 wurde in der Jubiläumsbroschüre aus der Formulierung in "arischen Besitz übergegangen” jetzt “in anderen Besitz” übergegangen.

Im Zusammenhang mit meiner seinerzeit (1988) geplanten Buchveröffentlichung “Boykott-Enteignung-Mord. Die ‘Entjudung' der deutschen Wirtschaft” hatte ich die Horten AG darauf hin agesprochen bzw. angeschrieben. Deren Antwort: Es gäbe “verhältnismäßig wenig Material aus der Frühzeit des Unternehmens” und in der vorhandenen Fotokopie der damaligen Zeitungsanzeige, die in der Jubiläumsbroschüre abgebildet sei, wäre diese Veränderung “bereits vorgenommen worden, ohne daß wir wissen, wer wann dies veranlaßt hat."

Und “um den Eindruck zu vermeiden, daß die derzeitige Horten AG oder irgendeines unserer Häuser aus dem Alsberg-Vermögen hervorgegangen sei, geben wir Ihnen nachstehemd eine kurze Darstellung der Entstehungsgeschichte”, die sich an dem orientiert, was auch in der Broschüre steht. Allerdings mit diesen Ergänzungen bzw. Betonungen:

  • Die LAUTER's, die gezwungen waren, zu verkaufen, haben ihr Geschäft Herrn Horten angeboten, “weil sie wußten, daß Herr Horten ihre Notlage nicht ausnutzen, sondern einen für die damaligen Verhältnisse angemessenen Preis zahlen würde.”
  • Da das Kaufhaus in Duisburg im Krieg total zerstört worden sei und “Herr Horten die Erben Alsberg im Rahmen des gesetzlich vorgeschriebenen Wiedergutmachungsverfahrens großzügig abgefunden” hat, hat er “damit im wirtschaftlichen Ergebnis den Betrieb ein zweites Mal bezahlt.”

Hier ist das Antwortschreiben der Horten AG aus dem Jahr 1988 dokumentiert.

Danach

Ein Jahr nach dem 50. Geschäftsjubiläum ereilt Helmut HORTEN der Tod. Alleinerbin ist seine um 32 Jahre jüngere Frau Heidi. Sie wird zwei weitere Male heiraten, baut die von ihrem ersten Mann Helmut begonnene Kunstsammlung weiter aus und stirbt 2022 - zu der Zeit, als der Name “Horten” als Kaufhaus längst untergegangen ist und ein österreichischer Yuppie namens René BENKO mit den ehemaligen Horten/Galeria-Kaufhäusern, Kaufhof und Karstadt zu spekulieren beginnt, um sich ein europäisches Luxus-Kaufhausreich zu schaffen: rekonstruiert unter Von Helmut HORTEN 1936 zur “GALERIA-Karstadt-Kaufhof”-Pleite 2024.

Sechs Jahre zuvor, 2018 und damit vier Jahre vor ihrem Tod wurde das Vermögen von Heidi GOESS-HORTEN auf rund 3 Milliarden $ geschätzt. Auf der sog. “Forbes”-Liste rangierte sie damit weltweit auf Platz Nr. 717.

Mit einem Bruchteil dieses Geldes hätte man alle (ehemals jüdischen) Kaufhäuser für die Umbrüche im Einzelhandel sicherlich fit machen und fit halten können.

(JL)