Einen Monat später wird Stephan NEUHEUSER neuer Leiter der Staatsanwaltschaft Köln. Die Richtung hat LIMBACH vorgegeben: NEUHEUSER soll sich um BRORHILKER und ihre Cum-Ex-Abteilung kümmern. „Ein besonders helles Schlaglicht ist auf die Verwaltung und Organisation der Dienstgeschäfte von Hauptabteilung H der Staatsanwaltschaft Köln gefallen und hat dort einige Schwierigkeiten hervortreten lassen“, sagt LIMBACH im Rechtsausschuss. Es gebe Handlungsbedarf.
Kaum im Amt, handelt NEUHEUSER. Der neue Leiter der Staatsanwaltschaft Köln schlägt dem Minister vor, die Abteilung von Anne BRORHILKER aufzuspalten. Eine neue Hauptabteilung I soll gegründet werden und die Hälfte der Cum-Ex-Fälle aus der Hauptabteilung H übernehmen. NEUHEUSER hält es nicht für nötig, vorher mit BRORHILKER oder dem Generalstaatsanwalt Thomas Harden über diesen Schritt zu sprechen.
„Es war für sie ein Schlag in die Magengrube“, sagt ein Vertrauter von BRORHILKER. Zehn Jahre lang habe sie an der Aufklärung von Cum-Ex gearbeitet wie keine andere. Und dann setze man ihr einen Novizen vor die Nase.
Laut Flurfunk soll sich BRORHILKER künftig mit Ulrich Stein-Visarius absprechen. Er ist als Leiter der zweiten Abteilung für Cum-Ex im Gespräch. Noch führt er das Referat für Jugendstrafrecht im NRW-Justizministerium. In Streitfällen soll Stephan NEUHEUSER entscheiden. Für BRORHILKER wäre es ein Rückschritt in eine Welt, die sie gut kennt: Männer mit weniger Fachkompetenz als sie handeln über ihren Kopf hinweg.
Die Oberstaatsanwältin kommt zu einem radikalen Schluss. Sie wird hinschmeißen. Wie es der Zufall will, sucht die Bürgerinitiative Finanzwende gerade einen neuen Geschäftsführer. BRORHILKER schreibt eine Bewerbung.
Gleichzeitig richtet sie einen Brief an den Personalrat. Er ist das Gremium, das die Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Justizministerium vertritt. Auf neun Seiten schildert BRORHILKER, wie sie die Dinge sieht. Den Konflikt mit dem Hamburger Untersuchungssauschuss; das Verhalten des Ministers und des neuen Chefs der Staatsanwaltschaft; die Pläne für ihre Abteilung.
„Welcher Zweck mit der Teilung der Hauptabteilung verfolgt wird, bleibt unklar“, schreibt BRORHILKER. Es sei zu befürchten, dass diese organisatorische Maßnahme die Ermittlungen „erheblich beeinträchtigen wird, da wegen der zahlreichen sachlichen Überschneidungen in diesen Fallkomplexen eine einheitliche Sachbehandlung nicht mehr gewährleistet erscheint“.
Der Kölner Generalstaatsanwalt Thomas HARDEN teilt ihre Sorge. Anfang September 2023 formuliert er seinerseits ein Schreiben an den Justizminister: „Zu dem vorbezeichneten Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Köln, dem offenbar ein Vorgespräch im Ministerium der Justiz zugrunde liegt, an dem ich bedauerlicherweise nicht eingebunden war.“
HARDEN erlaubt sich eine Bemerkung: „Eine derart grundlegende Neuausrichtung der Hauptabteilung H scheint nur dann zeitnah effektiv und vor allem mit Erfolg umsetzbar, wenn auch Oberstaatsanwältin BRORHILKER dahintersteht. Das ist offenbar nicht der Fall.“
Harden warnt LIMBACH, die geplante Umstrukturierung müsse „sehr überzeugend begründet werden, damit nicht der Eindruck entstehen oder der Vorwurf erhoben werden kann, die Strafverfolgung auf dem Gebiet der Cum-Ex-Straftaten solle entscheidend behindert werden“. Eine solche Begründung, schreibt HARDEN, sehe er nicht. Im Gegenteil.
Es würden „Jahre verstreichen“, bis eine neue Hauptabteilung den erwünschten Kenntnisstand für die zu bearbeitenden Cum-Ex-Verfahren hätte, schreibt Harden. Eine faktische Entmachtung BRORHILKERs sei auch „Wasser auf den Mühlen“ der Cum-Ex-Beschuldigten, die „bisher durchweg erfolglos Befangenheitsanträge gegen Oberstaatsanwältin BRORHILKER angebracht haben. [...] Vor diesem Hintergrund vermag ich den Antrag des leitenden Oberstaatsanwalts jedenfalls derzeit nicht zu befürworten.“
Es hilft nichts. NEUHEUSER setzt sich durch. Die Aufspaltung von BRORHILKERs Abteilung soll schon am 16. Oktober 2023 vollzogen werden. An seine Mitarbeiter schreibt NEUHEUSER am 29. September: „Das Ministerium der Justiz hat hierzu mit Erlass vom 22.9.2023 das für diese Organisationsmaßnahme erforderliche Einverständnis erklärt.“
Es passiert genau das, wovor Generalstaatsanwalt HARDEN gewarnt hat. LIMBACH gerät bundesweit in die Schlagzeilen als Minister, der seine beste Staatsanwältin sabotiert. Beifall kommt aus der falschen Ecke. Anwälte von Cum-Ex-Beschuldigten frohlocken, sie hätten doch immer schon gewusst, was die BRORHILKER für eine sei.
Nun zeigt LIMBACH, was er für einer ist. Der Justizminister dreht sich auf dem Absatz um und zerreißt die Pläne von NEUHEUSER für eine Neuordnung der Cum-Ex-Aufklärung. Am 11. Oktober spricht LIMBACH mit BRORHILKER, tags drauf sagt er im Rechtsausschuss: „Die angehaltene Organisationsentscheidung vom 22. September 2023 wird nicht weiterverfolgt. Wer der Sache verpflichtet ist, hinterfragt Standpunkte, Ideen und auch sich selbst.“
BRORHILKER wird nicht entmachtet, sondern bekommt mehr Personal. Die Oberstaatsanwältin genieße sein Vertrauen und habe großartige Arbeit geleistet, sagt LIMBACH. BRORHILKER sei „eine hervorragende Ermittlerin“.