
So funktioniert(e) der "Cum-Ex"-Betrug
Man kann von organisierter Steuerhinterziehungskriminalität sprechen. Es sind bzw. waren immer mehrere Beteiligte, mindestens 3. Je ausgeklügelter indes die Methoden, umso mehr Personen und Institutionen kamen ins Spiel. Damit sich das auch wirklich lohnte, ging es nicht nur um Millionen. Viele drehten das Rad mit Milliarden. Die Banken waren stets zur Stelle, denn es gab (sehr) viel zu verdienen.
Das Ganze ein Verwirrspiel, um die Finanzämter im Unklaren zu lassen, wer zu welchem Zeitpunkt eigentlich Eigentümer der “Aktien cum” und “Aktien ex” war. Denn nur der wirtschaftliche Eigentümer kann eine Steuererstattung geltend machen. Wenn es zwei solche gab, mussten die Finanzämter zwei Mal “erstatten”. Bei drei Eigentümern drei Mal. Bei vieren dann entsprechend nocheinmal. Und so weiter. Wenn dann ein Teil des Spiels im Ausland stattfand (ausländische Banken), hatten die deutschen Ermittler keine Chance.
Bis die Kölner Staatsanwältin Anne BRORHILKER Durchsuchungsbefehle organisierte und weltweit Razzien durchführen ließ.
Wir erklären hier “Cum-Ex” an einem sehr sehr einfachen Modell-Beispiel. In Wirklichkeit waren die Methoden steuerrechtlich sehr viel komplizierter. Insbesondere dann, wenn ein Teil des Betrugs ins Ausland verlegt wurde: kaum zu durchschauen.
Was man dazu wissen muss, bevor man das Verwirrspiel verstehen kann
"Steuerrückerstattung"
Es geht um illegale angebliche “Steuerrückerstattungen”. Sie betreffen die Kapitalertragssteuer: eine Steuer, die auf “Einkünfte aus Kapitalvermögen” erhoben wird, also z.B. auf Zinsen (Sparbücher, Schuldverschreibungen), aber auch auf Dividenden, die Aktiengesellschaften auszahlen. Sie beträgt 25%.
Diese Steuer ist eine Vorab-Steuer, auch als Quellensteuer bezeichnet. Sie wird bereits am Ort der Gewinnentstehung von den Gewinnauszahlenden Unternehmen (Aktiengesellschaften, Banken etc) erhoben und gleich ans Finanzamt abgeführt - aus Sicherheitsgründen. So wie bei der Lohnsteuer, die der Arbeitgeber gleich vor Auszahlung des Nettolohns einbehält. Das Finanzamt legt Wert darauf, die ihm zustehenden Steuern a) pünktlich und b) vor allem tatsächlich zu erhalten.
Letztlich wird die Kapitalertragssteuer z.B. bei Privatpersonen mit der gesamten Einkommensteuer verrechnet, hinterher. Wessen Steuertarif niedriger als 25% beträgt, bekommt dann Geld zurück vom Finanzamt. Bei Unternehmen, z.B. Banken, Finanzinstituten, Fonds etc ist es etwas anders, weil die - eigentlich - einer höhere Kontrolle (z.B. Bilanzen, Steuerprüfungen etc) unterliegen. Deshalb können diese Gesellschaften eine Rückerstattung dieser Steuer beantragen, wenn sie selbst Dividenden etc vereinnahmen.
"Leerverkäufe"
Verkäufe von Dingen, die man noch gar nicht besitzt, aber irgendwann dann liefern muss, sind auch heutzutage nicht die Regel. Aber essentieller Bestandteil der Cum-Ex-Modelle. Sie haben in diesem Kontext dazu gedient, dass zwei Personen oder Institutionen sozusagen gleichzeitig als “wirtschaftlicher” Eigentümer gelten können. Denn nur ein “wirtschaftlicher” Eigentümer ist berechtigt, eine Steuerrückerstattung zu beantragen.
Zivil- sprich schuldrechtlich funktioniert das natürlich nicht, aber die Finanzbehörden und insbesondere der Apparat des Bundesfinanzministeriums haben lange gebraucht, um das zu begreifen. Deswegen konnten clevere Leute auch mit diesem Trick Modelle konstruieren, um die Staatskassen zu plündern.
Konkret: Wenn ein Verkäufer Aktien an einen Käufer verkauft und der Käufer auch sofort bezahlt, der Verkäufer aber erst später die Aktien liefert und der Käufer das akzeptiert - aus welchen Gründen auch immer, dann spricht man von einem "Leerverkauf".
Dazu muss man wissen, was “liefern” bedeutet. Aktien werden nicht physisch ausgehändigt oder mit der Post oder sonstwie via amazon verschickt. Aktien werden in einem Depot gehalten. Denn in einem digitalen Zeitalter, in dem der Börsenhandel in Sekundenschnelle funktioniert, wäre das weder technisch noch logistisch möglich. Und nur der Computer weiß, wer wann wie lange und über welche Börse der aktuelle Eigentümer ist.
Auch dieser technische Fortschritt begünstigt(e) die Tricksereien.
Ein sehr einfaches Beispiel
Eine Person namens A besitzt Aktien an einem Unternehmen im (aktuellen) Börsenwert von 10 Millionen. Und wird am Tag der Hauptversammlung, an dem die Gewinnverteilung stattfindet, eine Dividende von 5% erhalten, also 500.000 Euro. Weil die darauf fällige Kapitalertragssteuer (KESt) 25% beträgt, konkret 125.000 €, erhält A (nur) 375.000 €. Gleichzeitig eine Bescheinigung über die ans Finanzamt abgeführte KESt, mit der sich A dieses Geld wieder zurückerstatten lassen kann.
De facto verfügt A also doch wieder über die volle Dividendenhöhe 500.000 €.
Nach dem sogenannten Dividendenstichtag verkauft A seine Aktien an C. Weil die Dividende von A bereits vereinnahmt wurde, also “ex” verkauft wird, sind die Aktien weniger wert, also sagen wir 9,5 Millionen. Denn eine Aktie ist vor dem Dividendenstichtag, also “cum” (bedeutet: mit Dividendenanspruch) mehr wert als danach, also “ex”.
C kauft diese Aktien deshalb, nicht nur weil er einer der Mitspieler in dem abgekarteten Betrugsspiel ist, sondern weil er mit Person oder Institution B noch vor dem Dividendenstichtag vereinbart hatte, Aktien im Wert von 10 Millionen zu verkaufen, also “cum”, aber erst nach dem Stichtag zu liefern, sprich “ex”: ein typischer Leerverkauf.
Weil B Aktien “cum” gekauft und auch bezahlt hatte, gilt er (ebenfalls) als wirtschaftlicher Eigentümer. Damit hat er (ebenfalls) einen Anspruch auf Rückerstattung der Kapitalertragssteuer in Höhe von 125.000 €. Und dies, obwohl er gar keine gezahlt hatte. Aber genau darauf kommt bzw. kam es bei diesem Betrugsmodell an.
Weil B jetzt nur Aktien in einem um die Dividendenzahlung reduzierten Börsenwert (9,5 Mio) erhält, zahlt C eine Art Ausgleich, über dessen Höhe sich die drei Betrüger vorher geeinigt haben.
An dem jetzt geringeren Börsenwert des Aktienpakets stört sich B aus 2 Gründen nicht:
- Zum ersten kassiert er 125.000 Steuerrückerstattung.
- Zum zweiten, und dies war von vorneherein so geplant, verkauft er die Aktien jetzt weiter (bzw. zurück) an A.
A hat damit wieder sein Aktienpaket zurück, dessen Wert sich bis zum nächsten Dividendenstichtag wieder ‘erholen’ wird. Davon abgesehen: A verfügt aktuell wieder über ein Aktienpaket im Wert von 9,5 Mio. Plus 500.000 Dividende gerechnet (netto + Steuerrückerstattung) sind das wieder 10 Millionen. So wie vor dem Spiel.
Die zweite auf kriminelle Weise kassierte Steuerrückerstattung in Höhe von 125.000 € teilen sich die Beteiligten untereinander auf. Jetzt hat jeder bei diesem Steuerbetrug gewonnen.
"Hebeln"
Das eben skizzierte Beispiel ist ausgesprochen simpel, eignet sich deswegen zum Erklären. Insgesamt gibt/gab es sehr viele Gestaltungsformen, um sich aus der Steuerkasse, unserer “Gemeinsachftskasse” zu bedienen. Wer da mehr wissen will und bereit ist, sich mit komplizierten steuerlichen Rechtsüberlegungen zu beschäftigen, dem empfehlen wir, sich die Lektüre des Zweiten Teils des Abschlussberichts des 2016 eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag zu diesem Komplex zu Gemüte zu führen: “Feststellungen des Untersuchungsausschusses zum Sachverhalt” (Bundestagsdrucksache 18/12700 v. 20.6.2017), dort ab Seite 76 ff.
Ganz gerissene Täter, die ein Riesenrad drehen wollten, hatten ihre Konstruktionen und finanziellen Einsätze “gehebelt”. Damit ist der sogenannte Leverage-Effekt gemeint - ein vergleichsweise einfacher Zusammenhang:
Wenn die Rendite bzw. Eigenkapital- und/oder Gesamtkapitalrentabilität einer Investition, hier also der “Cum-Ex”-Betrug, größer ist als ZInsen, die man für Kredite zahlen muss, dann kann man das Volumen des Gewinns steigern: Indem man nicht nur eigenes Geld (Eigenkapital) einsetzt, sondern (kurzfristige) Schulden. Auf diese Weise kamen dann auch die gigantischen Summen zusammen, die der Staat - ersteinmal - an die Betrüger zahlen musste.
(JL)
Online am: 01.01.1970
Aktualisiert am: 27.06.2025
Inhalt:
- Anne BRORHILKER: die Demontage durch Staatsanwaltschaft und Politik in 11 Kapiteln
- Die beiden Journalisten: Sönke IWERSEN und Volker VOTSMEIER
- Das Making-of der "Demontage"
- Staatsanwaltschaft Köln
- So funktioniert(e) der "Cum-Ex-Betrug"
Tags:
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