Die Berichte des Handelsblatt, 02.04.2012

von Martin-Werner BUCHENAU

Die Aufklärung einer Affäre

Handelsblatt , 02.04.2012 

Stefan Mappus: "Nach bestem Wissen und Gewissen".

Ministerpräsident ist Stefan Mappus nicht mehr - doch den Politiker-Sprech hat er sich noch nicht abgewöhnt. "Dankbar" war er, der ehemalige Ministerpräsident, dass er endlich mit Fakten belegen könne, wie sauber und ordentlich er das Geschäft abgewickelt habe. Das jedenfalls erzählte Stefan Mappus seinen ehemaligen Abgeordneten-Kollegen, als er am 9. März vor dem Untersuchungsausschuss auftrat.

Die Not sei groß gewesen, denn EDF-Chef Henri Proglio habe ihm gesagt, er wolle seine Anteile an EnBW aufstocken und die Mehrheit übernehmen. Am 10. November 2010 sei er dann mit Notheis nach Paris gereist, um die Causa weiter zu besprechen. Und dabei habe Proglio den beiden eröffnet, dass er, sollte er die Mehrheit nicht erwerben können, seinen Anteil verkaufen werde - notfalls an einen ausländischen Investor. "Alles ist auf dem Tisch", sagte Proglio damals. Daraufhin habe er, Mappus, erstmals Interesse angemeldet, den Anteil im Namen des Landes zu kaufen. Danach sei verhandelt worden - vor allem über den Preis. Einen Parlamentsvorbehalt habe Proglio konsequent abgelehnt.

Noch heute sei er der Meinung, dass der Kauf richtig war, schließlich habe er nach "bestem Wissen und Gewissen" gehandelt. Das Urteil des Staatsgerichtshofs, wonach die Umgehung des Parlaments verfassungswidrig war, habe ihn sehr überrascht. "Nicht im Ansatz" habe er mit so einem Richterspruch gerechnet.

Stattdessen habe er auf seine Berater vertraut. Auf die Anwälte von Gleiss Lutz, die von sich aus einen Weg ohne Parlamentsvorbehalt gefunden hätten. Der Trick: die Anwendung des Notbewilligungsrechts. Von diesbezüglichen rechtlichen Risiken habe ihm die Kanzlei nie etwas gesagt. Und dann fügte er im typischen Politiker-Pathos den Satz hinzu: "Um es ganz klar zu sagen, wäre vonseiten von Gleiss Lutz Zweifel an diesem Weg geäußert worden, hätte ich diese Transaktion sofort abgebrochen."

Mappus hat, nicht zuletzt wegen dieses Deals, seinen Job verloren - Wut aber empfindet er auf die Juristen, die ihn beraten haben, offenbar nicht. Auch keine Enttäuschung. "Exzellent und hochprofessionell" sei die Beratung gewesen, sagte er dem Untersuchungsausschuss. Und demütig: "Es hat mich schwer getroffen, dass ich mit der Verfassung in Konflikt geriet, auf die ich meinen Amtseid geschworen habe.".

Kanzlei Gleiss Lutz: Gefällige Auslegung oder Naivität? 

Das Problem der Anwälte ist ein höchstrichterliches Urteil: Im Oktober 2011 hatte der Staatsgerichtshof die fehlende Zustimmung des Parlaments als verfassungswidrig eingestuft.

Der einstige Verfassungsrichter und spätere Verteidigungsminister im Kabinett von Helmut Kohl, Rupert Scholz, hatte als sogenannter "Of Counsel" im Auftrag der Kanzlei, ein Gutachten geschrieben. Dem Papier zufolge durfte die Landesregierung die Abgeordneten in diesem Fall durchaus übergehen. Notbewilligung nennt sich das dann. Doch halt. Ein Gutachten?

"Aber Neeein!" Auf gar keinen Fall handelt es sich bei dem sechsseitigen Papier um ein Gutachten.

Diesen Eindruck versuchten die Anwälte jedenfalls auf den Fluren des Landtags zu verbreiten. Das Papier sei ja nur eine rechtliche Stellungnahme, quasi eine Art juristischer Fingerübung, die nach Bekanntgabe des Deals erstellt worden sei, um den Status Quo der Erkenntnis zu dokumentieren.

In ihrer Erklärungsnot bedienen sich die Angegriffenen sogar eines Klischees ihrer Branche: Zwei Juristen, drei Meinungen. "Es hat Warnungen über mögliche Risiken gegeben, die seien aber auf taube Ohren gestoßen", hieß es aus der Kanzlei schon vor Monaten.

Tatsächlich haben die Anwälte gewarnt - so weit bekannt jedoch nur in internen E-Mails. So könne laut einem der Juristen "nicht ausgeschlossen werden", dass der Staatsgerichtshof den von Mappus und Notheis vorgeschlagenen Weg in einem späteren Verfahren missbillige, in einem anderen elektronischen Brief ist davon die Rede, dass Mappus das Risiko auf sich nehme, "es ohne Parlamentsvorbehalt zu machen".

Die Mails liegen dem Untersuchungsausschuss vor, Mappus und Notheis aber wollen sie nicht gekannt haben.

In wenigen Wochen, am 20. April, müssen die bei dem Fall federführenden Anwälte der Kanzlei selbst vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Das ist ihre vermutlich einzige Chance, die Warnungen zu belegen. Sollte ihnen das nicht gelingen, wird ihnen stets ein Makel anhaften: Entweder sie haben das Recht aus Gefälligkeit für einen Mandanten zu weit gedehnt - oder aber in großer Naivität eine eklatante Fehlentscheidung getroffen.

Dirk Notheis: Die Anwälte haben "den Weg abgesegnet"

Der Deutschland-Chef von Morgan Stanley, Dirk Notheis, Parteifreund wie auch ein enger persönlicher Vertrauter des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, musste am vergangenen Freitag vor den Parlamentariern aussagen. Dabei schob er die Verantwortung für das umstrittene Geschäft den beratenden Anwälten zu.

Laut Notheis hatten die mit der Causa beauftragten Gleiss-Lutz-Juristen am 30. November 2010 per E-Mail grünes Licht gegeben, dass für die Bewilligung des Milliardendeals die Genehmigung des Finanzministers per Notbewilligung ausreicht und das Parlament nicht vorher befragt werden muss.

"Die Rechtsberatung oblag Gleiss Lutz", sagte Notheis. "Die Kanzlei hatte zunächst Bedenken. Zu Beginn waren Aktienrechtler damit befasst, und zum Schluss haben die Verfassungsrechtler der Kanzlei den Weg abgesegnet." Laut dem Investmentbanker wurden nach dem 30. November "keinerlei Bedenken mehr von der Kanzlei geäußert". Notheis zitierte eine Mail von Gleiss-Lutz-Anwalt Martin Schockenhoff. "Unsere Verfassungsrechtler haben den Weg abgesegnet. Wir können am 6. abschließen." Gesendet wurde die Mail am 30. November 2010 um 14.51 Uhr.

Auf diese Mail stützt Notheis seine weitere Argumentation: "Ohne diese eindeutige Aussage von Gleiss Lutz hätten wir abgebrochen und das Geschäft nicht gemacht." Es hätten aber noch nicht einmal leiseste Zweifel an der Vorgehensweise bestanden.

Dabei sei Mappus ursprünglich davon ausgegangen, dass er das Parlament befragen müsse. Die EDF habe aber auf einem "unconditional deal" bestanden und damit keinen Parlamentsvorbehalt geduldet. "Es ist uns nicht gelungen, den Parlamentsvorbehalt in den Vertrag hineinzubekommen", sagte Notheis.

Deshalb habe Gleis Lutz den Auftrag bekommen, "einen sauberen Weg zu finden". Mit staatsrechtlichen Fragen habe er, Notheis, sich nicht beschäftigt. "Ich bin kein Jurist. Das war der Part von Gleiss Lutz. Wir waren der Finanzberater der Landesregierung."

Das Fazit des Obmanns der Grünen im Untersuchungsausschuss zum EnBW-Deal Uli Sckerl ist deutlich: "Notheis hat die Kanzlei Gleiss Lutz heute an die Wand gestellt."