Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 11.02.2016

von Simon LORENZ

"Toleranz hat Grenzen"

Polizeipräsident Mathies will den Kölnern das Sicherheitsgefühl zurückgeben

Die Karnevalstage sind vorbei, die vorliegenden Zahlen lassen sich so interpretieren, dass das Sicherheitskonzept gegriffen hat. Wie ist Ihre persönliche Bilanz?

Für mich war das ein Einsteigen in das Amt des Polizeipräsidenten unter Volllast. Das Konzept hat in der Tat gegriffen. Das ist aber keine Erfolgsbilanz. Es ist kein Erfolg, wenn die Polizei vielen Menschen die Freiheit entzieht, sondern Folge des Bemühens der Polizei, sehr frühzeitig Gefahren zu erkennen und abzuwehren. Die hohe Zahl an vorläufigen Festnahmen an den Karnevalstagen, mehr als 100 Menschen, ist eine Folge dieses Vorgehens. Es gibt aber positive Tendenzen. Die Zahlen sind besser, als ich sie am Rosenmontag noch gesehen habe.

Inwiefern? Können Sie das erläutern?

Bei der Erhebung der Straftaten hat es Doppelerfassungen gegeben. Es gab einen erheblichen Rückgang von Taschendiebstählen und viel weniger Eigentumsdelikte. Auf der anderen Seite sind mehr Sexualdelikte mit Karnevalsbezug angezeigt worden. 18 waren es 2015,jetzt mehr als 50. Ich bin aber froh, dass Angriffe und Beleidigungen auf sexueller Basis viel früher angezeigt werden.

Wie meinen Sie das?

Ich habe mit Leuten außerhalb der Polizei gesprochen, die sagen: "Naja, dieses Betätscheln, das hat es früher auch gegeben." Aber da sage ich: Die Zeiten ändern sich. Karneval ist kein Freifahrtschein für grenzenloses Verhalten. Alles was gemacht wird, muss im Einvernehmen aller Beteiligten erfolgen.

Sie habe nicht nur schneller eingegriffen, sie waren auch viel präsenter - am Dom, am Bahnhof, in der Altstadt, eigentlich fast überall. Können Sie diese Präsenz aufrechterhalten?

Wir hatten Karneval so viel Polizei auf der Straße gehabt, wie selten zuvor. Aber das ist auch ein Einsatz aus besonderem Anlass. Das ist für mich die Bestätigung, dass Präsenz wichtig und richtig ist. Wir wollen und müssen Schwerpunkte setzen, um weiterzukommen.

Das heißt konkret?

Mein Ziel ist, ich möchte die Präsenz der Polizei in Köln erhöhen. Auch das konsequente Einschreiten wird fortgesetzt.

Wie viel mehr Personal bräuchten Sie dafür?

Ich möchte an allen Freitagen, Samstagen und den Tagen vor Feiertagen eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei einsetzen. Das ist Teil eines weitergehenden Präsenzkonzeptes, das über Karneval hinausgeht.

Zeigt es schon Wirkung?

Wir wissen, dass die Tätergruppen genau darauf achten, wann Polizei da ist und wann nicht. Das haben wir auch über die Karnevalstage erlebt. Es gab hoch kritische Tage.

Davon ist bislang nichts bekannt.

Eine Hundertschaft musste am Sonntag kurzfristig nach Mönchengladbach, weil es dort Probleme gab. Dafür wurde eine andere Hundertschaft aus Leverkusen in die Kölner Innenstadt gezogen. Es ist eine Zeitlücke von etwa zwei Stunden entstanden. Innerhalb dieser zwei Stunden hat sich die Lage vor dem Dom und vor dem Hauptbahnhof komplett verändert. Da waren hochproblematische Personen im Bereich der Treppe. Als die Präsenz wieder da war und konsequent eingeschritten wurde, hat sich das wieder geändert. Auch am Friesenplatz haben sich in der Zwischenebene der U-Bahn 30 dieser hochproblematischen Personen versammelt. Es gab Hinweise auf sexuelle Belästigungen. Wir sind sofort eingeschritten.

Wer sind diese hochproblematischen Personen?

Das waren nordafrikanische Intensivtäter oder Personen, die verdächtig sind.

Nochmal konkret. Wie viele Polizisten mehr benötigen Sie?

Wir haben diese Hundertschaft zusätzlich, und ich werde mich beim Innenministerium dafür einsetzen, dass das Polizeipräsidium weiter verstärkt wird. Köln benötigt Verstärkung. Wir wollen auch die Präsenz an Tagen außerhalb des Wochenendes höherhalten.

Das wird die Polizei alleine nicht schaffen können.

Ich möchte über ein großes Netzwerk verfügen, dass uns unterstützt. Dazu gehört auch die Stadt. Ich möchte mich möglichst bald mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker über das weitere Vorgehen unterhalten. In Köln muss sich etwas ändern.

Was denn?

Wir haben hier Orte, die Menschen Angst machen. Ich sehe die Entwicklung dort sehr problematisch, wo aggressive Bettler auftreten, die an Ampeln mit Bechern auf die Straße treten. Das gehört hier nicht hin. Auch schmutzige Ecken mit nur wenig Beleuchtung sind ein Problem. Da wo man sich unsicher fühlt, ist häufig auch die objektive Sicherheit nicht gegeben.

Können Sie Beispiele nennen?

Den Bereich am Dom vorbei zum Weltjugendtagsweg müssen wir im Blick haben. Ich bin Weiberfastnacht zu Fuß durch die Südstadt und von der Dasselstraße über die Zülpicher Straße bis zum Friesenplatz gelaufen, um zu sehen, was passiert eigentlich am Ring?

Wir sind gespannt.

Ganz ehrlich, da so nüchtern durchzugehen, wie ich das gemacht habe, das kann man eigentlich nicht. Dieser Dreck, der auf der Straße liegt... Gehört das zu Karneval? Darüber will ich mit der Stadt sprechen. In der Südstadt habe ich einen Stand gesehen, an dem wurde Bier aus Plastikbechern verkauft, wie es das Glasverbot vorsieht. Aber nur zehn Meter weiter wurden vor einem Kiosk Bierflaschen rausgegeben. Wann ist das eingerissen?

Das Glasverbot ist also nicht durchgesetzt worden.

Deswegen habe ich der Stadt angeboten, gemeinsame Streifen einzusetzen. Allerdings hat die Polizei auch andere Aufgaben. Dafür sollte die Stadt mehr ordnungsdienstliche Kräfte in den Außendienst bringen.

Würden Sie ein Glasverbot auch außerhalb des Straßenkarnevals befürworten?

Man sollte das zumindest diskutieren. In der Silvesternacht sind etwa Züge in Köln angekommen, die waren mit Gewaltpotenzial gefüllt. In den Zügen wurde geraucht und getrunken. Grölende betrunkene Gruppen in Bahnen beeinträchtigen das Sicherheitsgefühl der Mitfahrer.

War Köln immer zu tolerant?

Toleranz ist für mich erstmal was Positives. Aber Toleranz hat für mich Grenzen. Etwa wenn in das Wohlbefinden, in das Sicherheitsgefühl anderer eingegriffen wird.

Es gab vor kurzem eine Debatte über Schmuddelecken und Sicherheit am Bahnhof und in der City. Passiert ist aber nichts.

Das habe ich auch beobachtet. Da, wo ich die Möglichkeit habe, will ich dafür sorgen, dass solche Themen nicht hinten runterfallen. Es gibt ja etwa Schlafplätze für Obdachlose in einem Bahnhofsbogen. Das heißt, die Menschen können untergebracht werden, es gibt in Köln viele Angebote für Menschen in sozialer Not. Wenn diese sich dann irgendwo anders hinlegen und das Sicherheitsgefühl stören, dann muss man es ihnen ungemütlich machen. Das Beispiel Taschendiebstähle etwa zeigt...

...die Zahl der Delikte ist ja zurückgegangen...

... die nordafrikanischen Täter sind zum Teil nicht mehr da. Ich weiß nicht, wo sie sind. Die sind ohnehin stinksauer auf ihre Landsleute, dass sie ihnen das "Geschäft" kaputt gemacht haben.

Wie überlastet ist denn die Polizei im Moment?

Die Kollegen sind stark belastet, ich kriege aber Signale von vielen, die sagen: Wir wollen uns einsetzen, dass unser Köln sicher wird. Wir müssen diese Präsenz haben, damit die Leute sich sicher fühlen. Das ist für mich alternativlos.

Gibt's da nicht auch Nebenwirkungen?

Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, die Polizei entwickelt sich in Köln zu einem Überwachungs- und Machtinstrument. Es ist eine Gratwanderung. Es geht nicht um null Toleranz, weil sonst sehr schnell der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit außen vor bleibt.

Glauben Sie, dass eine größere Gruppe für die Taten der Silvesternacht zur Verantwortung gezogen werden kann?

13 Verdächtige befinden sich in Untersuchungshaft. Angesicht von mehr als 1000 angezeigten Straftaten ist das wenig. Die Vorfälle waren schlimme Ereignisse. Ich habe mir Videos in der Ermittlungsgruppe angeguckt. Es war unerträglich, die Angst und Hilflosigkeit der Frauen zu sehen, die von Männern eingekesselt wurden. Ich will keine falschen Versprechungen machen, dass wir alle Straftaten aufklären können.

Die Kritik bekam vor allem die Landespolizei ab, die Bundespolizei, verantwortlich für die Sicherheit im Bahnhof, hat sich elegant aus der Affäre gezogen.

Das sehe ich auch so.

Warum haben sie sich den Job eigentlich angetan?

Als mich der Innenminister anrief, ist mir etwas komisch geworden. Ich bin hier als Polizist schon Streife gefahren, wir haben hier unsere beiden Söhne gekriegt und 14 Jahre gewohnt. Ich habe eine besondere Beziehung zu Köln. Ich habe schnell gesagt: Ich mache das.

Simon Lorenz

ZUR PERSON

Jürgen Mathies ist seit 1977 im Dienst der Polizei, 1980 wurde er in Köln auch im Streifendienst eingesetzt. Der 55-Jährige wurde in Wuppertal geboren und hat zwei Söhne, 28 und 30 Jahre alt. Er wohnt mit seiner Frau in Lohmar, seit er eine Leitungsstelle in Siegburg innehatte. Er hat am Polizeikonzept zur Fußball-WM 2006 mitgearbeitet und war zuletzt Leiter des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg. Als Hobbys nennt Mathies Chorsingen und Wandern.

ABSCHLIEßENDE BILANZ DER POLIZEI

Die Zahlen sind Ausdruck der Konsequenz mit der die Polizei von Weiberfastnacht bis Karnevalsdienstag vorgegangen ist. 1389 Platzverweise (2015: 544), 100 vorläufigen Festnahmen (2015: 28) und 451 Ingewahrsamnahmen (2015: 247) hat die Polizei gezählt.

Einen deutlichen Anstieg vermeldet die Polizei auch bei den Sexualdelikten an den Tagen. 66 habe es insgesamt gegeben, in dieser Zahl sind auch die inkludiert, die nach erster Einschätzung keinen Karnevalsbezug haben. 2015 waren es 18. Die Polizei führt dies auf verändertes Anzeigeverhalten von Opfern und Zeugen zurück und verweist auf entsprechende Appelle in den letzten Wochen, sexuelle Übergriffe immer anzuzeigen.

Insgesamt ist die Zahl der Straftaten an den Karnevalstagen zurückgegangen - von 2835 auf 2631. Vor allem die Zahl der Taschendiebstähle in dem Zeitraum hat sich fast halbiert. Waren es 2015 noch 672, kamen 2016 nur noch 343 taten zur Anzeige.

Deutlich ist auch der Rückgang der Raubüberfälle ausgefallen: von 62 auf 39. Auch Einbrecher waren weniger aktiv: 108 Wohnungseinbrüche wurden gemeldet (2015: 108). (sol)

Seit dem 19. Januar ist Jürgen Mathies Polizeipräsident in Köln. Karneval war seine erste Bewährungsprobe. Im Rundschau-Gespräch sprach er über sein Sicherheitskonzept. 

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017