Die Berichte der FAZ, 09.12.2015

von Thomas THIEL

Die Methoden der GEZ

F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung , 07.09.2007

Wäre man nicht einschlägig vorgebildet - man hielte die Geschichten, die von den Gebührenbeauftragten der GEZ handeln, für Märchen. Doch die Episoden, von denen diese Artikelserie berichtet, hat sich niemand ausgedacht, sie sind bittere Realität. Und Ausnahmen sind es vielleicht auch nicht, dies jedenfalls legt die Menge von Zuschriften nahe, die uns erreichen. Es scheint eine unendliche Geschichte zu sein. Wir setzen unsere Fallsammlung mit Erzählungen aus dem deutschen Gebührenwald fort.

Der Montreal-Fall

Was sollte ein Einwohner der kanadischen Stadt Montreal vom deutschen Rundfunkrecht wissen? Nicht viel, sollte man vermuten. Und man möchte ihm dieses kluge Nichtwissen zubilligen, hat er doch vermutlich mit den eigenen Behörden genug zu tun. Dennoch wäre es für den Deutsch-Kanadier Karl-Heinz Chiba, der seit fast vierzig Jahren in Montreal lebt, ratsam gewesen, sich vor seinem Urlaub im bayerischen Piding mit den Bestimmungen des deutschen Rundfunkgebührenstaatsvertrags und mit den Praktiken seines ausführenden Organs, der GEZ, vertraut zu machen. Er hätte dann vielleicht der Heimsuchung durch einen ihrer Gebührenbeauftragten entgehen können, die ihn unvorbereitet und deshalb umso wirkungsvoller traf, als er im Juni des Jahres 2004, nichts Böses ahnend, einem Gebührenbeauftragten die Tür zu seiner Ferienwohnung öffnete. Rüde in seinen Umgangsformen, erinnerte ihn der Beauftragte an die Meldepflicht für Rundfunkgeräte. Ein Fernseher, den er für seine vierwöchige Verweildauer bei seinem ein Stockwerk tiefer wohnenden Bruder ausgeliehen hatte, wurde Chiba, der ehrlich Auskunft gab, zum Verhängnis.

Noch im Flur zwang der Beauftragte dem überrumpelten Urlauber die Unterschrift unter die Anmeldung ab und verschwand. Erst im Nachhinein wurde sich Chiba, von den gebührenrechtlichen Aufklärungsversuchen des Beauftragten eher verwirrt als unterrichtet, bewusst, was für ein Irrsinn es doch sei, in Kanada zu wohnen und in Deutschland Rundfunkgebühren zu zahlen. Er las sich im Internet ins deutsche Gebührenrecht ein, ahnte alsbald von seinen Tücken und versuchte sich noch in Deutschland per Post und per Internet abzumelden.

Antwort erhielt er nicht. Dafür sah er, inzwischen zurück in Kanada, die erste Abbuchung der GEZ von seinem Konto. Wieder schrieb, faxte und mailte Chiba Kopien seiner Abmeldungserklärung an die GEZ. Wiederum blieb eine Reaktion aus. Drei Monate, sechs schriftliche Kontaktversuche und drei Zahlungen vergingen, bis die GEZ den kanadischen Urlauber aus ihrer Kundenliste strich. Bis dahin sei nie etwas Logisches von der GEZ zurückgekommen, sagt Chiba im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Schreiben der GEZ seien allgemein formuliert gewesen und hätten auf die Besonderheiten seines Falls keinerlei Bezug genommen. Seitdem fragt sich Chiba, welches Deutschlandbild die GEZ ausländischen Besuchern vermittle und wie sie ihre monatewährende Schweigetaktik mit den kurzen Fristen vereinbare, die sie Bürgern einräumt, um ihre drängenden Anmeldungsformulare zu beantworten.

Der Beihilfe-Fall

Die GEZ beruft sich auf ein Regelwerk, das ihr viel Freiraum lässt. Auch den Sozialleistungsempfängern kam die Novelle des Rundfunkgebührenstaatsvertrags nicht zugute. Geringes Einkommen ist seit April 2005 kein Befreiungsgrund mehr. Seither entscheidet die GEZ selbst über die Befreiungsanträge, was vorher die Sozialbehörden taten. In der Folge müssen die Antragsteller das Original oder eine komplette beglaubigte Kopie ihres Sozialbescheids an die GEZ schicken. Eine mitunter teure Praxis für Geringverdienende, die sie jedes halbe Jahr wiederholen müssen. Die Kopie des Sozialbescheids erlaubt der GEZ mehr Einblick in die Lebensverhältnisse des Antragsstellers, als für ihre Belange nötig wäre. Eingescannt und zu den Verwaltungsdaten hinzugefügt, bleiben diese intimen Auskünfte dem Datenarchiv der GEZ erhalten - ein von Datenschützern als rechtswidrig betrachtetes Verfahren, das sich leicht ändern ließe, wenn, so die Argumentation der GEZ, dies nicht mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden wäre.

Noch schlechter als der Sozialhilfeempfänger hat es, wer gar keine staatliche Beihilfe bekommt. Herrn Konstanzer aus Rendsburg (Name von der Redaktion geändert), der mit seiner Lebenspartnerin zusammenwohnte und während seiner Elternzeit keinerlei soziale Zuschüsse vom Staat empfing, antwortete die GEZ auf seinen Befreiungsantrag hin, dass er nicht bedürftig sei, weil er keine Sozialleistungen vom Staat bekomme. Mithin könne man ihn auch nicht von der Rundfunkgebühr befreien. In Reaktion auf die verweigerte Befreiung wollte der Gebührenbeauftragte Konstanzers Autoradio abmelden, woraufhin die GEZ den Verkauf und dessen Beleg von ihm verlangte. Ein bloßer Ausbau reiche nicht. Und selbst in diesem Fall müsse er weiterzahlen, da er im Auto seiner Lebenspartnerin „mithören“ könne. Ob er sich künftig bei gemeinsamen Autofahrten die Ohren zuhalten solle, fragte sich Herr Konstanzer. Er konnte sich dies nicht lange fragen, denn seine Aufmerksamkeit wurde bald auf anderes gelenkt. Noch bevor er seine Abmeldung eingereicht hatte, drohte ihm die GEZ mit Peilwagen, Hausdurchsuchungen und „Besuchen“ auf seinem Grundstück. „Beauftragte drohen nicht“, heißt es in der Antwort auf den Fragenkatalog, den wir dazu beim SWR eingereicht haben.

Auch dem Schicksal der Obdachlosigkeit steht die GEZ ungerührt gegenüber. Wer jahrelang keine Wohnung hatte und vergaß, sich befreien zu lassen, muss, sobald er wieder eine Wohnung bezieht, für die unbehausten Jahre nachzahlen.