Was P.St. zu diesem Zeitpunkt nicht wissen kann: Die Berufsgenossenschaft hat offenbar nie vorgehabt, den Vergleich zu erfüllen. Bereits ein dreiviertel Jahr zuvor hat sie in einem internen Aktenvermerk detailliert beschrieben, wie man vorgehen muss, um das - zusammen mit dem Gericht - zu verhindern: indem der Richter in den Vergleich einfach keine Summe einträgt, um die es geht. Genau so war es dann auch gelaufen. Ein Komplott? Zwischen der BGHM und dem Sozialgericht Dortmund?
Seit Einstellung der Zahlungen im Jahr 2013 seitens der BGHM (Weiterzahlung des Verletztengeldes) sind inzwischen 3 volle Jahre vergangen und der Ingenieur, der für die Exportnation Deutschland tätig war, muss erste Lebens- und Rentenversicherungen verkaufen, um finanziell über die Runden zu kommen: Das Arbeitslosengeld, das er beantragen musste, beträgt nur noch 30% seines ursprünglichen Gehaltes. Eine komplizierte Angelegenheit: Das Arbeitslosengeld wurde nämlich in einer ersten Stufe von der Höhe der Verletztengeldes aus berechnet, also 80% seines früheren Gehaltes. Das allerdings zählt nicht wirklich als Bemessungsgrundlage. Sondern nach § 18 SGB IV wird ein fiktives Arbeitslosengeld angenommen. Und das läuft de facto auf 30% des früheren Gehaltes hinaus. Hiervon kann man aber keine Familie mehr ernähren.
Zudem: Arbeitslosengeld bekommt man eigentlich nur, wenn man auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, konkret "vermittlungsfähig" ist. Das ist bei P.St nun gerade nicht der Fall. Aber die BGHM hat es verstanden, weitere Kosten auf einen anderen Sozialversicherungsträger abzuwälzen. Vorgesehen ist das eigentlich nicht. Aber eben nur "eigentlich" nicht.
Egal wie: Da die Agentur für Arbeit dann irgendwann feststellt, dass P.St. a) nicht arbeitslos ist, sondern b) krank und c) arbeitsunfähig, aber auch nicht d) Reha-fähig und e) durch ein eigenes Gutachten keine Leistungsfähigkeit für den Arbeitsmarkt attestiert. Nun wird P.St. nach einem Jahr Arbeitslosengeld aufgefordert, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung zu stellen.
Beschwerde beim Landessozialgericht NRW in Essen im Jahr Nr. 7
Gegen die Einstellung der Zwangsvollstreckung (Az: S 18 U 105/16 ER) legt P.St. Beschwerde beim LSG ein, das diese im Februar 2017 als "unzulässig" zurückweist (Az: L 17 U 747/16 ER). Somit geht alles zurück ans Sozialgericht, und da üblicherweise die Kammern dort mit ihren Zuständigkeiten alle drei Jahre wechseln, ist für das Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage jetzt die 21. Kammer zuständig, konkret Richterin Vicky MEIßNER, die am 12. März 2018, also im Jahr 5 seit Einstellung der Verletztengeldzahlungen durch die BGHM in ihrem Urteil auf "keinen Anspruch auf Vollstreckung bzw. aufschiebende Wirkung des Verletztengeldes" entscheidet (Az: S 21 U 106/16).
Auch dagegen muss P.St. in die Berufung vor das LSG gehen, jetzt in der dritten Sache, um überhaupt irgendwann den Hauch einer Chance zu sehen, Geld zu bekommen: Verletztengeld oder Unfallrente. Das LSG lässt sich Zeit, denn auch die Richter dort können sich als Beamte auf regelmäßiges Salär verlassen, und so entscheiden die Richter im Juni 2020, dem Jahr Nr. 10, auch dort: keine Vollstreckung (Az: L 17 U 263/18). Sie lassen keine Revision zu.
Nichtzulassung der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht Im Jahr Nr. 12 (2021)
P.St. bleibt nichts anderes übrig, als dagegen eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht einzulegen (Az: B 2 U 151/20 B). Eine Entscheidung zieht sich hin. Im Jahr 12 seit dem Arbeitsunfall - wir schreiben jetzt das Jahr 2021 - lässt das Bundessozialgericht die Beschwerde über die Nichzulassung nicht zu. Ohne nähere Begründung heißt es: P.St. habe das "Vorliegen von Verfahrensmängeln ... nicht hinreichend dargelegt bzw. bezeichnet."
Damit ist P.St. ersteinmal am Ende. Mit diesem Verfahren bzw. dem Versuch, das durchzusetzen, was in einem Vergleich zwischen beiden Parteien ausgehandelt worden war: Dass die BGHM Verletztengeld solange weiter zahlt, bis eine endgültige Klärung über die Zahlung von weiterem Verletztengeld bzw. einer Unfallrente geklärt ist.
Der Ablauf all dieser Verfahren ist in dieser Grafik abgebildet und betrifft die notwendigen Aktionen von P.St., um seinen gesetzlichen Anspruch einlösen zu bekommen: Es betrifft (nur) 2 Klagen. Im Zusammenhang damit steht Klage Nr. 3 auf Zahlung einer Unfallrente, auf die P.St. Anspruch hat, nachdem die BGHM keinerlei Geld mehr überweist. Darauf gehen wir unterhalb der Grafik ein.