Was hatte sich im Cockpit abgespielt? - Newsletter Nr. 4

Absturz in den Alpen 2015: „Verbrechen“? Technikpanne? Fume Event? „Massenmörder“? Teil 4

Einfach Antwort: Wir wissen es nicht.

Es gibt mehrere Szenarien. 

Das eine entspricht dem gängigen Narrativ: Der Pilot im Cockpit wollte sich und alle anderen mit in den Tod reißen, hatte deswegen auch nicht auf das “Anklingeln” reagiert.

Ein anderes läuft darauf hinaus, dass irgendetwas vorgefallen sein musste. Was genau, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Anders gesagt, man kann nur verschiedene mögliche Erklärungen auf Plausibilität hin überprüfen: Ob sie sich mit anderen Indizien und/oder Annahmen irgendwie begründen lassen.

Im ‘Fliegerdeutsch’ gibt es den Begriff “incapacitation”. Bedeutet: Handlungsunfähigkeit. Zum Beispiel, wenn ein Pilot nicht mehr richtig bzw. vollständig eine aktuelle Lage erkennen kann und/oder nicht mehr imstande ist, darauf zu reagieren, weil a) die Wahrnehmungssinne versagen und/oder die kognitive und/oder haptische Reaktions- und Handlungsfähigkeit außer Funktion gerät.

Genau das kann beim Fliegen vorkommen. Nicht so häufig, aber es passiert. Z.B. wenn ein sogenanntes Fume Event eintritt: Wenn toxische Gase und Substanzen entweder in die Kabine geraten und/oder ins Cockpit eindringen. Das geschieht, wenn eine Dichtung in der zwischen 400 und 500 Grad Celsius heißen Turbine leckt und das synthetische Turbinenöl austritt, verdampft und über die Luftzapfanlage in das Flugzeug gerät ("Bleed Air"). 

Selbst die Lufthansa konzediert, dass solche Vorfälle mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 Fume Event auf 2.000 Flüge auftreten (können).

Flugverlauf einer Germanwings-Maschine am 19.12.2010. Quelle: BFU

Wir haben an anderer Stelle einen solchen Vorfall detailliert dokumentiert, als eine Germanwings-Maschine auf dem Flughafen Köln-Bonn landete und dabei fast in über dem Kölner Stadtgebiet verunglückt wäre. Im Unfalluntersuchungsbericht heißt es dazu:

"Der Copilot hatte zu diesem Zeitpunkt Schwierigkeiten, den Ablauf in einem Gesamtbild zu erfassen. Er konnte sich nur noch mit Mühe auf einzelne Aspekte des ablaufenden Geschehens konzentrieren und spürte, dass er die anfallenden Informationen nicht mehr verarbeiten konnte.

Auch der Kapitän war am Ende seiner Leistungsfähigkeit angekommen. Er fühlte sich von dem Lärm der eigenen  Atemgeräusche in der Sauerstoffmaske abgelenkt und empfand dieses als störend für die Kommunikation zwischen ihm und seinem Copiloten."

Ausführlich nachzulesen unter www.ansTageslicht.de/Germanwings.  Es ging alles gut. Alle kamen mit dem Schrecken davon. 

Die Erfahrungsberichte der beiden Piloten haben wir ebenfalls dokumentiert: www.ansTageslicht.de/Flight-Report-Cockpit. Wenn Sie das aus erster Hand lesen, werden Sie vielleicht nicht mehr so ganz unbesorgt in ein Flugzeug steigen.

Beim Unglücksflug der Germanwings-Maschine 2015 wissen wir nur, dass der im Cockpit befindliche Pilot bis zuletzt geatmet hatte. Dies ist auf dem Cockpit Voice Recorder zu hören. Ob er auch bei Bewusstein war, geht daraus nicht hervor. Jedenfalls hat er nicht auf das “Anklingeln” dea Piloten draußen (vermutlich der Captain) reagiert. Der Notfallcode wurde ja, wie vorher berichtet, nicht eingegeben, weil das Keypad - vermutlich - kaputt war.

Die hörbare und regelmäßige Atemfrequenz, die im gängigen Selbstmord-Narrativ als Beleg für das bewusste Handeln des Piloten angesehen wird, belief sich mit 26 Atemzügen pro Minute allerdings auf hohem Niveau: der Köper versuchte offenbar vermehrt CO2 abzuatmen. Mögliche Erklärungen: ein komatöser Zustand oder Bewusstlosigkeit. Niemand weiß es.

Aber es könnte eine potenzielle Erklärung sein. Muss aber nicht.

Rekonstruiertes Flugbuch von Andreas LUBITZ: Anklicken öffnet das Dokument

Schaut man sich das private Flugbuch des Copiloten an, was jeder Pilot für sich führt, fällt auf, dass der Copilot relativ häufig auf Maschinen unterwegs war, wo es zu Vorfällen mit kontaminierter Kabinen- bzw. Cockpit-Luft gekommen war. Dies hat der Luftfahrtexperte Tim van BEVEREN in seinem Gutachten ab S. 261 (PDF: 21) nachträglich rekonstruieren können.

Die Vorfälle und sonstigen Ereignisse sind mit unterschiedlichen Farben übersichtlich dokumentiert.

Die regelmäßige Häufigkeit solcher Fume-Event-Ereignisse können ganz schnell dazu führen, dass Piloten auch ganz plötzlich handlungsunfähig werden. Dies wäre eine mögliche Erklärung, was im Cockpit vorgefallen sein könnte.

Was in der Kabine geschah, in der sich 149 Menschen inkl. des Flugpersonals und des anderen Piloten geschah oder hätte ablaufen können, darauf gehen wir im Newsletter Nr. 5 ein. Im nächsten Numero 4 werden wir der Frage nachgehen, wie es möglich gewesen sein könnte, dass das Flugzeug plötzlich so an Höhe verlieren konnte, bis es an einem Berg zerschellte.

(JL)