Die Berichte der Rhein-Zeitung seit der Landtagswahl 2011 bis zum Einlenken der SPD, 04.05.2011

von Ursula SAMARY

„Das Oberlandesgericht gehört nach Koblenz, und der Standort muss erhalten bleiben“

Die rot-grüne Landesregierung will sich vom Oberlandesgericht (OLG) in der „Justizhauptstadt“ Koblenz verabschieden und das kleine OLG Zweibrücken am Landesrand stärken. Das plötzliche Aus sorgt in Koblenz für Aufruhr, zumal es ohne Vorwarnung kam und der OLG-Bezirk etwa doppelt so groß ist wie der pfälzische. Verunsicherte Mitarbeiter sind fassungslos. Der Vorsitzende des OLG-Richterrats, der Sozialdemokrat Peter Itzel sagt: „So kann man nicht mit Ängsten von Menschen spielen.“ Oberbürgermeister Joachim Hofmann-Göttig mahnt bei Ministerpräsident Beck eine „ausgewogene Debatte“ an.

Die Ausgangslage: Die Schuldenbremse des Landes zwingt dazu, in fünf Jahren 1 Milliarde Euro einzusparen, pro Jahr auch mehrere Hundert Personalstellen. Deshalb sollen auch ein OLG (in Koblenz), eine Generalstaatsanwaltschaft und ein Verwaltungsgericht wegfallen, so Rot-Grün. Der Ärger in der Justiz dabei: Bevor gespart wird, bedient sich die künftige Regierung mit zusätzlichen Ministerposten. Der Justizetat macht zwar noch keine 4 Prozent aus, aber er hat auch eine teure Altlast: Für Expräsident Ralf Bartz, der rechtswidrig an die OLG-Spitze in Koblenz kam und den Stuhl räumen musste, wurde eine Abteilung im Ministerium geschaffen, die nicht notwendig war.

Eine Spurensuche der Argumente, soweit in der offiziell dürftigen Faktenlage erkennbar.

Pro Rotstift:
SPD-Landtagsabgeordneter Clemens Hoch (Andernach) hält die Strukturreform für sinnvoll, weil das Land sparen muss und andere Teile der Landesverwaltung wie der Forst schon in Vorleistung gegangen sind. Kontra: Richter wie Itzel lehnen eine Reform nicht ab, wenn es dafür rationale Gründe gibt. „Wir sind schließlich alle Steuerzahler.“ Aber große Kostenersparnis ist für ihn nicht erkennbar. Eindruck am OLG: Richter sollen für Kritik an Bartz und Ministerpräsident Kurt Beck abgestraft werden.

Richtiger Zeitpunkt? Nach SPD-Lesart gelingt der Einstieg in die Strukturreform nur, wenn Stellen frei sind, wie an der Spitze von OLG Koblenz und Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken. Die nächste Chance biete sich erst in fünf Jahren, wenn der OLG-Präsident in Zweibrücken 65 wird. Kontra: Kritiker halten dies für vorgeschoben und kein Sachargument. Wenn zufällig der Chefposten in Zweibrücken vakant wäre, hätte demnach Koblenz keine Existenznöte. Und: Trotz der 2010 verankerten Schuldenbremse wurden die Chefstellen ausgeschrieben. Nur: Die Bewerber gelten nicht als regierungskonform.

Nur eine Prestigefrage?
SPD-Politiker sehen in Koblenz nur ein Prestigeproblem, weil schon wegen Raumnot in Zweibrücken Senate in Koblenz bleiben. Für die allermeisten Bürger ändere sich nichts. In der Regel würden die familiären Streitfälle (Unterhalt, Sorgerecht) von den Amtsgerichten abschließend entschieden, so Hoch. Der künftige Justizminister Jochen Hartloff (SPD) begründete das Aus mit sinkenden Fallzahlen. Kontra: Richter am OLG Koblenz rechnen aber vor, dass dies nicht stimmt. Gerade, aber nicht nur die Fälle in Familiensachen wachsen stark an. Das OLG Koblenz erwartet bei einer Hochrechnung für 2011 Rekordzahlen. „In Sorgerechtsfällen sind in der Regel Kinder anzuhören, mit denen man doch nicht durchs halbe Land reisen kann.“ Auch vor Zivilsenaten ist häufig persönliches Erscheinen gefordert.

Streitpunkt Bürgernähe:
Die Entfernung zu Zweibrücken sieht die SPD aus Landessicht. „Von Trier aus ist Zweibrücken näher als Koblenz.“ Außerdem: Hessen hat auch nur ein OLG. Kontra: Hessens OLG liegt im verkehrstechnisch gut erreichbaren Frankfurt, zwei „Zweigstellen“ sind in Kassel und Darmstadt. Bürger aus dem Norden des Landes, die etwa aus Altenkirchen vors OLG Zweibrücken ziehen sollen, müssen als Bahnreisende oft dort auch übernachten. Das treibt auch die Prozesskostenhilfe hoch. Auch von Koblenz ist man Stunden unterwegs – bei einem günstigen Termin 3:38 Stunden, bei anderen gute 6 Stunden (einfache Fahrt).

Bleibt Koblenz ein starker Justizstandort? Das wird versichert, ebenso, dass niemand entlassen wird und nur bei der Hausspitze gespart werden soll. Für Zweibrücken wäre das OLG-Aus kaum wirtschaftlich zu verkraften, heißt es. Kontra: Aktuell werden wohl nicht viele Senate sofort Koblenz verlassen. Aber mit jeder Vakanz kann sich dies nach heutiger Argumentation ändern, wenn für Koblenz keine klaren Standortsicherheiten vereinbart werden sollten. Ansonsten könnte die Generalstaatsanwaltschaft trotz der Investition ins Koblenzer Justizzentrum auch zum OLG-Sitz Zweibrücken abwandern, wenn ihr Chef in einigen Jahren in Pension geht.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2012

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