Die Berichte nach dem Einlenken von Rot-Grün, 23.01.2012

von Ursula SAMARY

Kein Präsident für ein paar Monate

Zur offiziellen Amtseinführung des Präsidenten des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz, Hans-Josef Graefen, haben sich für Mittwoch viele Gerichtspräsidenten aus der Republik angesagt. Denn es ist schon spektakulär, dass es sie gibt und dass der Präsident jetzt Graefen heißt. Denn eigentlich sollte das OLG Koblenz keinen neuen Präsidenten erhalten. Es sollte dichtgemacht und Graefen verhindert werden.

Vor der Amtseinführung besuchten wir den neuen OLG-Chef in dem Büro, in dem die Vorgänger Heinz-Georg Bamberger und Ralf Bartz saßen: Als Minister wollte Bamberger Graefen verhindern, Bartz kam unrechtmäßig auf den Stuhl und musste gehen. Und sein Möbelstück nahm er mit, als er 2011 einen neuen Posten im Justizministerium erhielt. Also sitzt Graefen auf Bambergers Stuhl. Dass er damit nicht glücklich wird, ist nicht der Vorgeschichte geschuldet, sondern der Körpergröße seines Vorvorgängers: Denn Bambergers Möbel sind mindestens zwei Nummern zu klein. Die Knie stoßen an die Kante des Schreibtischs, der zudem keinesfalls für einen Computer taugt. Typisch Graefen: Bequemlichkeit hat nicht Priorität, sondern die Funktionalität des Gerichts. Ihm ist es wichtiger, bei den Menschen im OLG „angekommen zu sein“ und nicht präsidial zu residieren.

Was bedeutet es für Sie, hier angekommen zu sein?


Es ist anfangs schon ein ungewohntes Gefühl, diesem Gericht vorzustehen, das ich aus meiner Vortätigkeit und zahlreichen Dienstbesprechungen kannte. Das mag sich auch aus dem Faktum erklären, dass ein fünfeinhalbjähriger Gerichtsstreit vorausgegangen ist. Ich bin aber angekommen, im Amt, in der Arbeit. Das ist wichtig.

Was ist es für ein Gefühl, Rechtsgeschichte geschrieben zu haben? Künftig können Staatsdiener nicht mehr mit Schadensersatz abgespeist werden, wenn sie ausgetrickst wurden.


Natürlich fühlt man sich nach einem solchen Prozess in seinem Handeln und seiner Argumentation bestätigt. Wenn man aber berücksichtigt, dass dies fünfeinhalb Jahre gedauert hat und hierfür erst Rechtsgeschichte geschrieben werden musste, wird die Genugtuung schon etwas abgemildert.

Im Jahr 2007 haben Ihnen viele Ihrer Juristenkollegen vorhergesagt, dass Sie vor den Koblenzer Instanzen verlieren und erst beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gewinnen werden. Wurden hier politische Entscheidungen gefällt?


Für die Bereiche, in denen ich selbst bislang in der Justiz tätig war, kann ich jede politische Einflussnahme auf richterliche Entscheidungen ausschließen. Zu anderen Geschäftsbereichen äußere ich mich nicht.

Was dachten Sie bei der Nachricht: Das OLG wird aufgelöst?


Ich konnte es nicht glauben. Aber die Nachricht hat sich zu dem einschneidendsten und belastendsten Ereignis entwickelt, das die rheinland-pfälzische Justiz in ihrer Geschichte erlebt hat.

Die Expertenkommission hat Sie kürzlich besucht. Was denken Sie? Werden die eingerollten, aber griffbereiten Plakate noch einmal gebraucht?


Ich bin mit Blick auf die Kompetenz der Kommission und die zu beurteilende Sachfrage der Meinung, dass sie für das OLG Koblenz nur zu einer positiven Bewertung kommen kann.

Die Fusion und damit der Abzug des Oberlandesgerichts ins mehr als 200 Kilometer entfernte Zweibrücken würde, so das OLG im Sommer, 10 Millionen Euro kosten. Bieten Sie auch eine realistische Sparrendite an?


Wir prüfen Einsparpotenziale in bestehenden Strukturen. Dazu haben wir bereits die Verwaltungen der beiden Oberlandesgerichte durchforstet. Außerdem wurde auf meinen Vorschlag in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit eine Arbeitsgruppe eingerichtet, an der Oberlandesgerichte, Landgerichte und Amtsgerichte beteiligt sind und die ebenfalls nach Einsparungen sucht. Aber das Endergebnis wird nicht früher vorliegen als das der Kommission.

Das kleine OLG in Zweibrücken lebt mit Existenzängsten, obwohl es noch unter dem Schutz von Kurt Beck steht. Wie ist das Verhältnis?


Wir haben und hatten zu den Gerichten im Südbezirk traditionell stets ein sehr konstruktives, sachbezogenes und von gegenseitigem Vertrauen geprägtes Verhältnis. Mit der Standortdiskussion sind auf beiden Seiten Befürchtungen aufgetreten, die es vorher nicht gab. Die Justiz in Rheinland-Pfalz darf sich nicht entzweien lassen.

Halten Sie es für möglich, dass es unterhalb der OLG-Ebene neue Justizstrukturen gibt, bei kleinen Land- oder Amtsgerichten?


Bei dieser Frage gilt das Primat der politischen Grundentscheidung. Im OLG-Bezirk Koblenz werden wir keine Standortdiskussion führen. Nicht weil das Thema tabu ist. Aber wir erledigen in der Justiz die Arbeit so orts- und bürgernah, dass sich die Frage für uns nicht stellt.

Ist für Sie noch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Justizminister Hartloff möglich? Er hat sie verhindern, das OLG Koblenz auflösen wollen.

Ich habe den Eindruck, dass alle Beteiligten an einer sachgerechten, transparenten und vertrauensvollen Zusammenarbeit interessiert sind. Ich will aktiv daran mitwirken, dass Irritationen ad acta gelegt werden können.

Wie ist es Ihnen gelungen, Jahre mit dem Land zu streiten, aber nicht als Egoist oder Querulant zu gelten?

Ich habe offenbar auch den Eindruck vermitteln können, dass es mir darum gegangen ist, in einem justizförmigen Verfahren eine Besetzungsentscheidung zu fällen, und nicht darum, um eine bestimmte Position zu erreichen.

An die 3000 Leute gingen fürs OLG auf die Straße, mehr als 66 000 Unterschriften wurden gesammelt. Hätten Sie je damit gerechnet?


Die fehlende Sachargumentation hat zu der starken Solidarisierung geführt, für den Standort Koblenz so zu kämpfen. Für diese große und beachtenswerte Beteiligung aus allen Bereichen der Gesellschaft sind wir sehr dankbar.

Dem Verfassungsgerichtshof gehören traditionell die beiden OLG-Präsidenten an. Dort sitzt Bartz, der das OLG räumen musste und als Richter im Ministerium der Exekutive angehört. Bleiben Sie draußen?

Die derzeitigen Mitglieder des VGH sind wirksam vom Landtag gewählt worden.

Rechnen Sie fest damit, dass Sie nicht nur ein paar Monate Präsident sind und das OLG dauerhaft in Koblenz bleibt?


Da ich daran glaube, dass sich Sachargumente durchsetzen, bin ich der festen Meinung, dass das OLG auf Dauer erhalten bleibt. Für die Zukunft der Justiz in unserem Land wäre es ein wichtiges und richtiges Zeichen, nun Ruhe einkehren zu lassen und vertrauensvoll und effektiv zusammenzuarbeiten.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2012

Die Menschen hinter dieser Geschichte: