Die Berichte der Rhein-Zeitung zwischen den Landtagswahlen 2006 und 2011, 13.05.2006

von Ursula SAMARY

Der Seiteneinsteiger im Kabinett

In dem herrlichen Eckzimmer der ehemaligen preußischen Residenz am Koblenzer Rheinufer stapeln sich Kisten für den Umzug. Ein Telefonat mit Ministerpräsident Kurt Beck hat das Leben von Heinz Georg Bamberger (59) umgekrempelt, der seit 1995 als Präsident das Oberlandesgericht (OLG) leitet. Becks Anruf, sich doch bitte binnen einer Stunde für das Amt des künftigen Justizministers zu entscheiden, kam für den Neuwieder aus heiterem Himmel. Er hat sich kurz mit der Familie besprochen, aber eigentlich stand sofort fest, dass er die "Herausforderung" nicht ablehnen kann.

Beck lässt sich selten in die Karten schauen und fackelt bei Personalentscheidungen nicht lange. Deshalb muss Bambergers Ahnungslosigkeit nicht verwundern. Auch den neuen Superminister und Vize der Landes-SPD, Hendrik Hering, hat Beck mit einer neuen Rolle auf der Kabinettsliste überrascht.

Als einer der wenigen Spitzenjuristen im Land hat Bamberger seit Anfang der 70er-Jahre ein SPD-Parteibuch. Aber er ist "kein Politiker", wie er selbst sagt. "Ich hatte immer andere Hobbys." Er hat gemalt, sich in Belletristik vertieft und Politik als Zeitungsleser verfolgt. Das wird sich grundlegend ändern, wenn der Richter nach mehr als 30 Jahren als Newcomer ins Kabinett wechselt.

Der 59-Jährige kennt das "gut geführte" Mainzer Ministerium als früherer Personalreferent (1988 bis 1990). Außerdem hat er als Verwaltungschef für etwa 3000 Beschäftigte im OLG-Bezirk Einblick in Abläufe und Zwänge. Umgesehen hat er sich in seinem neuen Machtzentrum noch nicht. Das ist vor der offiziellen Amtsübergabe nicht sein Stil.

Bamberger wird in Justizkreisen neben Verhandlungsgeschick ein guter Draht zur Staatskanzlei nachgesagt, weil er für den Richterwahlausschuss plädiert hat. Er selbst spielt vermeintlichen Einfluss herunter. "Ich gehörte nicht zu einem Beraterkreis." Er habe das Vorhaben unterstützt, um eine parlamentarische und transparente Kontrolle von Personalentscheidungen zu garantieren. Andere Juristen haben dies damals argwöhnischer verfolgt und größeren parteipolitischen Einfluss befürchtet. "Konflikte gab es aber bisher nicht", stellt Bamberger zufrieden fest. Er beobachtet eine positive Entwicklung in der Justiz, die sich "die Besten aussuchen kann" und von der modern-pluralistischen Aufgeschlossenheit der jungen Generation profitiere. Dass Juristen "immer etwas konservativer als andere sind", sagt ihm seine Berufserfahrung: "Wir gehen mit Gesetzen um, die oft lange Tradition haben." Mit leisen Tönen wirkt Bamberger Spekulationen entgegen, er wolle die Justiz stärker politisieren.

Es gilt als kluger Schachzug, dass Beck einen besonnenen und erfahrenen Mann der Praxis ins Kabinett holt. Staatsanwälte und Richter erwarten von Bamberger umso mehr, dass er sich ihrer Personalengpässe annimmt. Doch der OLG-Präsident weiß um die heikle Finanzlage und rechnet bereits mit schwierigen Verhandlungen.

Bei der Debatte um die Große Justizreform gehört er zu den Verfechtern, die die Oberlandesgerichte als zweite Tatsacheninstanz erhalten wollen, um ein "hochstreitiges Problem" noch einmal überprüfen zu können - auch mit Zeugen und Sachverständigen. Er hält dies für unabdingbar, weil beim Bundesgerichtshof nur ein Bruchteil der Verfahren landet. "Zwei Instanzen sind nicht zu üppig".

Amtsvorgänger Herbert Mertin (FDP) hat Bambergers Loyalität geschätzt. Und Bamberger betont, dass er Mertins liberale Rechtspolitik befürwortet hat, um Grundrechte gegen den zuweilen in der Politik und auf dem Boulevard grassierenden blinden Aktionismus zu verteidigen: "Zwischen Sicherheit vor Terror und Freiheit des Einzelnen muss eine vernünftige Balance bestehen."

Ob für den Richter die Politik noch zur Droge wird? Bamberger lässt sich überraschen und meint mit augenzwinkerndem Lächeln, dass wohl nur Ausnahmemenschen wie Otto Schily mit 73 noch nicht von Politik lassen können.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2012

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