Die Berichte der Rhein-Zeitung zwischen den Landtagswahlen 2006 und 2011, 04.01.2008

von Ursula SAMARY

Will Mertes jetzt Denkverbote erteilen?

Wohl keine Stellenbesetzung in der Geschichte des Landes ist politisch wie juristisch so umstritten gewesen wie die Amtseinführung von Ralf Bartz an der Spitze des Oberlandesgerichts Koblenz. Der Wunschkandidat von Justizminister Heinz-Georg Bamberger (SPD) ist mit fünf SPD-Stimmen gewählt worden. Monatelang sorgte die Kandidatensuche für Streit im Landtag - zuletzt in einer Sondersitzung, in der die CDU Bambergers Rücktritt forderte. Weil das Abstimmungsverhalten im Richterwahlausschuss bekanntgeworden war, musste die Staatsanwaltschaft wegen Geheimnisverrats ermitteln. Das Bundesverfassungsgericht hat die Blitzernennung von Bartz als Verfassungsverstoß gerügt und dem Mitbewerber Hans-Josef Graefen den neuen Instanzenweg eröffnet.

Auch Genossen sauer


Als sich im Koblenzer Schloss am 5. November die Gäste zur feierlichen Amtseinführung versammeln, ist die spektakuläre Vorgeschichte natürlich Gesprächsstoff. Am Rande äußert ein Genosse in einem hohen Staatsamt seinen Unmut, dass alles nur deshalb passieren konnte, weil ein Richterwahlausschuss eingeführt worden ist. Offiziell ist die Vorgeschichte aber kein Thema. In der Feierstunde ist es dann auch nur Generalstaatsanwalt Weise, der in wohlgesetzten Worten in einem Grußwort auf die Besonderheit der Stunde eingeht.

Landtagspräsident Joachim Mertes (SPD) ist nicht dabei, ärgert sich aber mächtig über die Rede-Auszüge in unserer Zeitung und sorgt für ein parlamentarisches Nachspiel: Mertes liest, dass Weise die Krux des Verfahrens auch in dem auf Druck der SPD eingeführten Instrument des Richterwahlausschusses sieht, dem acht Abgeordnete, zwei Richter und ein Rechtsanwalt angehören. Weise sagt: "Bei dieser Zusammensetzung liegt es auf der Hand, dass Einfluss genommen werden kann und dass - beispielsweise in Form von Absprachen oder Kompromissen - den Parteien genehme Persönlichkeiten für wichtige Positionen ausgewählt werden können."

Scharfe Reaktion


Der Generalstaatsanwalt bleibt im Theoretischen. Aber der Applaus zeigt: Er hat den Nerv vieler Gäste getroffen. Beim Glas Wein im Foyer lobt manch einer "den Mut", diese Meinung zu vertreten. Weise wundert sich: "Soll dies nicht mehr möglich sein?"

Kennen die ihn so Lobenden die SPD besser? Mertes reagiert jedenfalls in ungewöhnlich scharfer Form. Er schreibt: "Es erschreckt mich jedoch, wenn gerade jemand, der für die Einhaltung der Gesetze in diesem Land in besonderem Maße Sorge zu tragen hat, sich dazu hinreißen lässt, in dienstlicher Funktion und in völlig unpassendem Rahmen eine fundamentale Kritik an seinem Dienstherren, den an dieser Entscheidung beteiligten Abgeordneten und dem Gesetzgeber selbst zu üben. Der Richterwahlausschuss ist vom Landtag Rheinland-Pfalz durch Gesetz eingerichtet worden, um die demokratische Legitimation der Richterauswahl zu stärken. Die Auswahl und Beförderung der Richter allein durch die Exekutive ist ein Erbe des Obrigkeitsstaates." Die Rüge endet mit den Worten, dass er (Mertes) von hohen Beamten erwartet, "dass sie für diesen Staat und seine Institutionen eintreten und ihn nicht öffentlich und zudem in amtlicher Funktion kritisieren oder gar verächtlich machen".

CDU und FDP lesen den offiziellen Brief als disziplinierenden Appell zu mehr Wohlverhalten und sind empört. CDU-Fraktionschef Christian Baldauf will den "bemerkenswerten Vorgang" im Ältestenrat des Landtags zur Sprache bringen. Er hält Mertes vor, dass er zur Neutralität verpflichtet ist und sich die Politik "aus der Justiz tunlichst heraushalten sollte". Die Vorwürfe seien auch in der Sache falsch. "Ich kann alles unterschreiben, was Generalstaatsanwalt Weise gesagt hat. Ich kann den Brief nicht nachvollziehen."

Mit harscher Kritik reagiert auch FDP-Fraktionschef Herbert Mertin. Auch er erwartet Neutralität von Mertes. "Mir ist aber nicht bekannt, dass er schon einmal einen Beamten gerüffelt hat, der die SPD-Regierung gelobt hat." Im Übrigen habe "ein Generalstaatsanwalt wie jeder Staatsbürger das Recht auf eigene Meinung". Mertin hält den Brief für "unangemessen" und stellt fest, dass der Landtagspräsident keine Dienstaufsicht über Generalstaatsanwälte ausübt. Als Ex-Justizminister hat der Liberale auch nicht den Eindruck, dass frühere Besetzungsverfahren nicht demokratisch legitimiert und als obrigkeitsstaatliches Relikt zu werten wären. "Die richterliche Kontrolle war immer gewahrt."

Weise schweigt


Weise kommentiert auf Anfrage den Vorgang nicht, bestätigt nur den Schriftwechsel und hält die Vorwürfe für "haltlos und unverständlich". In einem Schreiben an Mertes macht er allerdings seinem Unverständnis darüber Luft, dass Mertes glaubt, ihn zensieren und disziplinieren zu sollen. Danach hält er es schon für sehr erstaunlich, dass ihm offenbar das Recht abgesprochen werden soll, seine Meinung zu äußern, wenn sie nicht auf offizieller Linie liegt. Er möchte jedenfalls nicht glauben, dass in einer lebendigen Demokratie ein offenes Wort "sogleich als nicht hinnehmbare Diskreditierung und fundamentale Kritik gesehen wird und bei einem der obersten Repräsentanten unseres Landes sogar zu Erschrecken führt".

Außerdem stellt er zu den Fakten fest, dass er nur theoretische Überlegungen ohne Bezug zum konkreten Besetzungsvorgang angestellt habe.

Mertes erklärt auf Anfrage, dass er keine Denkverbote oder Maulkörbe erteilen will. Die Haltung von Weise sei ihm seit einer Anhörung im Landtag bekannt. Er habe es aber für deplatziert gehalten, die Kritik in einer Feierstunde zu erneuern. "Es war der falsche Tag und die falsche Stunde", sagt er und fügt noch hinzu, dass er gemeint habe, sich vor den Landtag stellen zu müssen. Baldauf und Mertin haben ihm signalisiert, dass er in ihrem Namen wahrlich nicht geschrieben habe. Mit Baldauf hat er vereinbart, den Vorfall im Ältestenrat zu besprechen. Die CDU ist auf seine Erklärung gespannt.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2012

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