Wie sich der zivile Widerstand organisierte

Oder: Die Gründung des Vereins Pro Justiz Rheinland e.V. und die "Koblenzer Erklärung"

Mit so großer Resonanz hatte niemand gerechnet. Knapp 3000 Demonstranten fanden am 13. Mai 2011 den Weg zum Jesuitenplatz in Koblenz, um gegen die knapp zwei Wochen zuvor verkündeten Pläne der neuen Landesregierung zu demonstrieren, die beiden rheinland-pfälzischen Oberlandesgerichte sowie die beiden Generalstaatsanwaltschaften zu jeweils einer Einrichtung „mit Sitz in Zweibrücken zusammenzuführen“. Einhellig war die Meinung aller Demonstranten, dass die Begründung, diese „strukturelle Reform“ sei zur Einhaltung der in der rheinland-pfälzischen Verfassung verankerten Schuldenbremse erforderlich, nur vorgeschoben sei und dass es in Wahrheit nur darum gehe, sich auf elegante Weise einer brisanten Personalentscheidung zu entledigen - der infolge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 2010 erforderlich gewordenen Neubesetzung des Dienstpostens des Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz.

Darüber hinaus wurde angenommen, mit einer Schließung des Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz sollten aufmüpfige Landesbedienstete abgestraft werden: in erster Linie der Richterrat des Oberlandesgerichts Koblenz, der unmittelbar nach der Landtagswahl am 27. März 2011 in einem auch in der Rhein-Zeitung veröffentlichten Brief an den Justizminister heftige Kritik an dem Vorgehen der Regierung in dem bisherigen Besetzungsverfahren geübt hatte.

Der Richterrat des Oberlandesgerichts Koblenz um seinen Vorsitzenden Dr. Peter Itzel war es bis zu diesem Zeitpunkt auch, der den öffentlichen Widerstand organisiert hatte. Dabei konnte es nun nicht mehr bleiben. Die Demonstration hatte gezeigt, dass nicht nur Richter und Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare bereit waren, für den Erhalt „ihres Oberlandesgerichtes“ und „ihrer Generalstaatsanwaltschaft“ auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren sondern auch viele Bürger, welche die so offensichtlich unsinnigen und willkürlichen Pläne der Regierung nicht hinnehmen mochten. In dieser Situation lag nichts näher, als nach dem Vorbild des Vereins Pro Justiz e.V., der sich in Bayern für den Erhalt des bayerischen Oberstenlandesgerichtes eingesetzt hatte, ebenfalls eine Vereinigung zu gründen, die die Interessen aller Gegner der Fusionspläne bündeln und in der Öffentlichkeit vertreten sollte.

Da eine Versammlung in den Räumen des Oberlandesgerichts seitens des Justizministers verboten worden war, erfolgte die Gründung des Vereins Pro Justiz Rheinland e.V. - Freundeskreis des Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz - am 8. Juni 2011 in den Räumen der Handwerkskammer Koblenz. Zum Vorsitzenden wurde der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Koblenz, Rechtsanwalt Dr. Eberhard Schulte-Wissermann gewählt. Innerhalb weniger Wochen traten über 400 Mitglieder dem neuen Verein bei. An der ersten regulären Mitgliederversammlung des Vereins am 30. Juni 2011 Namen circa 150 Mitglieder persönlich teil. Diese Versammlung endete mit der einstimmigen Verabschiedung der Koblenzer Erklärung, in der die Haltung der Vereinsmitglieder gegenüber den Regierungsplänen in sieben Thesen zusammengefasst wurde:

Die Koalition aus SPD/Bündnis 90 – Grüne hat im Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2011-2016 vereinbart, das OLG Koblenz und die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz aufzulösen und mit den Justizeinrichtungen in Zweibrücken zusammenzuführen. Gegen diese ohne jede sachliche Prüfung getroffene Entscheidung formiert sich zu Recht erheblicher Widerstand von Bürgern, Mitarbeitern der Justiz, Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Notaren, Kammern, Wirtschaft, Kommunalen Parlamenten, Bürgermeistern und Landräten sowie Vereinen. Die vorgegebene politische Entscheidung ist ein vielfältiger Angriff auf anerkannte Werte unserer Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenlebens.1. Sie ist ein Angriff auf die geschichtlichen Grundlagen des Landes Rheinland-Pfalz und das Selbstverständnis der Bürger.

 Mit der Zusammenführung des ehemals preußischen Rheinlandes mit Rhein-Hessen und der Pfalz wurde mit Gründung des Landes Rheinland-Pfalz 1946 eigens das OLG Koblenz/die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz für 2/3 der rechtsuchenden Bürger im Norden des Landes errichtet. Der Konsens für dieses Land gerät ins Wanken, wenn markante Zeichen aus der Gründung unseres Landes aus der Justizstadt Koblenz abgezogen werden.

 

2. Sie ist ein Angriff auf eine bürgernahe Justiz und zeugt vom mangelnden Respekt vor der „dritten Gewalt“.

Mit der bloßen durch nichts begründeten Behauptung, mit der Verlagerung des OLG Koblenz/Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nach Zweibrücken im Sinne der sog. Schuldenbremse sparen zu können, beschränkt man mit weiten Wegen und bei unzureichender Infrastruktur des ÖPNV die im Sinne der Rechtsstaatgarantie notwendige Erreichbarkeit der Justiz. Dies gilt gerade auch für Rechtsmittel- und Berufungsverfahren.

3. Sie ist ein Angriff auf die verfassungsrechtlich verankerte Gewaltenteilung.

Diese Feststellung trifft auch der deutsche Anwaltstag. Die Koalition maßt sich ohne fundierte tragfähige Abwägung aller in Frage kommenden Auswirkungen eine Verlagerungsentscheidung an, die große Bedeutung für die Funktionalität und Qualität der Justiz hat. Die Unabhängigkeit der Justiz lässt es geboten erscheinen, politische beabsichtigte strukturelle Reformen der Justiz zumindest zuvor mit dieser zu erörtern.

4. Sie ist ein Angriff auf den Justizstandort und Wirtschaftsstandort Koblenz und der gesamten nördlichen Region von Rheinland-Pfalz.

Offen wird durch die Koalition als Argument genannt, dass die Region in und um Zweibrücken strukturell mit der Zusammenlegung der OLG´s und Generalstaatsanwaltschaft aufgewertet werden soll. Abgesehen davon, dass die Auflösung und Verlagerung der hoch anerkannten Justizeinrichtungen OLG Koblenz/Generalstaatsanwaltschaft Koblenz damit zum Instrument der Strukturpolitik herab gewürdigt werden, ist damit auch belegt, dass der Stadt und Region Koblenz besondere Nachteile zugefügt werden (sollen).

5. Sie ist ein Angriff auf die gebotene Sparsamkeit und verfassungsrechtlich geforderte Schuldenbremse.

Vor wenigen Monaten wurde das neue Justizzentrum in Koblenz mit einem Investitionsvolumen von ca. 25 Mio. EUR, in dem mit teuren Sicherheitsauflagen auch die Generalstaatsanwaltschaft untergebracht wurde, durch die Landespolitiker als Stärkung des Justizstandortes Koblenz gefeiert. Im OLG Koblenz wurden ca. 5 Mio. EUR für Modernisierung ausgegeben. In Zweibrücken müsste für diese Einrichtung erneut umfangreich investiert werden. Zwecklose Ausgaben in Mio. Höhe hier und weitere Mio. EUR für den teuren Umzug sind kein Sparen, sondern das Gegenteil und die Missachtung der Vorgaben der Schuldenbremse. Die Verfassung wird hier insoweit eklatant missachtet.

   

6. Sie ist ein Angriff auf die Demokratie und den Respekt vor dem Bürger.

Weil ein Argument, es würden insgesamt Steuermittel gespart, nicht ansatzweise belegt ist, ist es (bisher) eine Täuschung der Bürger über wahre Absichten. Die feste Vorgabe des Schließens und der Verlegung der Justizeinrichtungen von Koblenz ist ein Diktat von oben nach unten, sie ist bürgerfeindlich, undemokratisch und gerade nicht das Mitnehmen der Bürger und nicht Partizipation. Das Vorhaben steht auch im krassen Widerspruch zu den Wahlkampfaussagen (Wahlversprechen) beider Regierungsparteien.

 

7. Sie ist ein Angriff auf den sozialen Frieden.

Die betroffenen Mitarbeiter, aber auch die rechtsuchenden Bürger erwarten zu Recht in einer lebendigen Demokratie Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Entscheidungen und sorgsame Beachtung ihrer Interessen, insbesondere keine frauen- und familienfeindlichen Entscheidungen. Politik darf nicht Angst machen und den Bürger in jahrelanger Ungewissheit über politische Entscheidungen lassen.


Insgesamt sind die Bürger entrüstet und wütend über das geplante Vorhaben. Sie werden sich mit allen rechtlich und tatsächlich möglichen und zulässigen Mitteln wehren, auch mit den nach der Landesverfassung möglichen Initiativen.


In der weiteren Entwicklung der Debatte gewann insbesondere die Ankündigung des Vereins besonderes Gewicht, gegebenenfalls einen Volksentscheid nach Art. 115 der Landes-verfassung anzustreben, um ein Gesetz zur Änderung der Gerichtsorganisation zu Fall zu bringen.

Daneben führte der Verein vor allem die am 13. Mai begonnene Unterschriftensammlung fort. Bereits Anfang Juli 2011 konnten der Vereinsvorsitzende, Dr. Eberhard Schulte-Wissermann, und der Vorsitzende des Richterrats des Oberlandesgerichts Koblenz, Dr. Peter Itzel, dem Chef der Staatskanzlei, Martin Stadelmaier, mehr als 19.000 Unterschriften von Bürgern aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz überreichen, die sich gegen eine Fusion der Oberlandes-gerichte und der Generalstaatsanwaltschaften in Zweibrücken aussprachen. Schon im September 2011 waren insgesamt mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt; Mitte Oktober lag die Zahl bereits bei circa 67.000 Unterschriften.

Im Januar 2012 informierten sich mehrere Vorstandsmitglieder des Vereins bei dem hierfür zuständigen Landeswahlleiter in Bad Ems über die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines Volksentscheids.

Dass die Landesregierung letztlich von ihren ursprünglichen Plänen, Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz abzuschaffen, vollständig abgerückt ist, dürfte sicher nicht allein, aber doch zu einem erheblichen Anteil auch auf das Vorgehen des Vereins zurückzuführen sein, der immer wieder auf die vielen Sachargumente hingewiesen hat, die gegen eine Fusion am Standort Zweibrücken sprechen und die ausnahmslos von der durch die Landesregierung eingesetzten Expertenkommission aufgegriffen worden sind.

Dabei ist festzustellen, dass nur die vorangegangene kontinuierliche Berichterstattung der Rhein-Zeitung und ihrer Chef-Reporterin Ursula Samary den Boden für eine erfolgreiche Durchsetzung des Willens so vieler Bürger bereitet hat.


Ingo BUSS, Pressesprecher der Initiative "Pro Justiz Rheinland e.V."

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2012

Die Menschen hinter dieser Geschichte: